Ich sitze an der Ecke Warschauerstraße/ Revaler Straße gegenüber der Sparkasse auf einem Pfosten und warte auf meinen Besuch. Der Verkehr in Berlin ist mal wieder schlimmer als erwartet und ich muss noch 20 Minuten warten. Vor dem Eingang der Sparkasse platziert sich ein Mann, mit einer weiblichen Bulldogge. Ihre Zitzen sind ausgeprägt und deutlich zu erkennen.
Ich rätsele, wie alt der Mann ist, und kann zu keinem Entschluss kommen. Er hat ein Gesicht, das „vom Leben gezeichnet ist“. Tiefe Narben und Furchen an den Backen und unter den Augen. Hätte er diese Narben nicht und auch nicht diesen Blick im Gesicht, wie es nur ein Blick von einem alten, erfahrenen Mann sein kann, hätte ich ihn auf 25 geschätzt. Schon allein wegen seines Kleidungsstils. Er trägt weite Buggyhosen, amerikanische Turnschuhe dazu und eine Baseballjacke, die ihm fast bis zu den Kniekehlen geht. Sein Look wird komplimentiert durch ein schwarzes Tuch, das er um seine Glatze gebunden hat. Er steht da, vor dem Eingang der Sparkasse, wie ein kleiner, verlorener Junge und fängt an seinen Satz aufzusagen. „Sorry, can you help me?“
Der Erste ignoriert ihn, der Zweite ignoriert ihn, der Dritte… Erst der fünfte Passant bleibt stehen und hört ihm zu: „Sorry, can you help me? With some money?“
Der Passant wühlt in seiner hinteren Hosentasche und steckt dem Ghetto-Bettler etwas zu. Er nickt leicht mit dem Kopf, hat ein kleines Lächeln im Gesicht und wünscht dem Passanten einen schönen Tag.
Es ist die Ausnahme, dass jemand stehen bleibt und ihm zuhört. Die meisten ignorieren ihn. Würdigen ihm keines Blickes und gehen eilig vorbei.
Eine Frau mit Kinderwagen und drei Bälgern drum herum fährt an ihm vorbei. Sie hat diesen arroganten, ignorierenden Blick nach vorne. Im Schneckentempo geht sie vorbei, versteht jedes Wort des Bettlers aber ist sich zu schade ihren Kopf nach rechts zu neigen und wenigstens ein nettes: „Nein, tut mir leid.“, von sich zu geben. Auch der Bettler spürt ihre verachtende Ignoranz und flucht leise vor sich hin, als die Dame ihn passiert hat. Fucking, bloody bitch, with your fucking kids und fucking fuck-face.
Ich habe kurz Angst, dass er eine Machette aus seiner übergroßen Jacke zieht und ihr den Kopf abhaut.
Ich sitze da, beobachte ihn und fühle mit. Fühle den Ärger, über die Ignoranz, fühle den Widerwillen jemanden anzusprechen und Geld zu bekommen aber zugleich auch den innere Druck, der einen dazu treibt. Sei es wirkliche Armut oder auch nur eine Sucht, die befriedigt werden muss.
Ich gebe zu, normalerweise gehe ich auch einfach weiter, mit einem netten: „Nein, tut mir leid“ auf den Lippen. Aber zu diesem Menschen baue ich in den 20 Minuten, die ich da sitze und ihn beobachte eine emotionale Bindung auf. Auch wenn es nur Mitleid ist. Ausschlaggebend dafür war eine weitere Beobachtung. Je mehr Leute vorbeilaufen, die ihn nicht beachten, um so mehr Mut kostet es ihn immer und immer wieder zu fragen und ich sehe wie er immer mehr blinzelt wenn er eine Absage bekommt oder einfach nicht beachtet wird. Es ist ein Blinzeln, das man hat, um Tränen zurück zu halten. Nachdem mein Besuch kommt, muss ich ihn passieren. Als er erst beim „Can you…“ angekommen ist, drücke ich ihm schon 50 Cent in die Hand und bekomme einen „fucking good evening“ gewünscht.
12 Kommentare
Hach ja, es ist nicht nett, einfach an diesen Menschen vorbeizugehen. Aber man muss die Leute verstehen, die vielleicht im Laufe ihres Tages schon an 10 oder noch mehr von seiner Sorte vorbeigekommen sind, sie es vor einer Bankfiliale, einem Einkaufsladen oder in U- und S-Bahn.
Mehr als ein Kopfschütteln, gepaart mit einem freundlichen Lächeln, habe ich für sie auch nicht mehr übrig.
Mir gefällt dein neues Konzept alltägliche Straßensituationen festzuhalten und zu werten. Keineswegs beliebig. Immer relevant.
wow 50 cent! hat ihm bestimmt sehr geholfen und war für dich ewigen gutmensch sicher ein echtes opfer
50cent? ist das zynismus oder scheinheiligkeit?
viele grüße, lisa
@ Anonym und Lisa: Es war eine Geste. Eine Geste, dass ich ihn beachte. Sorry, den Huni hatte ich nicht dabei. Könnt ihr ihn ja das nächste Mal zustecken oder wenn ihr nicht in Berlin wohnt mir überweisen, dann gebe ich ihn weiter…
eine geste für dich,welche dich über die stellt, die vorbeigegangen sind?
gruß alex
Keine Ahnung! Ich habe ihn einfach was gegeben. Ich wusste schon, dass ich mich da auf einen schmalen Grad bewege. Gibt man nichts ist scheiße, gibt man was, ist es immer zu wenig. Was hättet ihr den gemacht?
So bitter es ist. Es ist es letztlich unmöglich jedem Obdachlosen, die Summe und die Aufmerksamkeit, die er als Mensch verdient zukommen zu lassen. Bei der Menge an Obdachlosen kann man nicht jedem, sagen wir ein Essen spendieren. Von daher halte ich ein Lächeln und 50 Cent für einen guten Kompromiss. Jemand der sich darüber aufregt war zum einem noch nie in Berlin und hält sich zum anderen selbst für moralisch überlegen.
obdachlose gibt es nicht nur in berlin..und es geht nicht darum etwas gegeben zu haben, sondern um die tatsache über andere zu urteilen die nichts geben..
Es geht vielleicht um die Art wie man nichts gibt.
in Berlin sind 11.000 Menschen obdachlos. Eine bedrückende Zahl :((