Ich selbst streite nicht oft und auch nicht besonders gerne. Aber ich kenne Paare, die brauchen Zoff wie Udo Lindenberg seine Sonnenbrille. Sie knatschen, zanken und zerren als gäb’s kein Morgen. Sie spielen eine ganz schmuddelige Version von Pingpong, wenn sie sich Gemeinheiten um die Ohren knallen. In ihrer Streitlust kramen sie längst Vergessenes heraus, um den anderen damit zu piesacken. Sie raspeln aneinander bis mindestens einer heult. Sie keifen und bocken und manchmal hauen sie sich sogar.
Erst wirft man sich etwas vor, dann wirft man sich etwas nach
Sie führen eine klassische Schlammschlacht-Beziehung und treiben sich munter die Streitspirale hinauf. Wahrscheinlich würden sie ohne das Hin- und Herwerfen von Frust jämmerlich eingehen – wie Gänseblümchen ohne Wasser.
Und was hat das mit mir zu tun?
Ja ja, die anderen Leute. Auf denen landet der eigene Zeigefinger immer im Nu. Aber wir alle streiten: Am Küchentisch, im Auto oder via Skype. Manchmal reicht ein Augenrollen. Sonst ist es der überquellende Mülleimer, oder die Schwiegermutter oder die am Vorabend ausgebliebene SMS, als es mal wieder später wurde, die das Fass zum Überlaufen bringen.
Es folgt ein Moment klirrender Spannung, eisigen Schweigens. Wir taxieren einander, wählen unsere Waffen und fauchen los. „Ich interessiere dich gar nicht!“, „Du kümmerst dich nur um dich!“, „Nie verbringst Du Zeit mit mir!“ Es poltert und knallt, Blitze fetzen und Wolken brechen, PAFF! PUUM! PENG! Am Ende schäumen Tränen, uns geht die Spucke aus, wir schauen einander fassungslos an. Worum ging es uns nochmal?
Streiten? Nichts leichter als das!
Okay, okay, ich höre auf zu übertreiben, bevor ihr noch aus der Haut fahrt. Schließlich haben wir alle spätestens im Kindergarten gelernt, dass Streiten dazu gehört. „Streiten, ppffff, DAS kann ich!“ Trotzdem bin ich vor Freude in die Luft gegangen, als Christine Anne und mich zum Streittraining eingeladen hat.
Aber keine Sorge. Wir drei Schwertlilien haben uns nicht etwa duelliert, sondern mit zwei Paartherapeuten unterhalten und dabei ausgesprochen nützliche Tipps gesammelt, wie es sich noch besser zankt bzw. was es bedeutet “richtig zu streiten”. Wir wissen jetzt, wann Streiten Spaß macht und warum eine gesunde Streitkultur Dünger für jede Beziehung ist.
Das Video könnt Ihr HIER sehen: RTL NOW ab Minute 0:13:05.
Jetzt verrate ich Euch ein paar GAAANZ geheime Geheimnisse, so unter vier Augen. Christine darf davon natürlich nichts erfahren. Ich will nicht den Streithammel in ihr wecken. Gut, los geht’s!
Sich in die Haare kriegen, ohne die Frisur zu zerstören – Der Guide zum richtig Streiten!
Richtig streiten – Lektion Numero 1: Gut Ding will Timing haben
Um sich konstruktiv und mit Respekt zu streiten, müssen wir einen guten Moment abpassen. Wenn der andere gerade den Kopf voller Arbeit hat oder hundemüde ist, tun wir uns selbst einen Gefallen, das klärende Gespräch auf später oder den nächsten Tag zu verschieben. Bis dahin haben sich die ersten Wogen der Wut geglättet und wir Gelegenheit bekommen, unsere Gedanken zu ordnen. Einfach mal tief durchatmen!
Wer warten kann, hat viel mehr Zeit. Klar, fällt es schwer inne zu halten, unserem ersten Impuls nicht nachzugeben, wenn uns etwas unter den Nägeln brennt. Wir müssen das doch ganz unbedingt loswerden und schnellstens Luft ablassen. Aber findet Ihr nicht auch, sich zum Streiten zu verabreden zeugt schon von großer Klasse?!
