Schneller, schneller, schneller. Den Fahrtwind spüren, das Rauschen der Kette hören und das Ziehen im Muskel spüren. Vorbei an leeren Pappbechern auf dem Gehweg, vorbei an parkenden Autos und wehende Haare im Gesicht. Ich fahre nie mit geschlossenen Haaren, dann kann man es ja gleich lassen. Man muss es doch spüren. Scheiss auf die Frisur. Man muss es fühlen, bis in die Haarwurzel. Die Schnelligkeit, den Wind und die Nacht. Es gibt nur wenige Augenblicke, an denen Berlin still steht. Am Wochenende ist es fast unmöglich einen dieser Momente zu erwischen. Doch Samstagabend um halb 12.
Wenn es zum nach Hause oder weggehen noch zu früh ist. Dann ist ganz kurz Stille zwischen den Kreuzungen. Dann hat man die Danziger für sich, Platz und Ruhe einmal kurz die Augen zu schließen und tief einzuatmen. Den Duft von frisch gemähten Gras, auf dem heute Mittag die Grillkohle heiß lief und kein Zentimeter des Rasens unbedeckt blieb. Ich möchte gar nicht sehen, wie schön leer nun alles ist. Mir reicht der Geruch, die Frische, die sich in meine Nasenwand brennt und der Höhepunkt wenn eine Nuance Flieder auftaucht. Gemähtes Gras riecht nach Freiheit und tausend Erinnerungen kommen hoch. Ferien auf dem Ponyhof. Knutschen in der Wiese. Camping im Allgäu. Doch egal an was ich denke, immer weiter strampeln. Links und rechts rauschen Spätis und Leuchtbanner vorbei und vor mit tanzt mein Schatten auf dem noch warmen Asphalt. An der nächsten Ampel muss ich kurz stehen bleiben. Mein Herz springt. Kleine Luftsprünge macht es. Ich spüre mich. Meine Augen sind wach. Menschen. Menschen mit Skatboards unter der Achsel und Kippe in der Hand. Riesenkopfhörer sitzen auf Ohren und ich frage mich, was sie wohl hören? Und noch mehr interessiert mich, was sie dabei fühlen. Und wohin gehen sie, all die Menschen, die jetzt über die Kreuzung gehen. Bin ich die einzige, die sich so oft fragt, was der andere denkt und wie er lebt? Wie oft mach ich schon den Mund auf und habe den ersten Buchstaben in der Kehle, der den Satz sagen möchte: “Darf ich mitkommen? Darf ich mal schauen wie du lebst? Darf ich für ein paar Stunden eintauchen in dein Leben?”
Die würden mich doch für verrückt erklären. Grün, ich fahre weiter und wenn ich es schon nicht erleben kann, dann male ich mir das Leben des Jungen mit dem Skatboard unter der Achsel aus und überlege mir, wie der Schlafanzug von dem Mädchen mit der Kippe in der Hand aussieht und welches Lied aus dem Lautsprecher kam, als der junge Mann seinen ersten Kuss bekam. Ich fange an diesen Moment zu lieben. Berlin, der Geruch von Gras, das Alleinsein und diese ganzen Gedanken. Wie ich fahre durch die Nacht, mit dem kühlen Fahrtwind im Gesicht und der Freiheit im Herzen. In solchen Momenten überlege ich, ob ich gleich wenn ich zu Hause bin mich hinsetze und das alles runterschreibe. Oder, ob ich diese Momente für mich behalte. Ich müsste eigentlich links abbiegen doch ich fahr weiter über Brücken, an der Spree entlang und wieder zurück. Aber sie sind einfach zu schön, um nur bei mir zu bleiben, die Momente. Und vielleicht treffen wir uns nächste Woche, um Mitternacht in Berlin, an der Kreuzung.
10 comments
bei deinem schreibtalent wäre es pure vergeudung,es für dich zu behalten.
ich habe mir schon oft vorgestellt,wie es wäre,einfach mal einem menschen zu folgen.vielleicht hab man ihn in der u-bahn gesehen und fand ihn interessant und steigt dann auch an seiner haltestelle aus.und läuft ihm einfach hinterher.vielleicht geht er einkaufen.oder er besucht jemanden.vielleiht geht er einfach nur nach hause.wie toll das wäre,auch mit in seine wohnung zu können,alles anzusehen und spionieren,wie er wohl lebt.und vielleicht geht er duschen und macht sich hübsch,weil er später ein date hat.und dann würde er vorher vielleicht noch in einen blumenladen gehen und die schönste rose auswählen.
und ich bin sowieso der meinung,dass schon lange eine fernbediehnung erfunden werden sollte,die es dir erlaubt,über deine eigenen kopfhörer die mukke der MP3-player der leute um dich rum zu hören.und ob die menschen überrascht über meine eigene musikauswahl wären?
Das ist eine neue App-Idee – höre dein Umfeld ;)
dieser eintrag ist einer der gründe, warum ich deinen blog lese! danke dir!
Gerne. Dann werde ich doch mal mehr davon raushauen ;)
Oh, ich kenne dieses Gefühl auch nur zu gut. Bin selber oft in Berlin mit dem Rad unterwegs und freue mich einfach… Ich freue mich darüber genau zu diesem Zeitpunkt genau an diesem Ort zu sein. Einfach schön. Auch Nachts mal eine Strasse für sich und sein Rad allein zu haben ist ein Traum!
Was Nachts aber definitiv ein Vorteil ist: Es weniger Leute unterwegs, die scheinbar viel zu spät aufgestanden sind und sich deshalb lautstark aufregen, wenn sie einem anderen Verkehrsteilnehmer doch mal die Vorfahrt lassen müssen…
Ja, der ewige Kampf zwischen Autos, Radfahrern und Fußgänger. Nervig …
Definitiv. Man muss auf alle und jeden aufpassen. Da lob ich mir doch meine kleine Umwegrunde übers Tempelhofer Feld. Da kann ich wenigstens auch mal Musik hören. Im normalen Verkehr mach ich die Stöpsel lieber raus :P
Eine wundervolle Momentaufnahme! Ich kann das Gefühl, das du beschreibst nur zu gut nachvollziehen! Mir geht es manchmal ganz ähnlich und ich überlege wohin der Mann gegenüber im Bus fährt ob er Kinder hat oder allein ist. Witzig dass es dir da auch so geht :D
LG
Ich glaube so geht es einigen ;)