„Bei mir gibt es das Fleisch nur an der Stange.“ Jonny, ein großer, stämmiger Mann, der direkt als Dude aus Big Lebowski gecastet werden könnte, lacht und stellt ein Tablett mir frittierten Snacks auf den Tisch. In der linken Hand hält er nun ein Samosa, das er genüsslich in die barbecuerote Sauce dippt, in der rechten Hand hält er eine leicht bekleidete Dame, die auf seinem Schoß sitzt. „Lasst es euch schmecken und genießt die Mädchen“ Herzlich willkommen im ersten und einzigen vegan Stripclub in Amerika , dem Casa Diablo in Portland.
Ich glaube von meinen männlichen Freunden war schon jeder mindestens einmal in einem derartigen Etablissement. Das gehört anscheinend zum Mann sein dazu, wie die Sportschau am Samstag. Ich habe den Eindruck, dass für viele Frauen/Freundinnen ein Stripclub das direkte Tor zur Hölle ist, in dem der Hormonspiegel des Mannes derartig durcheinander gebracht wird, dass die Synapsen im Gehirn abgeschalten werden und die Männer willenlos nackten Brüsten, Ärschen und sonstigem ausgeliefert sind. Hier sitzen sie dann mit tropfenden Sabberfaden aus dem Mund am Tisch und starren. Mich hat es bis jetzt irgendwie noch nicht gereizt, aber ich habe die Devise, man sollte alles mindestens einmal ausprobiert haben, auch einen Stripclub.
Ich sitze bei Stripperin Daria im Schlafzimmer und bekomme eine Tonne Haarspray auf meinen Kopf geknallt. Ihre eigenen Haare gleichen schon einem Kunstwerk. Links blond, rechts schwarz, türmen sich zwei 50er Jahre Rollen nach oben. Sie liebt die 50er. Die Klamotten, den Lifestyle, die Haare. Rechts über dem Spiegel hängen ganz viele Tücher, daneben steht ihre Schmuckschatulle und von der Wand lächelt uns Elvis an. Wenn ich sie so sehe, zurechtgemacht mit markanten Augenbrauen und diesem ganz speziellen, verruchten Make-up, dann erinnert sie mich an Pink. Gerade trägt sie noch ein gestreiftes Strickkleid, doch gleich, wenn ihre Schicht beginnt, wird sie in ihre Rolle schlüpfen und ihr „Kostüm“ anziehen. Aus Leder wird es nicht sein, das habe ich schon heraus gefunden. „Johnny würde mich sofort rausschmeißen, wenn ich irgendetwas aus Tierhaut trage.“ Johnny ist der Besitzer des ersten und einzigen veganen Stripclubs in Amerika, Portland. Seit über 20 Jahren ist er bekennender Veganer, wie halb Portland. Wie er auf die Idee mit dem veganen Stripclub bekommen ist? In Portland gibt es die meisten Veganer in den Staaten und die größte Stripclubdichte. Aus diesen zwei Fakten hat Johnny sein Geschäftsmodell entwickelt. Nicht dumm, wie ich finde. Wenn man nicht wegen den Mädels kommt, dann wegen dem guten, „veganen Essen“ und das ist wirklich köstlich.
