Jetzt bin ich still. Muksmäuschen still und glotze nur nach vorne. Das ist der absolute Wahnsinn. Das ist unglaublich! Ich stehe vor der Dibaita Puflatschhütte und schaue auf kilometerweite grüne Täler, die im Verlauf nach oben schneeweiß werden. Und ganz tief im Tal, da hängt ein dicker Nebelschleier. So sieht das Leben in den Bergen aus. Das ist so beeindruckend, dass ich erst einmal mit offenem Mund da stehe, bevor es los geht.
A:„Boa“
B:„Boa scheisse.“
A:„Boa scheisse ist das geil.“
B:„Boa scheisse ist das grandios geil.“
A:„Ich glaub es nicht.“
B:„Ich kann es auch nicht glauben.“
A:„Dieser Ausblick, ist das wirklich unsere Hütte?“
B:„Also unsere Koffer sind schon drin.“
A:„Die 16 Stunden fahrt haben sich gelohnt!“
B:„Oh Gott und wie. Ich glaub das ist einer der schönsten Orte, an denen ich bis jetzt war.“
A:„Boa, das ist so krass.“
B:„Ja, das ist so krass.“
A:„Geil.“
B:„Endgeil.“
Ich schleudere schnell Koffer und Rucksack in meine Unterkunft. Ein niedliches, kleines Zimmer mit zwei Stockbetten und Etagendusche, die man wegen des Wassermangels nur abends benutzen darf. Das hier Wassermangel herrscht, kann ich voll nachvollziehen. Die Dibaiti Hütte ist im absoluten Nowhere! Irgendwo zwischen Pisten in den Bergen auf der Seiser Alm. Nach 16 Stunden habe ich endlich mein Ziel erreicht.
Start – Berlin Hauptbahnhof. Als sich die meisten durch den Berliner Feierabendverkehr geschlagen haben, um nach Hause zu kommen, die Füße hoch zu legen und es sich auf dem Sofa bequem zu machen, bin ich zum Hauptbahnhof gefahren, um meinen Schlafwagen zu beziehen. Ich fahre mit dem DB City Night liner von Berlin nach München. Im Schlafwagen 19, Kabine 52 habe ich ein nettes Abteil nur für mich, mit Bettzeug, Handtuch und eine Flasche Wasser. Um sechs Uhr weckte mich liebevoll die Stimme des Zugpersonals: „Der nächste Halt ist dann München Hauptbahnhof. Wir bitten unsere Passagiere…“ Es ging weiter von München nach Bozen. Hier bin ich mit den Bus 170 Richtung Kastelruth weiter gefahren, eine Station vor Seis ausgestiegen und zur Bergbahn gelaufen.
Nach Nachtzug, Bahn, Bus und nun auch noch Gondel wartete das Schneemobil auf mich. Gepäck und Ski kamen in den Anhänger und dann begann eine rasante Fahrt über die Pisten, bis wir nun hier vor der Dibaiti Hütte, in der ich heute übernachten werde, stehen. Nach einem Rundgang durch die wunderschöne Schneelandschaft sitze ich auf der Terressa der Hütte, esse Apfelstrudel und genieße den Ausblick. Und natürlich beobachte ich die anderen Gäste.
Vier ältere Damen sitzen in der Ecke der Stube, trinken Holundersaft und heiße Zitrone und spielen Karten. Das gefällt mir. Die werden richtig bissig, wenn es nicht rund läuft und nehmen das Wort „Scheisse“ in den Mund. Ich schau genauer hin und höre: „Mein Stich.“ Aha, sie spielen Schafskopf. Nebenbei reden sie über Gott und die Welt, die Nachbarn im Dorf, die Männer, die Wäsche, das Leben an sich, tragen gestrickte Trachtenjäckchen und Haarteile auf dem Kopf. Als ich die vier älteren Damen so sehe, wünsche ich mir auch einmal im höheren Alter mit meinen Freundinnen in einer Almhütte zu sitzen und Karten zu spielen. Das ist jetzt als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, an alle meine Freunde, dass sie bitte bis zur Rente Karten spielen lernen.
