Ich liege in meiner Hängematte und schließe die Augen. Träge pendle ich von links nach rechts und wieder zurück. Mit geschlossenen Augen konzentriere ich mich auf meine anderen Sinne. Die Hitze kriecht in jede Pore meiner Haut, legt sich wie ein unsichtbarer Teppich über mich und hüllt mich ein. Doch es ist nicht unangenehm.
Ich spitze die Ohren und lausche den Geräuschen um mich herum. Es ist ein wahres Orchester. Unzählige Vögel singen und schreien, hüpfen von Ast zu Ast und lassen die Blätter rascheln. Neben mir wandern die Äffchen durch die Baumkronen, ich verfolge ihre akustischen Spuren, bis sie im Wald hinter mir verschwunden sind. Überall höre ich die Grillen zirpen. Langsam öffne ich meine Augen wieder, ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Ich befinde mich an einem der friedlichsten, ursprünglichsten und schönsten Orte, die ich kenne – im Cuyabeno Nationalpark im ecuadorianischen Amazonas.
Tief im Cuyabeno Nationalpark gelegen, nur nach einer zweistündigen Kanufahrt zu erreichen, befindet sich die Cuyabeno Lodge, eine der zahlreichen Lodges im Cuyabeno Reservat. Wer sich auf ein vier- bis fünftägiges Regenwaldabenteuer begeben will, ist im ecuadorianischen Amazonas genau richtig.
Das Naturreservat erstreckt sich über eine circa 6.040 km2 große Fläche und ist in Bezug auf seine Größe eine der artenreichsten Regionen der Welt. Einige der seltensten Tiere nennen Cuyabeno ihr Zuhause. Seinen Name verdankt es dem Fluss „Río Cuyabeno“, der durch diese Region verläuft. Sowohl die Regen- als auch die Trockenzeit eignen sich perfekt für einen Besuch. Hat man während der regenreicheren Monate bessere Chancen, Flussdelfine zu sehen, ist die Wahrscheinlichkeit, Anakondas und Kaimane zu entdecken, um einiges höher, wenn das Wasserlevel der Lagune sinkt.
Cuyabeno Reservat – die tierische Vielfalt
Etwas, das mich jedes Mal wieder von den Füßen haut, ist die Vielfalt der Flora und Fauna des Cuyabeno Reservat. Egal, wie viel Zeit ich dort verbringe, jedes Mal sehe und lerne ich unglaublich viel Neues. Von den verschiedensten Affenarten bis hin zu seltenen Vögeln – es ist für jeden etwas dabei. Egal ob Wollaffen, Totenkopfäffchen oder Schwarzrückentamarine: Affen sind und bleiben einfach die coolsten Tiere. Konkurrenz machen ihnen nur die Faultiere oder die sogenannten „Schnellkäfer“ („click beetle“ auf Englisch), die aufgrund von leuchtenden Punkten am Kopf einfach aussehen wie ein Auto, wenn sie abends geschwind über den Tisch krabbeln. Wie hat sich die Natur so etwas nur ausgedacht? Einfach genial.
Aufmerksam lasse ich meinen Blick über die Bäume und das Wasser schweifen. Ich freue mich jedes Mal riesig, wenn meine blinden Touristenaugen ein Tier entdecken, auch wenn es nur ein Vogel ist, den wir schon zehn Mal gesehen haben. Selbst dann wird es nie langweilig. Wenn man dann auch noch eine riesige Anakonda entdeckt oder Flussdelfine um das Kanu herumschwimmen und ab und zu ihre Rücken zeigen, hält sich die Begeisterung nicht mehr in Grenzen. Ich könnte noch stundenlang die unterschiedlichsten Tiere aufzählen, die im Cuyabeno Reservat zu finden sind, aber das würde definitiv den Rahmen sprengen. Kommt nach Ecuador und sucht einfach selbst nach Faultieren & Co!
Wer sieht ihn, den Hoatzin? Unten seht ihr den Schlangenhalsvogel.
Und wieder einmal frage ich mich: Warum genau verbringe ich noch gleich einen Großteil meiner Zeit in einer Großstadt im Büro?
Cuyabeno Reservat – das indigene Volk der Siona
In unterschiedlichen Teilen Ecuadors leben auch heute noch zahlreiche indigene Völker, wie beispielsweise die Waorani, Shuar oder Siona. Im Cuyabeno Nationalpark hat man die Möglichkeit, eines der Dörfer der Siona zu besuchen und dort einiges über ihre Kultur und Lebensweise zu lernen.
So erfährt man zum Beispiel, dass die Siona ein Wandervolk sind und von Zeit zu Zeit den Ort wechseln, um mit ihrem Dorf an einer anderen Stelle (kurz) Wurzeln zu schlagen, bis es sie wieder weiterzieht. Nur ein Teil des Cuyabeno Reservats wird für Tourismus genutzt, der restliche Teil gehört immer noch den Siona. Ihnen ist es also selbstverständlich erlaubt, ihr Land zu nutzen, wie sie wollen; das heißt sie dürfen zum Beispiel jagen und fischen, was Touristen nicht erlaubt ist.
Nebenbei lernt man auch noch, wie das traditionelle Brot „Casabe“ zubereitet wird. Das Interessanteste: Man braucht nur eine einzige Zutat, und zwar Yuca. Diese Wurzel wird geerntet, geschält, gewaschen und geraspelt. Danach wird die Flüssigkeit aus den Raspeln gedrückt, wodurch eine Art Mehl entsteht. Dieses Mehl wird anschließend in einer heißen Tonpfanne über dem Feuer zu dünnem Brot gebacken. Wirklich simpel und super lecker, vor allem in Kombination mit beispielsweise Papaya, Palmherzen oder Thunfisch!
