Ich war heute beim Lungenfunktionstest. Einmal Aus- und Einatmen und schon war die Sache erledigt. Genau noch 75% Kapazität hat mein Lüngchen. Der Rest ist verschwunden, als ich Anfang Juli eine Erkältung hatte und nicht im Bett geblieben bin.
Das haben mir meine kleinen Lungenhärchen übel genommen und wollen nicht mehr so richtig. Aber trotzdem kann ich es nicht lassen. Einmal am Tag hole ich meine Schachtel aus der weißen Schublade meines Sekräters, ziehe mir eine Eve 120 heraus und gehe damit runter in den Hinterhof. Da stehe ich dann, den langen Stängel in der rechten Hand, das linke über das rechte Bein gekreuzt und entspanne mich. Erlebe einen meditativen Moment der Ruhe und Gelassenheit während ich mit meinem Mund an dem weißen Ding ziehe und beobachte meine Nachbarn. Im ersten Stock, geht ein kleines Mädchen im Schlafanzug in die Küche und macht auf Zehenspitzen die Kühlschranktür auf. Sie muss sich strecken und räkeln, damit sie an den länglichen Öffner kommt. Sie nimmt eine blau-weiße Milchtüte heraus und macht einen großen Schluck. Die Milch läuft aus den Mundwinkeln, wie ein kleiner Bach und tropf auf den Schlafanzug, der aus weichem Frotte ist. Sie stellt die Milchtüte zurück, schlägt mit ihren kleinen Händen die schwere Türe zu und verschwindet im Flur. Währenddessen brät sich im Erdgeschoss jemand ein Schnitzel in der Pfanne. Die Küche steht voller Qualm. Ein Mann steht mit Blick auf die Pfanne konzentriert vor dem Herd und hält den Pfannenwender nach oben. Seine Boxershorts hängt tief, sein Feinripphemd betont unvorteilhaft seinen Bierbauch und die Fettspritzer auf Pfannenhöhe. So viel Bauchumfang ist ungesund. Er sollte kein Schnitzel essen. Ich hoffe er spürt nicht eines Tages diesen stechenden Schmerz im linken Arm, der sich in den Brustkorb ausbreitet und das Herz zum stillstehen bringt. Das Herz ist gleich neben der Lunge. Am schönsten ist es im Hinterhof, wenn es draußen schon dunkel ist. Dann kann man in die oberen Stockwerke schauen und noch viel mehr entdecken. Ein gutaussehender junger Mann steht am Fenster und zupft etwas von einem Stock auf dem Fensterbrett. Er schmeißt die Blätter in die Pfannen, dreht sich nach links, so dass ich ihn nur noch im Seitenprofil sehe und rührt kräftig. Ein hübsches, blondes Mädchen kommt herein, stellt sich hinter ihn und legt die Hände um seinen Bauch. Sie legt ihre Wange an seinen Rücken, drückt fester zu, atmet tief ein und öffnet wieder die Augen. Sie schaut mich an. Erst regungslos, dann entsetzt. Sie breitet nun die Arme weit aus und macht die Vorhänge zu. Vorhänge in der Küche? Die stinken doch nach Essen und werden voller Fett, wie das Unterhemd vom Schnitzelbräter.
Ich wollte doch gar nicht stören. Nur ein bisschen gucken. Mich informieren, was in den Leben der anderen so passiert. Was sie so machen und treiben. Vielleicht, weil ich mich ein bisschen einsam fühle. Am liebsten würde ich nicht nur gucken. Am liebsten würde ich hoch gehen, an der Tür klopfen, fragen ob ich reinkommen kann und mich dazu setzen. Dem kleinen Mädchen eine Gute Nacht Geschichte vorlesen, dem dicken Mann einen Salat zubereiten und dem Pärchen das Essen servieren, während sie romantisch bei Kerzenschein an Tisch sitzen und sich tief in die Augen schauen. Aber das kann ich nicht. Sie würden mich für verrückt halten, nicht in die Wohnung lassen, ja vielleicht sogar die Polizei rufen. Also gehe ich wieder in meine Wohnung, setzte mich an den Laptop und schreibe. Mit Schwermut schreibt es sich am besten…
4 Kommentare
du schreibst so schön :)
ich liebe deinen style :)
Vielen Dank "knicksundverbeugung"
Ja, wunderschöner Text. Unglaublich, wie sich dein Stil im Laufe der letzen Monate verändert hat. – Ganz liebe Grüße