“Sie haben Anspruch auf Verpflegung, Kleidung, Unterbringung und medizinische Versorgung. Alles andere sind Privilegien.”
Ich sitze mit 260 Mann auf einem Boot. 260 Mann, genau so viele Insassen gab es durchschnittlich auf der Insel. San Francisco wird immer kleiner am Horizont. Dicke Quellwolken hängen zwischen den Wolkenkratzern. Wie die Sardinen in der Büchse sitzen wir auf dem Boot. Neben mir eine amerikanische Familie par example, alle sehr stämmig, Cola in der Hand und Hot Dog Reste zwischen den Zähnen. Die Fahrt dauert ungefähre 9 Minuten, dann legen wir am Steg von Alcatraz Island an.
Alcatraz Island, ein ehemaliger Hochsicherheitstrakt auf einer Insel 2 km von San Francisco entfernt. Das Zuhause von auffälligen Häftlingen, wie Al “Scarface” Capone oder Robert Stround. Ein Ort über den ein Nebelschleier voller Mythen liegt. Die Insel sieht vom weiten sehr unspektakulär aus. Ein Felsen auf dem eine Kaserne steht, wie ich sie aus den amerikanischen Siedlungen in Schweinfurt kenne. Schon Wochen vorher müssen Tickets für die Alcatraz Island Tour vorbestellt werden. Immer zur vollen Stunde fährt ein Boot mit circa 200 bis 300 Menschen nach Alcatraz Island. Ehrlich gesagt möchte ich San Francisco gar nicht verlassen und kann mir nur schwer vorstellen, wie eine amerikanisch-historische Tour durch ein Gefängnis einigermaßen erträglich ablaufen wird. Ich habe Bilder von verkleideten Sträflingen im Kopf, die aus den Gefängniszellen springen und Touristen erschrecken.
Es fing schon mit dem obligatorischen „Erinnerungs-Foto“ an. Ich vor grüner Wand, auf die später in Photoshop Alcatraz Island gesetzt wird. Das Foto kann ich anschließend für schlappe 22 Dollar käuflich erwerben.
Auf der Fähre gab es die ersten Infos zu Alcatraz durch den Lautsprecher, der seinen Monolog mit dem Satz beendete: „Alcatraz Island ist mehr als nur ein Gefängnis.“ Was für ein blöder Satz. So typisch amerikanisch. Aber 30 Minuten später verstand ich, was er bedeutet. Nachdem ich den „gefährlichen“ Berg hochgelaufen bin, vor dem ich vorher per Lautsprecher, Personal und Hinweisschild gewarnt wurde, vorbei am Leuchtturm, welcher der erste im Pazifik war, den Wohnungen der 70 Familien, die auf der Insel wohnten, erreiche ich den Eingang des Zellengebäudes.
Hier wird mir, eigentlich gegen meinen Willen, da ich ein Museum, ich nenne es jetzt einmal Museum, immer lieber selber entdecke, anstatt mir irgendetwas ins Ohr labern zu lassen, ein Audio Guide überreicht. Die Reise geht los. Eine Reise in eine unvorstellbare, surreale Welt. Eine Stimme führt mich durch das Gefängnis, zeigt mir die kleinen Zellen, stellt mir die Insassen und Gefängniswärter vor, die immer wieder Zitate geben, wie das Leben auf Alcatraz Island war. Hier wurden Straftäter hingeschickt, die in anderen Gefängnissen aufmüpfig wurden. Wenn die Gefangenen sich nicht in Alcatraz zu Benehmen wussten, kamen sie in die Isolationskammer.
Die Stimme im Audio Guide fordert mich auf die Isolationszelle zu betreten. Ich gehe in den kleinen Raum, mein Herz fängt an zu rasen. Ein Straftäter erzählt, dass er sich immer ein Knopfloch von der Jacke gerissen hat, wenn er in die Isolationskammer musste. Den Knopf hat er hoch geworfen, fallen lassen und immer wieder im Dunklen auf dem Boden gesucht. So lange, bis er wieder raus durfte, aus der Zelle. Die Atmosphäre in dieser Zelle ist beängstigend, vor allem, wenn man eine emphatische Ader hat. Ich kann mit viel zu gut und realistisch vorstellen, wie hier al Capone seine Zeit verbracht hat, wie im Speisesal mit dem Küchenmesser ein Häftling niedergestochen wurde, wie der Ausbruch im Jahr 1962 abgelaufen ist. Frank Morris und den Brüdern John und Clarence Anglin haben es geschafft mit Löffeln ein Loch in die Wand zu bohren und dadurch über das Dach zu fliehen. Obwohl ihre Leichen nie gefunden wurden, nimmt man an, sie sind bei ihrem Fluchtversuch ertrunken. Es ist eine unglaubliche emotionale Reise. Einerseits empfinde ich Mitleid, andererseits denke ich mir die Menschen, die hier waren, die haben es verdient. Um die 1200 Insassen waren von 1934 bis 1963 im Durchschnitt 8-10 Jahre auf Alcatraz Island. Der Audio Guide führt mich durch das ganze Gebäude, zeigt mir das Leben auf der Insel vom Freizeitgelände der Häflinge bis zur Kloschüssel in der Zelle und auch ein Leben, das ich mir vorher nicht vorstellen konnte, das ich nur aus Filmen und Büchern kannte.
Die Tour endet mit der Schließung des Gefängnis. 1963 ordnete General Staatsanwalt Robert F. Kennedy die Schließung von Alcatraz Island an. Ich steige wieder auf das Boot und fahre zurück. Die Wolken haben sich verzogen. San Francisco liegt vor mir mit strahlenden Sonnenschein. Ich schaue noch einmal zurück, auf die kleine Insel, die so viele Geschichten erzählt. Ja, es wahr. Alcatraz Island ist mehr als nur ein Gefängnis
3 Kommentare
Das sieht wunderschön aus! Ein bißchen wie Chateau d’if, das Chateau aus der Graf von Monte Cristo. Da denkt man gar nicht mehr an ein Schwerverbrechergefägnis, sondern eher an Kultur pur! Nice.
Alcatraz hat mich auch sehr fasziniert letztes Jahr.
Viele Grüße
Jule