Ich denke, dass wir alle schon einmal diesen Gedanken hatten, dass wir einfach viel zu verwöhnt sind und gewisse Sachen einfach nicht mehr schätzen. Ich zumindest habe diesen Gedanken immer, wenn ich in Deutschland lande und gerade von einer Reise in einem weniger entwickelten Land komme. Dann blicke ich in die grimmigen Gesichter, beobachte Menschen, wie sie meckern, wenn sie keinen Sitzplatz im Bus bekommen und schaue ganz genau auf die Stirn und die Schweißtropfen, die sich durch ihren Frust und ihren selbstgemachten Stress langsam bilden. Kurz vor dem Explodieren sind diese Menschen. Und das (fast) jeden Tag. Warum? Weil Nichtigkeiten nicht funktionieren. Diese kleinen Dinge, wie die Verspätung der Bahn, ein kaputter Kaffeeautomat oder eine leere Zigarettenschachtel bringen Menschen aus der Fassung. Natürlich, ich muss zugeben, dass auch ich aus der Fassung zu bringen bin und manchmal einfach nur laut schreien möchte, weil mir so einiges so ziemlich auf den Sack geht. Trotzdem, finde ich, können wir ab und zu mal einen Moment genießen, uns auf das Wesentliche beschränken und unserer eigenen Leidenschaft nachgehen.
Raimundo lebte die letzten 35 Jahre auf der Straße. Er hat sich selbst eine kleine „Insel“ gebaut, auf einem Mittelstreifen einer dicht befahrenen Straße in Goiâna in Brasilien. Seine „Insel“ ist ein Gebilde aus gesammelten Dingen, die ihm Schutz geben und ein Gefühl von Zuhause vermitteln. Raimundo hat eine ganz große Leidenschaft und das ist das Schreiben. Für mich, als kleiner Schreiberling und Journalismusstudent, ist dies das Größte was einem passieren kann, denn wir leben heute in einer so schnelllebigen Zeit, dass wir häufig gar keine Zeit für unsere Leidenschaft haben. Nicht umsonst werden jetzt alle Texte kürzer, einfacher und sowieso nur online veröffentlicht. Raimundo sitzt dort auf seiner Insel, Tag ein, Tag aus und schreibt wunderschöne Gedichte auf seinen Block. Sein größter Wunsch ist es, seine Gedichte in einem Buch zu veröffentlichen. Aber wie soll das gehen, als Obdachloser in den Straßen Brasiliens?
Shalla Monteiro ist einer dieser Menschen, der nicht wegschaut, wenn etwas passiert und sie wurde auf Raimundo und seine Gedichte aufmerksam. Der alte Mann, der da mit seinen langen Dreads auf dem Mittelstreifen war und sich auf seiner ganz eigenen kleinen Insel sicher fühlte hatte einen Traum und eine Leidenschaft und das wollte Shalla verbinden.
Mal wieder eines dieser Videos, das mich zum Nachdenken angeregt hat. Natürlich können wir nicht alle die Welt verbessern und natürlich gewöhnen wir uns alle an das Umfeld in dem wir großwerden und aufwachsen. Aber dieses Video zeigt einfach einmal wie wichtig es doch ist auch in den schwersten Situationen an eine Sache zu glauben und seiner Leidenschaft zu folgen. Und bevor ich hier in ganz große Worte versinke, schaut ihr euch besser das Video an und sagt mir, was eure große Leidenschaft ist.
Der Geduldete from Moritz on Vimeo.
4 comments
Danke für diese rührende Geschichte. Ich hoffe es wird immer Menschen geben, die hinschauen und etwas tun, dann ist unsere Gesellschaft noch zu retten.
Eine tolle Geschichte, die einen mitten im grauen Alltag wachrüttelt. Ich bewundere die Menschen, die ein zu Hause in sich gefunden haben und die Menschen, die es sich trauen dies zu sehen, die das wahrnehmen können und dies für nicht so mutige sichtbar machen.
Vielen Dank für den schönen Beitrag
Gerne!
NICE