Lieber Paul,
ich weiß nicht wie es dir geht, vielleicht nerven sie dich mittlerweile schon und du hast gar keine Lust mehr darauf aber mir, mir gefallen diese Briefe sehr und ich habe mich schon richtig daran gewöhnt mich an den Schreibtisch zu setzen mit einer guten Tasse meines selbstgemachten Kakaotees, mein Herz zu öffnen und dir zu schreiben.
Erst einmal ein kleiner Rückblick. Wir hausen jetzt schon sechs Wochen in einer 33 Quadratmeter-Wohnung und wenn ich ganz ehrlich bin und du musst glauben, es kommt vom Herzen, es ist wunderbar. Meinetwegen könnte die Wohnung noch ein bisschen kleiner sein, so dass ich bei jeder Bewegung über deinen Arm, Kopf oder Bauch streichen muss, um an dir vorbei zu kommen. Seit ein paar Tage haben wir sogar noch Besuch, den lieben Boris, unseren Pflegehund, in den ich mich total verliebt habe. Oh mein Gott, das ist noch mal ein ganz anderes Thema. Manchmal tust du mir wirklich leid, wenn ich darüber nachdenke, was du alles mitmachst. Letzte Woche stand ich mit einem Hund vor der Tür, einen Golden Redriever gefangen in dem Körper eines Beagles, der uns beide an den Esel aus Shrek erinnert hat, dessen Körper auch viel zu groß war für die kurzen Beine. Auf jeden Fall stand ich mit Boris vor dir und habe gefragt, ob er ein paar Tage bleiben darf. Er sucht gerade ein Herrchen und sein Pfleger ist unterwegs. Meine Augen, die habe ich ganz groß aufgerissen und ein bisschen feucht gemacht und du konntest einfach nicht nein sagen. Hast du auch nicht, sondern einfach nur „Du bist erwachsen. Du wirst wissen, was du machst.“ Sei einmal ganz ehrlich. Du wusstest schon ab der ersten Minute, dass ich mich unsterblich in ihn verlieben werde und er jetzt öfters bei uns ist, oder?
Ja und seitdem leben wir zu dritt und es ist noch mal ein Drittel schöner, denn jeden morgen werden mir meine Füße von Boris abgeleckt. Ich schäme mich jetzt schon ein bisschen für meinen ersten Brief. Ich habe mir das Zusammenziehen wirklich viel schlimmer vorgestellt. Ich dachte ich kann nicht mehr atmen, mich nicht mehr frei bewegen und bin ständig damit beschäftigt deine Erwartungen zu erfüllen. Aber du hast gar keine. Keine offiziellen. Du hast einmal geäußert, dass du sehr glücklich darüber wärst, wenn ich unter der Woche um 23 Uhr zu Hause wäre und bewegungslos und still im Bett liege, damit du schlafen kannst. Puh. Da ist mir das Herz erst einmal in die Hose gerutscht. Das ist wirklich schwer für mich, denn ich gehe wahnsinnig gerne und eigentlich auch nur unter der Woche lange weg. Ich fühle mich dann immer unglaublich jung, dynamisch und unvernünftig, wenn ich an einem Mittwochabend meinen vierten Moskau Mule bestelle und eine Zigarette nach der anderen rauche und mir dabei denke „Ha, dann schlafe ich eben morgen mal aus.“
Seit du da bist werde ich um 23 Uhr nervös und versuche schon ausreden zu finden, warum ich gleich nach Hause muss. Irgendwie kommt es mir ein bisschen komisch vor und auch kompliziert zu erklären, dass unsere Wohnung so klein ist und du nicht schlafen kannst bis ich nicht da bin und … Deswegen habe ich die letzten drei Wochen unglaublich viele Termine sehr, sehr früh gehabt. Irgendwann muss ich meinen Freunden aber mal den richtigen Grund erzählen. Sonst halten sie mich noch für verrückt, langweilig und spießig. Aber du hast den weiten Weg von München nach Berlin zu mir gemacht und da musste ich dir einfach ein bisschen entgegen kommen. Ja, du liest richtig. Ich schreibe diesen Satz im Präteritum. Musste.
Tja mein Lieber. Ich kann dir jetzt schon sagen, dass dieses Verhalten und diese Rücksichtsnahme meinerseits der Vergangenheit angehört. Es kam nämlich die Nacht, um genauer zu sein, die letzte Nacht, an der du zum ersten Mal unter der Woche weg warst. Kurz ein Bier trinken. „Ich bin spätestens um 23 Uhr wieder da“ höre ich dich heute noch sagen. Eigentlich hätte ich die Chance nutzen sollen auch das Haus zu verlassen. Ich wollte aber lieber mit Boris schmusen und früh schlafen gehen, weil ich dank dir jetzt auch immer um 23 Uhr müde werde.