Ich glaube ich könnte mich sehr gut an solch ein Hüttenleben gewöhnen. Nachmittags Tiroler Speckknödel selber machen, danach mit allen Gästen zusammen in der Stube essen, anschließend Brettspiele oder Karten spielen und um 10 Uhr ins Bett gehen. Keine Party, keine tolle neue Shoperöffnung oder eine Vernissage. Nur Almdudler und Apfelstrudel.
Kurz vor der Hüttenruhe gehe ich ein letztes Mal auf die Terrasse. Es ist stockdunkel und ich sehe die Lichter in Bozen leuchten. Dann höre ich einmal ganz genau hin und kann es kaum glauben. Ich höre nichts. Keine Autos, keine Flugzeuge nichts. Wahnsinn. Es gibt ja angeblich Menschen, die immer in der Großstadt wohnen und das Geräusch der Stille nicht ertragen, geschweige denn kennen. Die werden dann ganz unruhig und nervös, wenn sie kein Geräusch im Hintergrund haben. Ich hoffe ich werde nie so. Gerade eben, finde ich es einfach nur großartig, die Stille. Ja, ich plane schon im Kopf meinem Umzug von Berlin auf die Berghütte, wie ich mit Sack und Pack in die Gondel steige und mich für ein Leben in den Bergen entscheide. Natürlich weiß ich, dass das jetzt nie passieren wird und dass ich wahrscheinlich nach zwei Wochen einen Koller bekomme durch zu viel Stille, aber manchmal ist es einfach nur schön zu träumen was irgendwann einmal sein könnte und das ist der perfekte Ort dafür.
Die schönste Sackgasse, in die ich je gegangen bin // Bild: Off the Path
Das Ende der Sackgasse – eine Hütte und das Tal zu Füßen
Die Dibaita Hütte auf der Seiser Alm in der man sich ein Leben in den Bergen vorstellen kann!
Sprachlos. Eine unglaubliche Aussicht und auf ca. 2500 Höhenmetern wird man sogar braun!
Südtiroler Apfelstrudel
Blick über die Seiser Alm
Ich glaube, es gibt keine Hütte auf der Seiser Alm mit einem besseren Ausblick als die Dibaita Hütte
Sonnenuntergang hinter dem Schlern – das Wahrzeichen Südtirols
In Südtirol kommt man an einem Knödel-Kochkurs nicht vorbei!
PS: Vielen Dank an Tourismus Seiser Alm, dass sie mir diese Reise ermöglicht haben. Für ca. 46 Euro pro Person kann man dieses einzigartige Hüttenerlebnis nachempfinden.
10 Kommentare
Wow! Toller Bericht und „geile“ Aussicht.Endgeil :-)
Und falls du bis zur Rente keine Freunde gefunden hast, die Kartenspielen können, ich kann es und könnte mir so einen Altersruhesitz sehr gut vorstellen, noch besser, wenn man nicht so lange warten müsste, bis man alt ist, meine ich;-) LG Nicole
Was kannst du denn für Spiele? ;)
Hallo schöner Beitrag. Nur das Kartenspiel nennt sich Watten. 4 Ältere Damen schimpfend beim Kartenspielen auf der Alm und machen einen Stich das kann definitiv nur Watten sein.
Ganz modern für so ein traditionelles Volskspiel :Spielregeln und sogar eine onlinevariante gibt es hier: http://www.watten.org
Ich möchte mich korrigieren – natürlich ist Schafkopf nicht komplett falsch – wird jedoch in Südtirol nicht so genannt – umsere variante ist als Watten bekannt :-)
eine Interessante Vorstellung das eine Berlinerin – die aus dem ganzen Trouble in unser schönes tirol zieht :D
aber sage rechtzeitig bescheid, dann bin ich gerne dabei und komme dich auch mal besuchen, von mir aus auch zum karten spielen :)
liebe grüße
Danke ;)
wow ich lese gerne deine Beiträge
Das Kartenspiel kenne ich auch noch von frpher
Inzwischen sind ein paar Jahre vergangen und das Kartenspiel gibt es mittlerweile sogar als App:
https://watten-suedtirol.com/