Cuyabeno Reservat – Tages- und Nachtwanderung
Der wohl spannendste und zugleich gruseligste Part der Regenwaldtour ist die Nachtwanderung. Ich schlüpfe in meine Gummistiefel und wickle meinen Regenponcho fest um mich – nicht, weil es regnet, sondern als provisorische Schutzmaßnahme gegen mögliche krabbelnde Eindringlinge. Voller Vorfreude, jedoch gleichzeitig mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen, schließe ich mich meiner Gruppe an. Mit Taschenlampen ausgestattet machen wir uns auf den Weg in dunklen, tiefen Regenwald.
Es ist unglaublich. Es ist eine andere Welt. Es ist und bleibt mir auch ein Rätsel, wie die Guides all die Tiere entdecken. Heuschrecken getarnt als Blätter oder Äste; Skorpione in der gleichen Farbe des Baums; Kröten, die sich irgendwo zwischen Erdboden und Baumstämmen verstecken. Riesige Grillen (mein Albtraum), die mich anstarren und meinem Gefühl nach jeden Moment losspringen wollen, sitzen auf Augenhöhe nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Unglaublich, was alles um uns herum lebt, ohne dass wir es mitbekommen. Zu unserem Erschrecken kommt eine riesige Tarantel aus ihrem Loch im Boden zum Vorschein und bleibt wie angewurzelt in der Nähe ihres „Hauses“ stehen. Fasziniert und gleichzeitig ein bisschen angeekelt starre ich dieses haarige Lebewesen an, das um einiges größer ist als meine Hand. Innerlich schüttelt es mich, doch ich kann einfach nicht wegschauen. Eigentlich wirklich bescheuert, dass wir vor so etwas Kleinem so eine riesige Angst haben. Nach vier Tagen Regenwald bin ich spinnentechnisch definitiv etwas abgehärtet.
Eine Geisselspinne
Doch nicht nur nachts lohnt es sich, den Regenwald zu erkunden. Bei einer Wanderung tagsüber lerne ich ebenfalls eine Menge über den Dschungel und seine Bewohner: Welche Pflanzen für medizinische Zwecke verwendet werden, welche Baumarten gefährdet sind oder welche Rufe zu welchen Vögeln gehören. Außerdem kann ich mit Gummistiefeln ausgestattet durch die tiefsten Sümpfe waten – und wo kann ich sonst schon fröhlich durch den Matsch stiefeln und es ist absolut egal, wie schmutzig ich bin und wie ich aussehe?
Der Blick in den Regenwald:
Cuyabeno Reservat – die Laguna Grande
Das Herz des Cuyabeno Reservats bildet die große Lagune (“Laguna Grande” im Spanischen). Durchzogen von Macrolobium Bäumen ist sie nicht nur ein wunderschönes Fotomotiv, sondern auch ein perfekter Ort, um abends den Sonnenuntergang anzuschauen. Es ist das schönste Gefühl, wenn man nach einem heißen, schwülen Tag im Regenwald ein erfrischendes Bad in der Lagune nehmen kann und sich gleichzeitig die rot-orangenen Strahlen der Abendsonne auf der Wasseroberfläche spiegeln. Man sollte während dem Baden allerdings nicht allzu viel darüber nachdenken, welche Tiere man in der Nacht zuvor in der Lagune entdeckt hat …
Sonnenuntergang am Laguna Grande
Ein kleiner Kaiman und eine Boa.
Widerwillig kehre ich nach 4 Tagen nach Quito zurück. Raus aus dem Regenwald, rein in die moderne, viel zu schnelle Realität. Wieder 24/7 erreichbar, mit Handyempfang und WLAN, in einer Stadt voller Beton und Verkehr. Dafür mit weniger Heuschrecken und Spinnen.
Mehr Fotos:
Ein ungebetener Gast in meinem Zimmer
Wer guckt denn da so schüchtern aus der Röhre?
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DIE GASTAUTORIN:
Hallo, ich bin Linda. Geboren und aufgewachsen bin ich im wunderschönen Würzburg in Unterfranken. Da es auf der Welt jedoch noch viele andere wunderschöne Orte gibt, zieht es mich oft – öfter, als meiner Familie oder meinen Freunden lieb ist – weit weg. Nachdem ich mein Medienkommunikationsstudium abgeschlossen hatte, habe ich also erneut meinen Backpack, meinen besten Freund, gepackt und Deutschland vorerst den Rücken gekehrt. Erste Station war mal wieder Südamerika, danach ging es weiter nach Asien. Da ich mein Herz allerdings in und an Ecuador verloren hatte, hat mich meine Reise letztendlich wieder zurück in dieses wunderschöne Land geführt, das ich nun vorerst meine neue Heimat nennen darf. Neben Fotografie, Nähen und Essen liebe ich es, auf meinen Reisen die unterschiedlichsten und interessantesten Menschen kennenzulernen. Denn von jedem – egal wie verrückt – kann man etwas lernen, und das möchte ich mir nicht entgehen lassen!
1 Kommentar
WOW, die Bilder sind sehr gelungen!
Errinnert mich sofort an mein Dschungelerlebnis. Kann ich übrigens nur weiterempfehlen. Ich habe es mit dem Reiseveranstalter Gulliver Expeditions gemacht. Das Reservat war auf jeden Fall eines meiner besten Touren hier in Ecuador!
Beste Grüße,
Ursula