Ich verabschiede mich an der Tür des Clubs von Daria. Woher ich sie kenne? Nun ja, sie ist mein Couchsurfing-Host für diese Nacht. Sie muss sich jetzt um- oder besser ausziehen und ich, ich muss rein. Rein in den Stripclub. Ich habe ein bisschen Schiss und keine Ahnung, was mich erwartet. Als aller erstes sehe ich einen Flipperautomaten am Eingang und einen bulligen Typen, der daneben sitzt und ein genaues Auge auf die Gäste wirft. Eintritt ist frei. Ich folge dem beleuchteten Gang und komme in einen großen, rot beleuchteten Saal. In der Mitte steht ein langer Tisch, wie bei einer Hochzeitsgesellschaft. Nur steht kein Sauerbraten mit Klössen darauf, sondern zwei Stangen. Um den großen Tisch herum, auf dem sich schon halbnackte Mädchen räkeln, stehen viele kleine Tische, etwas weiter entfernt. Im groben und ganzen sieht es hier aus wie in einem deutschen Wirtshaus, mit roten Glühbirnen in den Lampen. Ich weiß die im ersten Moment gar nicht, wo ich hinschauen soll. Ich finde es sehr befremdend, auf eine Frau zu starren, die gerade ihren wohl geformten Po in das Gesicht eines Mannes streckt oder sich den Slip in drei Metern Höhe an der Stange auszieht. Ich ignoriere erst einmal die nackten Frauen und starre die Männer an, wie sie auf das Frischfleisch starren. Wie gerne würde ich jetzt mit meinen Blicken ihre Schädelwand öffnen, Gedanken lesen und von jedem einzelnen wissen wollen, warum er hier ist, was ihn so anmacht, was er hier bekommt, was der Kick für den Augenblick ist. Nicht nur Männer sitzen in der erste Reihe, in der ein Lied lang die Tänzerinnen beobachten zwei Euro kostet. Auch Frauen und Pärchen sitzen da. Ich finde das alles unglaublich spannend und interessant. Zwei Stunden und gefühlte 30 weibliche Geschlechtsteile später, fühle ich mich auch bereit die Frauen genau anzuschauen. Tattoowierte Körper, die sich verbiegen. Kleine Busen, große gemachte Brüste von 18 bis 40 Jahre alt. In Corsagen oder Strapsen, Nippelpiercinge oder Extensions. Jede Frau hat ihre eigene Masche, die Kunden in der ersten Reihe so scharf zu machen, dass sie einen „privat dance“ haben wollen. „Nur damit verdient man richtig Kohle.“, erzählt Daria. Sie steht mittlerweile in ihrem Outfit, einem pinken Body neben mir am Tresen und trinkt ein paar Shoots. Das braucht sie, um locker zu werden. Dazu noch ein Joint und die Sache läuft. Daria brauchte vor drei Jahren schnell und viel Geld. Seitdem strippt sie. Dreimal die Woche, sechs Stunden. Nebenbei studiert sie Design. Ein guter Abend bringt 400 Dollar. Heute scheint es aber ruhig zu sein. Irgendwann gegen Mitternacht verschwindet sie dann mit einem hässlichen Koboldt mit Geheimratsecken und Doppelkinn in den „privat dance room.“ Ich bin erschrocken, wie normal nach vier Stunden im Stripclub alles ist. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen ein Bier nicht von einer oben ohne Bedienung serviert zu bekommen.
Nur noch zwei Männer und ein Pärchen sitzen um 2 Uhr nachts im Club rum. Es wird Zeit zu gehen. Ich hole Daria in ihrem Umkleideraum ab, ein 16 Quadratmeter großes Zimmer, in dem sich 25 Mädchen umziehen. Es wimmelt von Lockenstäben, Glätteeisen und Tigerprints. Sie sitzt vor dem Spiegel. Ihr Make-up ist verlaufen. „Was ist los?“, frage ich, etwas verschüchtert. Ich kenne Daria zwar schon nackt, aber trotzdem erst seit sechs Stunden.
Es gibt diese Tage, an denen es einfach nicht gut läuft und die Emotionen verrückt spielen. Diese Tage, an denen man sich Sachen viel zu sehr zu Herzen nimmt. Auch im Business. Daria hatte einen privat dance für einem sehr guten Kunden, der ihr sonst 1000 Dollar da lässt. Heute war er schlecht drauf, hat nur 250 Dollar bezahlt und sie die ganze Zeit als Schlampe bezeichnet und angeschrien. „Wer will bitte schon gerne nackt beim Lap Dance als Nutte bezeichnet werden?!“, fragt sie mich, aufgelöst und wütend.
