Nach 4,5 Jahre in der Weltgeschichte bin ich jetzt stolze Wiederbesitzerin meines ehemaligen Haustürschlüssels bei… Mama. 2009 verließ ich mein gewohntes Nest in Berlin und realisiert den Umzug nach Köln. Eine eigene WG mit einer Hamburgerin. Gott, wie habe ich mich darauf gefreut. Endlich mal so lange weggehen, wie man will und den Döner nach dem Feiern mit nach Hause nehmen können, ohne dass sich jemand über den Zwiebelgeruch am Morgen danach beschwert.
Endlich mal auf das tägliche Aufräumen im Zimmer verzichten und einen guten Klamottenberg formen, ohne dass man mittendrin gestört wird. Toll war das. Auch die Parties am Wochenende waren super. Bis es dann an das Aufräumen ging und Mama nicht mehr da war. Gut, das musste ich dann wohl lernen. Lernen musste ich auch, dass da jetzt eine andere Person in der Wohnung ist, die einen anderen Namen als Mama trägt und andere Macken hat. Die aber genau so viel Bock auf ein Leben nach Mutti hatte wie ich. Zum ersten Mal ging es dann so richtig in den Genuss der Freiheit: eigener Schlüssel, eigene Wohnungstür, eigenes Fach im Kühlschrank.
Nach dem Umzug nach Köln ging es für mich weiter, nicht nur durch die große Welt, sondern auch durch alle möglichen Formen des Zusammenlebens. Und so ging es los: Zuerst der Umzug nach Bali, dieser kleinen Trauminsel in Indonesien. Auf Bali lebte ich für sechs Monate in einem Traumhaus mit kaltem Wasser. Eine Sache, die man sich bei 40 Grad Außentemperatur nicht wirklich zu Herzen nimmt. Toll wird es dann, wenn man den Balkon öffnet und das Meer zwischen den Palmen vor dem Fenster erspähen kann.
Weiter ging es dann mit dem Umzug ins kalte Dänemark: Eine Etage, 12 Zimmer, eine Küche und Tour de Chambre, eine monatliche Party, die von Zimmer zu Zimmer bis in die frühen Morgenstunden ausgelassen gefeiert wurde. Ein Zusammenleben mit 12 Dänen, aber eigenem Badezimmer, hatte so seine Vorzüge. Es gab immer gutes Essen. Es war immer sauber und dank des Gemeinschaftsgefühls der Nordischen Nachbarn fühlte man sich nie alleine. Wobei das generell schwierig ist, wenn da 12 andere auf der gleichen Etage leben. Generell eine super Sache, so ein Studentenwohnheim.
Von Dänemark aus folgte der Umzug an das andere Ende der Welt und in zwei neue, heftige Wohnungsabenteuer mitten in Sydney. Nummer Eins: Ich wohnte mit einer Omi zusammen. Aber keine Nette. Eine von diesen richtig zickigen älteren Damen, die selten das Haus verlassen und wegen des Mangels an Unterhaltung und Haustieren generell schlecht drauf sind. Trotz großer Bemühungen und Gummibärchen aus Deutschland, hat es einfach nicht funktioniert. Aber so rein gar nicht. Memo an mich selbst: Ziehe nie wieder in das Haus einer älteren Dame, die kein Spaß am Leben hat, es nicht ändern möchte und deren Zimmer direkt neben deinem ist.
