Genua: Bunt bemalte Häuser, geschlossene Fensterläden und brauner Stein prägen das Bild der Altstadt. Ein alter Mann mit Pfeife läuft an uns vorbei und vor den Fenstern trocknet nasse Kleidung in der Abendsonne. Die Umgebung erinnert an alte italienische Filme und ich bemerke wie ich das Bild, das ich von Italien habe, nach den ersten Minuten bestätigt sehe. Ich fotografiere die üblichen Motive und höre, ohne es wirklich zu merken, auf richtig hinzusehen.
“Das ist so Klischee!”, höre ich jemanden sagen und halte inne. Recht hat sie! Und erwische mich dabei, wie ich die Stadt fast in meine vorgefertigte Box packe. Schnell landet die Box auf dem gedanklichen Müllhaufen. Es ist an der Zeit richtig hin zu schauen und die Nuancen der Stadt wahrzunehmen.
Die Straßen der Altstadt wirken eng und gedrungen. Die Häuserfassaden, die in Richtung Hafen zeigen, erinnern an die Mauern einer Burg und wirken bedrohlich auf mich. Später erfahre ich: Die hohen Mauern der Altstadt dienten dem Schutz vor Piraten, Angriffen und der ungestümen See. Abschreckend wirken sie alle mal! Die Altstadt Genuas ist eine der größten in Europa und verwirrend noch dazu. Normalerweise verlaufe ich mich eher selten und komme auch ohne Karte klar. Nicht so auf den Wegen Genuas. Tagsüber tummeln sich in den unzähligen Straßen Händler, die Krimskrams an Touristen verkaufen. Nachts werden die Gassen zum Umschlagplatz für “das älteste Geschäft der Welt”, Prostitution. Dubiose Gestalten laufen mir entgegen. Männer mit Kampfhunden, Personen mit übergezogenem Kapuzenpulli und tiefsitzenden Cappies. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Altstadt allmählich dem Verfall hingegeben. Wirtschaftliche Probleme, Arbeitslosigkeit und Abwanderung haben ihre Spuren hinter lassen und das ist auch heute noch zu spüren.
Gleich gegenüber der Altstadt liegt die Hafenpromenade des Porto Antico. Ähnlich wie im “neuen” Teil der Stadt ist hier das Geld zu Hause. Luxusgeschäfte, prunkvolle Paläste und Patrizierhäuser reihen sich in der Strade Nuove, der Via Garibaldi und der Via Balbi hintereinander. Pompöse Innengärten, Fontänen und Deckengemälde weisen auf den Reichtum der Stadt als vergangene See- und Finanzmacht Europas hin. Um die Vergangenheit zurück zu holen, tut die Stadt einiges. Seit den 80er Jahren wurden große Teile der Altstadt restauriert und der Hafen wieder für Fußgänger und Touristen zugänglich gemacht. Der alte Teil des Hafens wurde im Rahmen der Expo 1992 und zur internationalen Kolumbus-Austellung im selben Jahr aufgehübscht und umstrukturiert. Heute ist er Anziehungspunkt für viele Touristen, denn hier steht das größte Aquarium Europas. Schicke Restaurants bieten ligurische Spezialitäten an und noch schickere Schiffe liegen an den Stegen des Hafens und warten auf ihre reichen Besitzer.
Tourismus ist eh ein rentables Business in der Region. Im Juni, Juli und August füllen sich die Straßen mit Menschen aus der ganzen Welt – hauptsächlich aber mit Deutschen, Amerikanern, Engländern und Franzosen. Ligurien wurde erst vor 10-15 Jahren richtig vom Massentourismus entdeckt, so sagt man mir. Neben dem Tourismus ist die Landwirtschaft eine der wichtigsten und größten Wirtschaftszweige und Arbeitgeber der Region. Ohne Landwirtschaft ergo Wein, Oliven, Fischfang und Muschelkultivation, kein Tourismus. Das gerät oftmals in Vergessenheit. Denn die Cinque Terre sind sexy, die Landwirtschaft nicht. Im Sommer schieben sich massenweise Touristen durch die fünf kleinen Städte Monterosso al Mare, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore. Die Fassaden und das Panorama werden tausendfach fotografiert und sind das Aushängeschild der Region. Dem Rückgrat Liguriens hingegen wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Leider! Denn genau hier finden sich die Menschen, die mit einer solchen Leidenschaft von ihrem Land, ihrer Heimat sprechen, das es ansteckt. Gleichzeitig profitieren genau diese Menschen kaum vom Tourismus. Der findet nur in der Küstenregion statt und wenig von dem Reichtum wird in die hinteren Teile der Region getragen.