Um zwei Uhr nachts wachte ich auf. Du warst nicht neben mir. Ich war wirklich kurzzeitig ganz verwirrt und wusste nicht mehr, ob du jetzt schon eingezogen bist oder nicht und ich das alles nur geträumt habe. Es wäre ein Albtraum gewesen, wenn du nicht eingezogen wärst, so viel steht fest. Nach 5 Minuten war ich jedoch glasklar im Kopf. Du bist eingezogen und du wolltest um spätestens 23 Uhr zu Hause sein und jetzt ist es zwei Uhr nachts. Ich schaue auf mein Handy, jedoch keine Nachricht und ich muss sagen, diese Situation war sehr ungewohnt für mich. Drei Jahre lang konntest du machen was du wolltest und nach Hause wann du wolltest. Ob es 23 oder 3 Uhr war, war mir relativ egal, weil ich 600 km entfernt in meinem Bett tief und fest geschlummert habe. Nachdem ich glasklar im Kopf war, fiel mir das Herz in die Hose. Es war 2 Uhr nachts und du nicht zu Hause. Hast du dich verlaufen? Wurdest du doch hinter einer dunklen Ecke in diesem gefährlichen Berlin, wie du es immer nennst, abgestochen oder was ist da los?
Wenn ich in den letzten 9 Jahren mit dir was gelernt habe, lieber Paul, dann, dass man sich auf Zeitangaben bezüglich des Weggehens nicht verlassen kann. Ich möchte dich an deine blöde Redewendung erinnern: „Wir gehen um halb.“ Einmal bin ich darauf reingefallen… Halb was? Ja, das hast du dir immer schön offen gehalten…
Jetzt ist es immer noch zwei Uhr nachts, meine Gedanken fahren Karussell und ich sehe dich immer noch irgendwo überfallen im Hausflur liegen und werde ganz unruhig
Ich greife zum Handy und rufe dich an. Oh mein Gott, ich bin einer derjenigen Frauen geworden, die nachts ihren Männern hinterher telefonieren. Aber was soll ich tun? Ich mache mir Sorgen! Es tütet einmal, es tütet zweimal.
„Maaaauuuussssssiiiiiiiiii……..“
Oh nein.
„Ich schließe gerade die Haustür auf.“
Oh nein. Natürlich war ich erleichtert, dass dir nichts passiert ist, aber ich wusste, was mir gleich bevorstehen wird. Schon allein, dass du mich Mausi nennst lässt auf einen sehr hohen Alkoholpegel zurückschließen.
„Ich bin gleich daaaaaaaaaaa.“
Oh nein.
Ich wollte nur kurz anrufen und mich vergewissern, dass alle in Ordnung ist, mich umdrehen und schnell wieder weiterschlafen. Mehr wollte ich doch gar nicht. Nur kurz abklären, dass meine Mordgedanken Hirngespinste sind.
Drei Minuten später lagst du mit unserem Shrek-Esel namens Boris auf dem Fußboden und hast ihm den Bauchgekrault, während du mir gefühlt jede Minute des Abends erzählt hast. Und der Abend war sehr lange und dein Monolog übrigens auch. Dabei hast du abwechselnd zu Boris „feinifei“ und gutzigutzi“ in regelmäßigen Abständen gesagt und das fand ich ja dann schon irgendwie süß und schon fast romantisch.
Normalerweise hätte ich, glaube ich, in diesem Moment gesagt „Lass mich in Ruhe, halt die Klappe und lege dich hin.“
Doch dann wurde mir bewusst, dass man solche Momente genießen sollte. Also habe ich mich zu dir und Boris auf den Boden gelegt. Eigentlich habe ich mich auf dem Moment gefreut, wie ich dir im letzten Brief geschrieben habe, wenn wir nachts unter der Bettdecke liegen und uns gegenseitig von unserer Nacht erzählen. Also meine war ziemlich ruhig. Und deine höre ich mir lieber auf dem Teppich an als unter der Bettdecke, weil du, lieber Paul und das brauchst du jetzt gar nicht abstreiten, stinkst und mit deinem Atem eine natürliche Gaskammer unter der Bettdecke erzeugt hättest, die mich umgebracht hätte.
Ja, ja lieber Paul. Romantische Stunden, dass ist wenn wir nachts auf dem Teppich liegen, an einem Mittwoch um 2 Uhr nachts, einen Hund graulen und uns die Sterne durch die 4 Stockwerke über uns vorstellen.
1 comment
Oh, ist das schön geschrieben, Christine. Da kann der Paul ganz stolz auf sich sein. Ich hoffe das weiß er. Ein langes und gemeinsames Leben für Euch beide, wünsche ich