Danach half nur noch eins: Umzug in ein Hippiehaus am Bondi Beach, direkt in Sydney. Oh yes, dachte ich. Geschafft hab ich es. Ich studiere in Sydney, habe einen coolen Job und wohne am Bondi Beach, dort wo morgens die heißen Surfer ins Wasser springen und eine Welle nach der anderen nehmen. Aber eben auch dort, wo das Leben so unbezahlbar ist, dass man mit 13 Leuten in einem Haus mit vier Zimmern wohnt. Davon war eins ein Einzelzimmer. 12 Leute also in drei Zimmern. Gute Sache: alle meine Mitbewohner kamen aus anderen Ländern und so gab es jeden Tag einen anderen Feiertag. Die Deutschen brauchten ihr Osterfest. Die Brasilianer brauchten ihren speziellen Feiertag, Festa Junina, an dem es neben Glühwein auch noch Schokolade gab – fast wie zu Hause. Die Argentinier brauchten ihr tägliches Steakfest und der reingeschmuggelte Schwede lag eh nur am Strand zum Bräunen.
Von Sydney startete dann der völlig ungeplante Umzug nach London: kalt, grau und regnerisch. Da halfen nur noch vier Griechen mit denen ich in Kilburn lebte und mich täglich wie auf einem Spaziergang durch Neukölln oder Wedding fühlte. Nach einer 12-köpfigen Dänenmansion und einem 13-köpfigen Hippiehaus ging es jetzt in das 4-köpfige Ouzo-trinkende und Sirtaki-tanzende Rhodos mitten in London. Hier gab es ein tägliches warmes Essen, Schnaps zum Abwinken und ein geteiltes Zimmer, denn alles andere lässt dich in London entweder am anderen Ende der Stadt auftauchen oder vernichtet sämtliche Restbeträge und Dispos auf dem Konto.
Nachdem ich mindestens einen Umzug pro Himmelsrichtung geplant habe, ging es jetzt wieder zurück nach Hause. Eine Zeit lang habe ich mich gefragt, wo dieser Ort ist, der zu Hause heißt, bis ich meine Sachen in meinen alten Schrank getan habe und den Luxus meines alten Betts erkannt habe und wusste: aha, Berlin also. So wohne ich seit geschlagenen drei Tagen mal wieder da wo alles anfing: bei Mama.
Mama musste, nachdem Willkommenstränen verwischt waren, erst einmal nach dem Zweitschlüssel suchen und Platz in meinem Schrank machen, bevor sie mich so richtig begrüßen konnte. Umzug Nummer 5. Da bin ich jetzt wieder. In einer Wohnung mit stetig vollem Kühlschrank, perfekt gebügelter Wäsche und einem täglich frischen Strauß Blumen auf dem Tisch, der meinen angesammelten Kaffeetassen der ganzen Woche den Platz wegnimmt.
Wenn man sich mal so die Statistiken anschaut, dann sind wir Deutschen nicht schlecht im Ausziehen. In Italien warten Männer bis zu ihrem 31. Geburtstag, um dann in ein neues Haus zu ziehen. Ich bin 23 und habe schon in fünf verschiedenen Häusern gelebt, bis es mich wieder an die Quelle des Ursprungs zurückgezogen hat. Dafür gebe ich mir selbst einen High Five. Auf den 5. Umzug! Trotzdem geht es jetzt erst einmal ans Eingemachte.
Wie kann man wieder zu Hause wohnen, nachdem man 4,5 Jahre lang ein Nomade war und aus dem Backpack gelebt hat?
8 Uhr morgens: Der Wecker klingelt. Nicht. Denn geweckt werde ich mit einem Ruf aus der Küche. Mama hat Frühstück gemacht. Luxus denke ich. Bis der Smalltalk am Morgen losgeht, den ich die letzten Jahre locker vermeiden konnte, indem ich mich allein in mein Bett legte und, vom wenigen Schlaf traumatisiert, meinen Müsli in mich hereinschaufelte ohne auch nur ansatzweise einen Geschmack erkennen zu können.
