„Kaffee und Erinnerungen“ steht unter dem Schild des Radieschen Cafés in Bremen. Wer hier einkehrt, wird in eine andere Zeit versetzt. Die weißen Spitzen-Tischdecken, die alten Kaffeekannen und Sammeltassen an den Wänden und die leckeren Kuchen auf dem Tresen laden die Gäste ein, sich hier nicht nur für einen Kaffee niederzulassen, sondern sich einzulassen, auf eine kleine Auszeit. Die Gründerin Eva Radieschen hat vor fünf Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und das Radieschen Café eröffnet. Bei einem Stück von „Tante Ulis Apfel-Sahne-Kuchen“ und einem Cappuccino mit Hafermilch erzählt sie mir ihre Geschichte.
Ursprünglich arbeitete Eva als Freie Kulturmanagerin im Kunst- und Künstlerhaus Schwankhalle. Zehn Jahre war sie dort tätig und arbeitete nebenher auch immer in der Gastronomie, um Geld zu verdienen, denn die Kultur hat nie genug Geld, sagt sie. Als sie von dem freistehenden Gebäude der ehemaligen Gärtnerei neben dem Friedhof hörte, in dem heute das Radieschen Café ist, und es besichtigte, hat sie sich sofort in die Räume verliebt.
Selbstständig mit eigenem Cafe – Geschichten erzählen lernen
Aber sie wollte mehr als nur ein Café ohne Geschichte zu eröffnen. Sie fragte sich, was sie erzählen konnte. Besonders das Thema Tod war wegen der Nähe zum Friedhof natürlich sehr naheliegend. Die Idee war geboren – in ihrem Café sollten sie die Menschen bei Kaffee und Kuchen erinnern. Und so entstand auch der Name, denn wer tot ist, sieht ja bekanntlich die Radieschen von unten. Der Name ist ganz und gar nicht pietätlos gemeint, sagt Eva, das sei eben der Humor aus dem Ruhrgebiet.
Sie erzählt, dass sie schon als Kind lieber gebacken als gekocht hat. Um die richtigen Rezepte für das Café zu finden, hat sie vor der Eröffnung viel recherchiert, ausprobiert, mit anderen Menschen geredet und sich ausgetauscht. Manchmal muss sie nur minimale Angaben in Rezepten verändern, damit ein Kuchen perfekt wird. Oder es entstehen komplett eigene, neue Kreationen wie z.B. der Weiße Schokolade-Lavendel-Walnuss-Kuchen. Eva hat keine Konditor-Ausbildung, aber eben durch ihre jahrelange Erfahrung und das Ausprobieren gelernt. Besonders reizvoll findet sie saisonale und heimische Früchte und die Herausforderung täglich neu kreativ zu sein … Besonders froh ist sie über ihren Koch, der ihr im Radieschen zu Seite steht und in ihrem Sinne arbeitet und sich täglich kreativ einbringt.
Selbstständig mit eigenem Cafe – Retro Einrichtung, moderne Gedanken
Evas Persönlichkeit findet sich in allen Ecken des rosa-grünen Cafés wieder. Hier werden die Gäste geduzt während sie fairen Kaffee trinken und die Quiche oder Suppe des Tages schlemmen. Eva legt Wert auf regionale, saisonale und biologische Produkte. An den Wänden hängen schwarz-weiße Familienfotos, einer der beliebteste Kuchen ist der Apfelkuchen nach dem Rezept ihrer Tante Uli, die wahnsinnig stolz ist, dass der so gut läuft.