Keiner. Wir sitzen noch eine Weile da, die anderen Mädels kommen und gehen und jede bleibt kurz stehen und tröstet Daria. Das ist der Stripclub hinter den Kulissen – jeder hilft jedem, man ist füreinander da und befreundet. „Und Christine, wie war das jetzt für dich, dein erstes Mal?“, fragt mich eine innere Stimme. Ich muss sagen, am Anfang fühlte ich mich wirklich unwohl. Jetzt nach sechs Stunden kann ich ein Fazit ziehen. Irgendwie ist es nett hier. Sugar Daddy Johnny ist ein lieber und politisch korrekter Veganer und die Mädels hier wie eine große Familie. Hier sitzen nicht nur fette, hässliche, alte Säcke in der ersten Reihe, hier kommen auch gutaussehende, junge Männer her, für die es vielleicht für manch eine Stripperin ein Vergnügen ist, zu tanzen. Strippen ist auch nur ein Job. Am meisten hat es mich jedoch überrascht, dass mich die Burger tausend Mal mehr interessiert haben, als die Mädels an der Stange. Entweder bin ich einfach absolut heterosexuell oder eben doch der Typ für die subtile Erotik. Mehr am Körper gibt mir einfach mehr Raum für Fantasie und das Kopfkino, das ist so sexy.
Mehr zu diesen Abenteuer gibt es am Sonntag den 14.07.2013 um 15:30 auf VOX. Da kommt die „Auf und davon„-Folge zum veganen Stripclub, dem UFO-Festival und mir.
Johnny und ich
Daria am Morgen
Getting ready!
Stripclub
Darias Haustier
Die niedlichste Katze, die ich je gesehen habe.
PS: Auch wenn Johnny mir eine große Karriere als Stripperin in seinem vegan Stripclub versprochen hat und mich ganz groß rausbringen wollt, habe ich dankend abgelehnt und bleibe meinem Blog und dem Schreiben treu ;)
9 Kommentare
So ein Blick hinter die Kulissen ist sehr interessant!
Bezieht sich das „vegan“ lediglich auf das Essen oder auch auf andere Bereiche?
Da gibt’s auch keine Lederklamotten. ^^
Habe heute deinen Bericht auf VOX gesehen und war wirklich beeindruckt, ich finde auch die Idee für deinen Blog wirklich gut…stelle wir aber vor das die Finanzierung der Reisen nicht so einfach ist. Ich werde vermutlich nun zu einem Stammleser :)
Hab den Bericht heute auch verfolgt und muss sagen, ich bin etwas neideisch ;)
Ich träume auch vom reisen und schreiben. Hab zwar schon begonnen, aber Geld verdienen werde ich wohl vorläufig nicht können…. Schade. ;) Mein größtes Erlebnis war bis jetzt einen Indienreise, bei der ich 2 Wochen in einem Kinderheim verbracht habe :) Noch in diesem jahr gehts endlich nach Afrika :) :) :) YEAH!!
Toll, dass du dir das erfüllen kannst! Weiterhin so viel Spaß und tolle Erlebnisse! :) Freue mich über weitere Berichte!
Liebe Grüße
Dankeschön, wünsche dir auch ganz viel Spaß!!!
…du hast eine tolle Art an Dir und lebst das Leben vieler Träume. Mach weiter so und nehme uns mit auf den Fluß der Abenteuer. cu der z.engel
Ich gebe mir Mühe ;)
Hallo habe deinen tollen Bericht bei VOX gesehen.
Bin beeindruckt, wie Du das alles so locker rüberbringst.
Und wie offen die Menschen sind. Wow
Warte schon mit Spannung auf die nächsten Berichte.
Mach weiter so und viel Erfolg bei deinen Abenteuer.
L.G.
Liebe Gaby, danke für Mail und Kommentar :)