Es ist 8 Uhr morgens. Draußen irren schon die Touristen durch Graz, aber in Beates Frühbar ist die Nacht noch in vollem Gange. Alkoholleichen kippen sich das letzte Bier in den Rachen und versuchen mäßig erfolgreich, miteinander zu tanzen. Während ich ein Backhendl herunterwürge, zieht Christine die Vegetarier-Karte und muss sich nicht den Magen verderben. Ich bin neidisch und zwinge sie, zumindest den Kartoffelsalat zu essen. Christine hingegen ist hellwach, hat blendende Laune und befragt gerade unseren Gastgeber Stefan von SKIR, der uns in die üble Spelunke geschleppt hat. Auch Stefan ist Blogger, und so verlaufen die Gespräche etwa so: „Und, wie viele Klicks hast du pro Tag? Welches war dein erfolgreichstes Video? Kennst du den Blogger xyz?“ In diesem Gespräch fallen etwa 100 Namen, die ich alle noch nie gehört habe.
Christines Festival-Projekt führt sie fast einmal um den Erdball, und die meiste Zeit ist sie dabei alleine. Beim zehnten Festival sollte dies anders werden, und so mache ich mich auf den Weg nach Graz. Als ich ankomme, stellt sich das größte Problem bald heraus: Kein Internet im Zimmer, um Gottes Willen! Christine verbringt auf einmal sehr viel Zeit in der Lobby. Immer ist die Kamera mit dabei, immer hängt sie am iPhone. Und sobald das Internet endgültig absäuft, bekommt sie Atemnot. Es macht Spaß, ihr bei der Arbeit zuzusehen und ihr zu assistieren. Kuscheln mit einer Weinflasche oder Hüpfer in der Dusche? Alles kein Problem! Am Frühstücks Büfett steht sie Ewigkeiten herum, schaut sich jedes Lebensmittel dreimal an. Dann nimmt sie einen großen Teller und drapiert darauf alles zu einem kunstvollen Bild. Zum Schluss wird noch Kresse darüber gestreut und das Ganze sofort fotografisch dokumentiert.
Christine hat nie Feierabend. Immer möchte sie ihre Leser unterhalten und ist auf der Suche nach Unbekanntem, nach einem tollen Foto oder einer spannenden Geschichte. Und auch ihre Mit-Festivalbesucher haben keine Chance gegen ihren Enthusiasmus. Gutmütige Schweizer werden zu elektrischen Tanzversuchen genötigt (sie waren zu betrunken um sich zu wehren) und ihr Essen wird geklaut, bevor sie einen Bissen zu sich nehmen können. Denn seid beruhigt: Nicht alles, was bei ihr auftaucht, wird auch von ihr selbst gegessen.
Aber sie hat auch blendende Laune und eine nicht endend wollende Energie. Ständig treffen wir Menschen, die sie auf irgendwelchen Internet-Social-Media-Facebook-Twitter-Wegen, die sich mir nie erschließen werden, kennen gelernt hat oder die ihr über drei Ecken empfohlen wurden. Diese Fremden zeigen uns die Stadt, stellen uns ihre Freunde vor oder laden uns gar zum Grillen mit der Familie ein. So werden sie schnell zu Freunden, und auf einmal fühlt sich Graz ganz heimatlich an. Kein Wunder, dass Christine in fast jedem Ort, den sie besucht, eines Tages leben möchte.
Ein Problem kristallisiert sich in Graz heraus: Weder sie noch ich sind Nachtmenschen. Um 3 Uhr in der Früh stehen wir dösend auf der Tanzfläche, von hinten brüllt jemand in mein Ohr: „This is a fucking dancefloor, not a bed!“ Es wird Zeit, nach Hause zu wanken. Und mich bei dir zu bedanken, liebe Christine: Für die schöne Zeit in deiner Gesellschaft und für viele neue Erfahrungen. Und bitte verzeih mir das zeitweise Internetverbot. Es war nur zu deinem Besten!
Charmante und ehrliche Berichterstattung von Gastautorin und ehemalige „90 Nächte, 90 Betten„-Gastgeberin Thekla Bartels
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