Richtig streiten – Lektion Numero 2: Stop! In the name of love…
„Stopp sagen“ ist einer der grandiosen Vorschläge der beiden Therapeuten, wenn es um richtig streiten geht. Wer außer sich vor Wut ist, kann selten klar denken. Wenn wir bemerken, dass wir beim Schlagabtausch vor Adrenalinschüben den Kopf verlieren, sollten wir uns eine Auszeit gönnen. Eine kleine Verschnaufpause nur, um das Gesagte sacken zu lassen und “ausgenüchtert” aufeinander zuzugehen, sobald wir wieder Herr oder Dame über unsere Gefühle sind. So treten wir uns beim Zwist weniger auf die Füße. Überhaupt klingt es total erholsam, sich fürs Streiten Zeit zu nehmen.
Richtig streiten – Lektion Numero 3: Heute hier, morgen dort
Wo habt Ihr Euch das letzte Mal gestritten? Im Auto, wenn keiner von beiden Reißaus nehmen kann oder in der Wohnung, die auf einmal zusammenschrumpfte und nicht genug Türen zum Zuschmeißen vorhielt? Wortgefechte brauchen Raum. Geht mal raus, wechselt den Ort, streitet Euch im Freien.
Das soll nicht heißen, dass ich Zeugin Eures Beziehungskrachs werden will. In der Öffentlichkeit rumstänkernde Pärchen sollten Bußgeld zahlen. Aber wenn wir, wie von den Therapeuten empfohlen, unseren Streit mit einem Spaziergang verbinden, dann wird es fast schon meditativ.
Auf dem Hinweg redet der eine, der andere hört zu. Wir können dabei Händchen halten oder die Arme vor der Brust verschränken. Unsere Redezeit und die Aufmerksamkeit unseres Partners sind uns gewiss. Auf dem Rückweg kommt der andere zum Zug. Zugegeben, das verlangt ein gutes Pfund Disziplin. Aber Übung macht in diesem Fall schlanke Beine. Wenn wir uns dann noch Feedback geben, wie wir das eben Gesagte verstanden haben, bleibt für Missverständnisse kein Platz mehr zwischen den Zeilen.
Richtig streiten – Lektion Numero 4: Streitet nicht um des Kaisers Bart – Redet Klartext
Seid Ihr vielleicht gerade streitlustig, weil Ihr Stress habt oder Sorgen? Horcht in Euch hinein. Was sind Eure Bedürfnisse – für Euch allein und in Eurer Beziehung? Versteckt Euch nicht hinter Masken, zeigt Euch! Redet über Eure Wünsche, statt dem anderen Vorwürfe zu machen. Streitmomente sind emotional so aufgeladen, da verkürzt sich die Aufmerksamkeitsspanne. Darum seid kurz und prägnant, damit das Wesentliche ankommt, statt im Wortschwall unterzugehen.
Stolz ist die Krücke der Unsicheren
Richtig streiten hat viel mit Angst zu tun. Aber das zuzugeben, macht uns scheinbar verletzlich und schwach. Dabei ist es genau umgedreht. Wer sich und dem Gegenüber seine Ängste eingesteht, öffnet das Türchen, sie zu überwinden. Wenn das Herz pochend in unseren Händen liegt, wird der andere es zärtlich betasten und es behutsam an seinen Platz zurückstecken. Zumindest wenn ihr oder ihm an uns gelegen ist. Wer die Flucht ergreift, soll eh bleiben, wo der Pfeffer wächst.
Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist deswegen, dass wir uns klar werden sollten, worum es uns wirklich geht, wenn wir zum zigsten Mal darüber reden, wer den Abwasch macht oder wohin es in den Urlaub geht.
Oft wünsche ich mir schlicht, von meinem Freund wahrgenommen, gesehen und gehört zu werden. Ich freue mich, zu spüren, wie wichtig ich jemandem bin. Nicht weil ich es ohne ihn nicht wüsste, sondern weil ich mein Leben mit einem Menschen teilen will, der aufmerksam ist und mich wertschätzt. Beim richtig streiten lerne ich ihn noch besser kennen und das macht uns stärker.
Gefallen Euch die Tipps? Was wollt Ihr unbedingt mal ausprobieren? Ich brenne darauf, zu wissen, wie’s war. Heute ist ein guter Tag zum Streiten! Viel Spaß dabei!
3 comments
Liebe Anja,
danke für diesen Artikel! Richtig streiten ist wirklich eine Kunst, ich finde es schön, das du deine Erfahrungen aus dem Streitseminar mit uns teilst.
Gestern am Bahnhof, habe ich so eine schreckliche Szene miterlebt (http://impressionista.de/hoer-auf-damit-sabine/), dass ich Zuhause meinen Freund nur noch ganz ganz fest umarmt, und ihm für alle unsere Streitsituationen gedankt habe!
Liebe Grüße,
Christina
Sehr schön! Danke für diesen Artikel!
Bitteschön!