9 Uhr: Auf geht’s zur Arbeit. Wenn man alleine wohnt, schnappt man sich die Tasche und geht. Zu Hause gibt es noch die Fragen für den Weg: Hast du genug Geld? Brauchst du Fahrgeld? Hast du Taschentücher eingesteckt? 10 Minuten später habe ich das Haus verlassen und die Bahn verpasst. Bis zum Abend ist dann jetzt erst einmal Ruhe und ich erfreue mich meines Tags, den ich ganz alleine ohne Fragen und Tipps genießen kann, bis es dann 18/19 Uhr ist. Erst eine SMS. Dann ein Anruf. Dann Whats App: Wann kommst du nach Hause? Kurz frage ich mich, ob ich einen Termin oder eine wichtige Fernsehsendung nicht auf dem Schirm habe. Dann fällt mir ein: richtig, Mama wartet mit dem Essen.
Zu Hause angekommen geht es weiter mit dem Small Talk. Der Tag wird erörtert und das Essen für den nächsten Tag geplant. Das alles nachdem ich die neuen Blumen begutachtet habe und meine frisch gewaschenen und zusammengelegten Klamotten von meinem Bett in meinen Schrank gelegt habe. Das ist doch schon ein Umzug in den Luxus, denke ich mir dann und ich glaube, ich habe Recht.
Man sagt immer, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wenn es um die Ähnlichkeiten zwischen Eltern und Kindern geht. Wenn ich mir das so genau anschaue, bin ich doch auch wie meine Mama, nur dass ich morgens keine Lust auf reden habe und gerne mit einem stinkigen Nachtsnack nach dem Feiern nach Hause komme. Ich erfreue mich eines vollen Kühlschranks, einer sauberen Wohnung, genug Tellern im Küchenschrank und gewaschener Kleidung. Nur dass das Ganze etwas schwieriger wird, wenn man als Studentin und Reisende von Ort zu Ort zieht und weder das Geld, noch die Kapazitäten zu solch einem Luxusverhalten hat. Wenn man so alleine wohnt, dann gibt es statt Omelette zum Frühstück, eine Punkerpfanne zum Mittag. Alle Restbestände des Kühlschranks werden zusammengekratzt und als Deluxe-Essen aus dem Topf gelöffelt, damit man Zeit mit dem Abwasch spart. Zu Hause ist das alles ganz anders. Mama kriegt es hin drei Mahlzeiten plus Lunchbox zu machen und nebenbei das Haus zu putzen und lässt dabei nie, aber auch wirklich nie, einen Tellerberg entstehen. Das finde ich beachtlich. Mama kriegt es auch hin, dass ich jeden Morgen mit frisch gewaschenen Sachen das Haus verlasse und genug Zeit habe mich endlich mal wieder anderen Sachen zu widmen. Das alles sind Sachen, die man schätzt, wenn man wieder zu Hause einzieht.
Nebenbei gibt es auch noch einen anderen Gedanken, den ich bisher immer vergessen habe: Mama freut sich sicher auch, dass ich mal wieder zu Hause bin und ihr ein bisschen Gesellschaft leiste und vielleicht sollte ich mir öfter vor Augen halten, dass ich hier gerade mein eigenes Zimmer habe und keine 12 oder 13 anderen Leute um mich herumschwirren. Trotzdem ist es schwierig das Nomadenleben abzulegen und sich nun rechtfertigen zu dürfen, wenn man zu lange vor dem Computer sitzt und anscheinend ständig nur vor Facebook sitzt. Auch wird es schwierig, wenn man jetzt wieder fragen muss, ob es ok ist, wenn Freunde vorbeikommen. Die letzten Jahre lebte ich mit Freunden zusammen, die wiederum ihre Freunde einluden. Solche Probleme gibt es einfach nicht, wenn man alleine wohnt.
Ich kann euch sagen, es ist nicht einfach, aber auch nicht schlimm. Bis jetzt freue ich mich, dass ich mal wieder ungeknitterte Sachen besitze, die ich nicht täglich aus dem Backpack fischen muss und plane erst einmal keinen weiteren Umzug. Mal schauen, wie sich das alles so entwickelt… Immerhin gibt es zu Hause immer eine Schnapsvitrine.