Während meines Auslandssemesters in Kopenhagen habe ich viele junge Italiener getroffen. Sie haben ihr Land hinter sich gelassen, weil es dort momentan kaum Perspektiven für sie gibt. Weil sie zwar studiert haben, aber dennoch kaum Arbeit finden. Mir tut es heute noch im Herzen weh, wenn ich mich daran erinnere mit welcher Faszination und Liebe sie über ihr Land gesprochen haben, in dem sie für sich selbst keine Zukunft sehen.
Zum Glück gibt es aber Menschen wie die Gründerinnen von Niasca Portofino. Die Frauen haben sich zusammen getan und wollen über die Landesgrenzen hinweg ihre lokalen Produkte bekannt machen. Die Entscheidung fiel bei einem gemeinsamen Abendessen. Die eine besitzt ein Stück Land, die andere eine Familie mit Restaurant und guten Rezepten, die andere Kenntnisse in Marketing. Teilweise kennen sie sich aus der Kindheit und leben alle in Portofino selbst oder in den anliegenden Dörfern. Gemeinsam wollen sie ihre Region stärken, anderen Menschen ihr Land abseits der touristischen Hochsaison zeigen und ihnen die italienische Lebensweise näher bringen. Neben unglaublich leckerer Limonade verkaufen sie Tomatensaft, Orangenmarmelade, Oliven und Olivenöl, Wein, Pasta und Soßen. Alles selbstgemacht, im eigenen Garten angebaut und geerntet. Neben den landestypischen Produkten bieten sie zudem eine Reihe verschiedener Kochkursen an und vermieten ein Appartement an Feriengäste. Niasca Portofino entspricht, wie man sich vielleicht vorstellen kann, überhaupt nicht dem Stereotyp von Portofino. Der Ort ist eigentlich bekannt für teure Yachten, Luxusgeschäfte wie etwa Louis Vuitton, Privatstrände und die italienische High Society. Umso schöner ist es, dass das junge Unternehmen der Welt eine andere Seite von Portofino zeigt und mit dem Stereotyp bricht. Ich habe mir versprochen: Irgendwann komme ich wieder, buche einen oder zwei Kochkurse bei den Damen und lasse mich inspirieren. Von ihrer Liebe für ihr Land und von der Liebe für ihr Leben. Versprochen!
Vielen Dank für die Unterstützung an Turismo in Liguria!
6 comments
wunderschoen geschrieben und perfekt fuer mich, ich fahr naemlich am donnerstag fuer ein langes wochenende nach genua.
liebe gruesse aus nizza,
carina
Danke! :)
Hoffe du hattest ein schönes Wochenende in Genua!
Die Limonata ist die leckerste Limonade, die ich je getrunken habe <3 Ich träume immer noch von ihr :)
Ich studiere jetzt ein Jahr in Genua und du hast genau das Gefühl beschrieben. Genua ist eine der schönsten Städte, die ich bisher gesehen habe. Auch wenn es dreckig ist und stinkt, aber ich habe mich wirklich in diese Stadt verliebt.
Aber leider stirbt sie aus. Viele meiner Kommilitonen werden nach Mailand oder Turin ziehen, weil hier leider keine Arbeit mehr ist.
Das ist natürlich schade :(
Hallo Sara, ich werde in einem Jahr auch mein Auslandssemester in Genua verbringen und ich würde sehr gerne mehr von deiner Erfahrung hören, da ich mich noch nicht fest entschieden habe und das mir ziemlich helfen würde :)!