7 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich stehe auf, gehe ins Bad, ziehe mich an. Völlig absurd. Bin noch nie Silvester um 7 Uhr aufgestanden. Stehe sowieso sehr selten um 7 Uhr auf. Nach dem Aufstehen folgt die Morgenroutine plus Schminkaction. Soll ich mir noch ein Bier mitnehmen? Ne, das ist irgendwie pervers. Ich gehe aus der Haustür. Berlin ist ein Schlachtfeld. Meine Straße ist ein Schlachtfeld. Irgendwelche Assis haben die neuen Fensterscheiben bei der Hausnummer 3 beschmiert. Assis. Im Freibeuter, der Punkkneipe gegenüber von mir, ist noch voller Betrieb. Laufe die Straße hoch und bin hoch euphorisch. Mein Auto ist noch da. Nicht abgebrannt. Nicht mal mehr Dallen als vorher. Ich stecke den Schlüssel ins Zündschloss und los geht’s. Mein Silvester 2014/15 startet jetzt. Denn auch dieses Jahr habe ich mir was ganz besonderes ausgedacht für mein Langzeitprojekt “Silvester an außergewöhnlichen Orten”.
Rückblende
Ich bin gestern von Schweinfurt nach Berlin gefahren, bin um 18 Uhr angekommen, habe Pizza gegessen, Aperol Spritz getrunken und um 23 Uhr ins Bett. Silvester habe ich also einfach gekonnt ignoriert, nur ab und zu beruhigend Boris, meinen Hund gestreichelt, der aber sehr tapfer war. Das war mein Silvester, bis ich früh am Morgen den Wecker gehört habe und losgegangen bin.
Ich habe hinter dem Eingang geparkt. War mir irgendwie zu peinlich mit der Karre vorzufahren. Bin ganz aufgeregt, als ich am Seitenflügel entlang laufe. Wie ein kleines Kind. Lustig. Wie lang die Schlange wohl sein wird? Taumle hinter zwei Betrunkenen hinterher. Geht schneller. Geht schneller. Ich hab keine Zeit. Habe schon Silvester verschlafen, also gibt es einiges nachzuholen.
Wow! Ich kann es kaum glauben. Nur 50 Meter. Das ist ja nichts. Also, Tipp an alle: Silvester im Berghain? Geht genau um 8 Uhr hin. Perfekte Zeit. Ich stelle mich an der Schlange an.
Hinter mir tuscheln sie schon:
A: Kommen wir rein?
B: Weiß nicht. Sollen wir wieder gehen?
C: Wir sind jetzt mit dem Taxi hier her gefahren, wir gehen doch nicht wieder.
B: Müssen ja morgen nur einchecken und ab nach München.
D: Wir bleiben hier.
München, ich hätte meinen Arsch darauf gewettet, dass die Jungs aus München kommen. Bekomme auch sofort ein schlechtes Gewissen. Da nehme ich Assi den ganzen Touristen, die einmal im Jahr nach Berlin fahren, um ins Berghain zu gehen, den Platz in der Schlange weg. Da muss ich an eine lustige Geschichte denken. Eine Bekannte ist einmal nicht ins Berghain gekommen, weil sie einen Pelzkragen am Mantel hatte und der Türsteher nur meinte: Geh zurück nach München. Fand ich lustig.
So, jetzt wird es Zeit sich mal auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sätze die Menschen sagen, wenn sie aus dem Berghain kommen:
“I want to have a Cheeseburger.”
“Kinder.” Abfälligen Blick auf die Schlange.
“Taxi oder S-Bahn?”
Wow, Sensation. Ein Typ der schon abgewiesen wurde, ist nach 30 Metern wieder zurückgerufen worden. (Typ lerne ich später noch im Club kennen. Netter Typ.)
Ein Flaschensammler kommt vorbei und fragt nach Bierflaschen.
“I feel sick.”
Jungs hinter mir machen sich in die Hose. Ich kann ihnen jetzt schon sagen, dass sie nicht reinkommen. Sehe das bei mir auch noch kritisch. Hätte mir noch ein paar Ringe durch Körperteile schiessen lassen sollen. Dann wäre die Chance größer. Die härteste Tür Deutschlands und ich stehe davor. Ein Traum.
Typ vor mir fragt alle nach Blättchen. Ist total hippelig, weil er sich seit der S-Bahn auf Blättchen für seine Zigarette freut. Endlich kann ihn jemand eins gehen. Binnen Sekunden ist er der glücklichste Mensch der Welt. Schön.
Finde es sehr schön hier in der Schlange. Könnte auch meinetwegen länger dauern. Hat irgendwie eine familiäre Aura. Ich bin auch sehr gut vorbereitet: dicker Wollmantel von Oma. 2 Paar Strumpfhosen. Dicke Wollsocken in den Stiefeln von anderer Oma. Es leben die Omas. Ich glaube ich wäre heute und jetzt nicht hier, wenn ich gestern nicht 5 Stunden “Arbeit und Struktur” von Wolfgang Herrndorf gelesen hätte. Ein Tagebuch von einem Autor, der seine Gehirntumordiagnose bekommt. Wahnsinns Buch. Habe mehrfach im Auto losgeheult und begriffen, wie endlich dieses Leben ist. Deswegen gleich an Neujahr endlich gemacht, was ich schon immer mal machen wollte. Früh aufstehen und ins Berghain gehen. Nur noch 5 Leute vor mir in der Schlange:
Türsteher: “Du nicht.”
Türsteher: “Du nicht.”
Türsteher: “Du nicht.”
Türsteher: “Bist du allein?”
Mädchen: “Ja.”
Türsteher: “Ok”. Nickt zum Eingang.
Türsteher: “Bist du allein?”
Junge: “Ja.”
Türsteher: “Ok. Nickt zum Eingang.”
Ich! Ich bin an der Reihe.
Türsteher: “Bist du alleine?”
Ich: Nicke.
21
22
Wir schauen uns in die Augen. Ich versuche seinen Blick stand zu halten.
23
Türsteher: Er nickt Richtung Eingang. Freue mich innerlich.
What happens in the Berghain, stays in the Berghain!
14:40: Verlasse das Gebäude. Bin etwas betrunken und sehr glücklich. Es ist ein wunderbarer Ort. Ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Menschen zusammen kommen. Ich liebe das und muss ganz ehrlich zugeben, das war das beste Silvester, das ich je hatte: Verschlafen und um 7 Uhr begonnen.
1 Kommentar
Silvester im Berghain – eine gute Erinnerung die dir immer bleiben wird. Habe es einmal erlebt – ein Traum.