Aber das Radieschen ist nicht nur ein Ort um in der Vergangenheit zu schwelgen, es ist ein sehr modernes Café. Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben, können aus dem Kontingent der „aufgeschoben Kaffees“, die andere Gäste schon vorher für sie bezahlt haben, schöpfen, es gibt ein Marmeladen-Tausch-Regal, WLAN und visionäre Magazine wie das brand eins und das MISSY Magazin. Alle zwei Monate laden die Flüchtlinge des gegenüberliegenden Heims zum Abendessen unter dem Motto „Geflüchtete erinnern sich kulinarisch an ihre Heimat“ ins Radieschen. Obwohl dort wo die Jungs herkommen meistens die Frauen in der Küche stehen, versuchen sie, die Rezepte ihrer Mütter und Omas so gut es geht nachzuempfinden und sind hinterher meistens stolz wie Oskar; auch wenn das Essen manches Mal weit nach sieben Uhr auf dem Tisch landete. Dafür wurde aber schon so manches Mal nach dem Essen bis spät in die Nacht auf der Terrasse getanzt.
„Man muss immer vorwärts denken und Visionen haben.“, sagt Eva und berichtet, dass an der Tür ihres ehemaligen Chefs immer ein Zitat hing, das sie erst heute positiv sehen kann. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Es bedeutet eben, dass der Schlüssel in der Veränderung und Anpassung liegt. Gerade der Schritt in die Selbstständigkeit mit eigenem Cafe.
Selbstständig mit eigenem Cafe – Die Realität der Selbständigkeit
„Den Menschen, die mit der Selbstständigkeit liebäugeln sollte schnell klarwerden, dass das mehr ist als ein Café schön einzurichten und zu backen. Das ist nur ein winziger Teil.“, sagt Eva. „Den Schritt zu wagen ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Man muss sich bewusst werden, dass es ein Alltag ist wie jeder andere. Auch ein trostloser Alltag, in dem man sich um anstrengende Dinge wie Buchhaltung kümmern muss. Du musst dich um alles kümmern, du musst an der Front arbeiten wollen.“ Außerdem gibt es eben unter hundert Gästen doch den ein oder anderen Gast, der eine halbe Portion will oder die Gäste, die zum Mittagstisch nur Leitungswasser trinken. „Natürlich haben Gastronomen kein Problem damit, Leitungswasser anzubieten“, sagt Eva „aber wenn es zu viele davon gibt, dann geht es irgendwann nicht weiter.“
Aber ihr Konzept ist erfolgreich, die Besucher nett und es gibt viele Stammgäste, Tag für Tag lernt sie etwas dazu und die Projekte kommen und gehen. So richtig realisieren, dass der Traum vom eigenen Café wirklich ein Traum ist, tut Eva jeden Tag, seit sie das Radieschen Café eröffnet hat.
Das Radieschen Café findet ihr hier:
Buntentorsteinweg 65
28201 Bremen
Das Café hat Mittwoch bis Sonntag von 12 bis 18:30 Uhr geöffnet.
Die schlichte Tasse Kaffee gibt es hier aus besonderen Sammeltassen.
Seit fünf Jahren ist Eva selbstständig und steht so gut wie jeden Tag an der Kaffeemaschine.
3 comments
Hallo Eva,
bin heute beim Stöbern auf Pinterest auf dein Café gestoßen.
Bin auch gerade dabei mir etwas eigens aufzubauen, nachdem ich jahrelang in einem Café gearbeitet habe, dort so alle Arbeitsgänge kennengelernt habe und nun den Schritt in die Selbständigkeit wage. So wie du es schon schreibst ist es leider, es ist nicht nur Kuchenbacken und bissel schön einrichten. Da sind zuerst die Behörden die einem das Leben schwer machen. Einfach mal los machen ist nicht.
SElbst ich als gelernster Bäcker muss unzählige Nachweise bringen, das ich es auch “kann”.
Ganz besonders gefällt mir dein Spruch „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“
Das wird auch mein Motto werden, es gibt so viele die alles in Frage stellen, mit sich selbst nicht mehr zufrieden sind, aber auch nicht bereit sind etwas zu ändern. Langweilig.
Ich wünsch dir alles Gute für dein Café, und vielleicht sieht man sich ja mal bei einem Urlaubsbesuch in deiner Gegend.
LG Sabine
für d