Montag. 8:30 Uhr. Der Wecker klingelt.
Ich stehe auf. Sehr diszipliniert dafür, dass ich eigentlich machen könnte was ich will. Ich muss mich in keine U-Bahn setzen, um in ein stickiges Büro zu fahren. Ich könnte einfach liegen bleiben, im Pyjama, den ganzen Tag, und vor mich hinvegetieren.
Aber ich mag Disziplin. Und es gibt viel zu tun. Deshalb stehe ich auf, mache mir einen Kaffee und sitze Punkt 8:45 vor meinem Laptop um anzufangen etwas zu tun. Sachen sortieren, Mails schicken, Artikel schreiben, bürokratische Scheisse erledigen… Ich sitze da und tue und mache und vergesse vollkommen die Zeit. Ich bin so in Gedanken vertieft, dass ich erst Sekunden später in meinem Gehirn registriere, dass es an der Tür geklingelt hat. Ich stehe vom Stuhl auf, tiger zur Sprechanlage und frage vorsichtig: “Wer ist da?”
“Der Postbote, ich habe ein Paket für sie.”
Was ein Paket für mich? Von wem den und was? Ich versinke in meine kleine Paketbekommwelt und vergesse ganz den Postboten am Hörer.
“Machen sie mir vielleicht auf?”, fragt er ungeduldig.
“Natürlich”, ich drücke auf dem Knopf über den Hörer aus dem normalerweise ein tiefes Brummen ertönt. Doch heute schweigt er.
“Hallo? Sind sie noch da?”, frage ich den Postboten.
“Ja, ich bin noch nicht weggelaufen.”
“Der Türöffner geht nicht, ich komme runter.”
“Ok”, ich nehme eine leichte Genervtheit in seiner Stimme wahr. Gerade als ich den Satz “Ich komme runter” vollendet habe, wird mir die Situation bewusst. Ich kann gar nicht vor die Tür. Ich sehe aus wie ein Penner. Es ist 14 Uhr und ich habe immer noch meinen rosa Schlafpulli mit dem Sabberflecken auf der Brust an. Dazu eine viel zu weite, graue Schlabberhose. Meine leicht fettigen Haare sind mit einer glitzernden Plastikspange nach hinten geklemmt und ich trage eine Brille, die so dreckig ist, dass ich kaum durchsehen kann. Ich überlege kurz, dem Postboten abzusagen. “Sorry, kann jetzt doch nicht kommen, habe eine ansteckende Viruserkrankung, eine späte Schweinegrippe und darf das Haus nicht verlassen, geschweige den Kontakt zu Menschen haben.” Aber ich will unbedingt dieses Paket und wissen was drin ist. Also habe ich mir schnell einen Trenchcoat übergeworfen, der schon mal den vollgesabberten Schlafpulli versteckte. Schnell zog ich noch ein paar Socken an, schlüpfte in meine Ballerina, Warf mir einen Filzhut auf den Kopf und rannte die Treppen runter. Ich wurde rot, obwohl mich noch keiner gesehen hat. Aber ich wusste, dass ich aussehe wie eine Bettlerversion von Humphrey Bogart in weiblich und klein. Jeder der mich in diesem Zustand sieht, muss denken ich bin ein verwahrlostes, erbärmliches Wrack. Vor der Tür steht der Postbote, wippt ungeduldig mit dem Fuß hin und her und entdeckt mich durch die Glastür. Gerade als ich den Türgriff in der Hand habe und meine Lippen mit der Zunge leicht befeuchte, die durch das Schweigen des Vormittags ganz trocken geworden sind, fällt mir das Schrecklichste vom Schrecklichsten auf. Ich habe noch nicht einmal meine Zähne geputzt. Da ist auch schon die Tür auf, der Bote streckt mir ein Gerät entgegen auf dem ich unterschreiben soll und fragt mich gleichzeitig:
“Könnten sie das bitte für ihre Nachbarn annehmen?”
“Was? Das Paket ist nicht für mich?”, denke ich mir nur innerlich. Ich nicke willig, mache mit meiner Hand eine Bewegung zum Hals und verziehe mein Gesicht, als hätte ich unglaubliche Schmerzen.
“Halsweh, wa?”
Eifrig nicke ich, schweige, nehme das Paket entgegen und winke schnell zum Abschied.
Da stehe ich, wie ein Penner im Pyjama. Die Socken habe ich auch falsch herum an. Entweder denkt der Postbote ich bin wirklich krank oder extrem assi. So eine arme Seele, die den ganzen Tag vor der Glotze hockt und nichts mit seinem Leben anzufangen hat. Wenn ich ihm nur erklären könnte, dass ich kein fauler Sack bin, sondern ein viel beschäftigter Selbstständiger, der über der ganzen Arbeit das Umziehen vergessen hat.
Ich schäme mich den Rest des Tages in Grund und Boden.
Dienstag: 8:30, der Wecker klingelt. Ich stehe auf, gehe ins Bad, nehme eine Dusche, putze meine Zähne, ziehe den Pyjama aus und mir richtige Kleidung an, die Socken richtig herum und sitze um Punkt 9 vor dem Laptop. Heute kann kommen wer mag, ich sehe nicht wie ein Penner aus. Ich sehe gut aus. Und fühl mich gut! Aber natürlich kommt niemand…
17 Kommentare
Super Post! Genauso sehe ich auch aus, wenn ich mal wieder zu faul bin mich anzuziehn und ich weiß das mich eh niemand sehn wird, bis auf der Postbote vielleicht. :x
Mach weiter so! :)
Lg, Julia
hihi witzig! Aber Christine, mir geht das hier jeden Tag so, du weißt warum ;) ich mach mich für die diversen Postboten schon lang nimmer hübsch!
Um 14 Uhr kann es auch sein dass du Nachtschicht hattest und tatsächlich grad erst aufgestanden bist. schonmal so gesehen??? so red ich mich gedanklich immer raus*G*
na ja, ich bin Studentin und bei mir ist es nicht anders ;) was aber noch schlimmer ist: bei uns kommt die Post erst am Nachmittag und da sitze ich immer noch im Pyjama :) was kann ich schon dafür, dass meine Vorlesungen erst um 16 Uhr beginnen ;)
@ Julchen: Wenigstens die Zähne putze ich mir jetzt jeden Morgen ;)
@ Veri: Du weißt wenigstens, dass jeden Tag Post kommt ;)
Männer sind nicht stubenrein
ich glaube postboten sehen öfter mal so leute :D ist mri auch schon passirt dass es aufeinmal klingelt und ich denke mist mist..wie sehe ich aus? so kann man doch keinem die tür aufmachen
das ist so süss, dass du annimmst berliner postboten interessierten sich dafür, wie die leute aussehen! du kommst aus einer ganz kleine stadt, oder? nett geschrieben!
drehe den Spiess mal gedanklich um. Was und ob würdest du als Bote denken?
PS: Außerdem sieht man aus wie ein Wrack und nicht wie ein Frack *g
@Stella: Ich glaube auch ein Postbote merkt, wenn er gerade einen optischen Penner vor sich hat.
Haha sehr geil^^du schreibst so toll ich lese deine einträge so gerne :)
Das klassische Homeoffice-Problem :-)