Aufgeregt und mit einem mulmigen Gefühl im Magen verlasse ich das Flughafengebäude von Sofia, an einem kalten Spätabend im April. Es beginnt zu schneien, als Jana, eine Freundin, die sich für die Streunerhilfe Bulgarien e.V. engagiert, auf einen dunklen Fleck auf der Wiese neben dem Ausgang des Flughafens deutet. Ein Straßenhund hat sich dort zum Schlafen niedergelassen. Ich schlucke schwer. Für mich war von Anfang an klar, dass dieser Kurztrip eine emotionale Reise wird. Ich wollte mir ein Bild machen, über die Arbeit der in Sofia lebenden Mitglieder der Streunerhilfe Bulgarien, deren Alltag und das Leben mit den allgegenwärtigen streunenden Katzen und Hunden. Womit ich nicht gerechnet hatte war, direkt am Flughafen auf den ersten Hund zu treffen.
Wir nächtigen die kommenden Tage bei Rosi. Sie ist für die Streunerhilfe vor Ort tätig und unterstützt unter anderem das Tierheim Bogrov, das alles neben ihrem Vollzeitjob. Jana kümmert sich in Deutschland um die Vorkontrollen zu Hause bei den potentiellen Adoptanten oder Pflegestellen, führt lange Telefonate mit Adoptions-Bewerbern und kümmert sich um die Vermittlung der Katzen aus Bulgarien. Auch sie ist voll berufstätig. In den kommenden Tagen habe ich noch einige Frauen kennengelernt, die einem Vollzeitjob nachgehen und einen riesigen Teil ihrer Freizeit und ihrer Finanzen in ihr Ehrenamt und das Wohl der Streuner investieren. Ich bin beeindruckt von der Kraft, die sie aufbringen, um so viele Tierleben zu retten.
Im Video bekommt ihr vorab ein paar Eindrücke von meiner Zeit bei der Streunerhilfe:
Ausrangierten Wachhunde auf dem Schrottplatz
Wir treffen uns am Morgen nach unserer Ankunft mit zwei ehrenamtlich-engagierten Frauen der Streunerhilfe Bulgarien in einem Ortsteil in Sofia, etwas abseits vom Zentrum. Sie wollen uns einen Hund vorstellen und wissen, ob er für die Vermittlung nach Deutschland geeignet wäre. Wir begleiten die beiden auf einen schrottigen Parkplatz und treffen dort eine junge Schäferhündin in einem Zwinger. Aussortiert, weil sie als Wachhund nicht taugte.
Wir können nur mutmaßen, vielleicht war sie zu freundlich und schreckte keine unerwünschten Besucher ab, denn sie freut sich sehr über unseren Besuch. Jana kennt sie bereits von einem vergangenen Besuch in Sofia. Da sah sie Lisa, die Hündin, aber noch an eine Kette angebunden vor einem Haus. Viele Menschen halten sich in Bulgarien Wachhunde an der Kette auf ihrem Grundstück, um Eindringlinge fern zu halten. Wir sind uns sicher, Lisa ist so herzlich und offen Menschen gegenüber, es wäre ein vergeudetes Leben, vergessen und unbeachtet, wenn die Streunerhilfe Bulgarien nicht versuchen würde, für sie ein neues Zuhause zu finden.
Wir treffen noch einen zweiten Hund auf dem Parkplatz, angeleint an einer kurzen Kette fungiert er dort als Wachhund und soll das Hab und Gut, das aus kaputten Autos besteht, beschützen. Ein schwarzer Riese, der uns laut anbellt als wir uns ihm nähern, da wir in sein Revier eindringen. Wir wollen auch ihm helfen, leider ist er zu groß und zu schwer für den Transporter, der die vermittelten Tiere nach Deutschland bringt. Für ihn müssten Flugpaten gefunden werden. Trotzdem soll auch er seine Chance bekommen!
Ich fotografiere beide für die Website und bin traurig, weil wir sie erst einmal so zurücklassen müssen. Mehr können wir an diesem Tag nicht für sie tun, außer ihnen Futter und Wasser zu geben. Aber wir verlassen sie mit dem Wissen, dass die ältere der beiden Ehrenamtlichen, sie jeden Tag besuchen kommt und sich um sie kümmert.
Streuner einfangen und ein Klinikbesuch
Wir füttern unterwegs noch einige Streuner zusammen mit den beiden und treffen eine dicke, trächtig wirkende Katze. Schnell wird der Entschluss gefasst, sie einzufangen und zur Tierklinik zubringen. Gesagt, getan sitzen wir auch schon mit ihr im Taxi zur Klinik. Dort angekommen bestätigte sich schnell die Schwangerschaft und sie wird eines routinierten Gesundheitchecks unterzogen. Viele der streunenden Hunde und Katzen in Sofia sind bereits kastriert, aber immer wieder treffen die Tierschützer auf unkastrierte Tiere, die beispielsweise vor kurzer Zeit ausgesetzt wurden. Die verschmuste Katze bekommt den Namen Amelia.
Die Frauen der Streunerhilfe Bulgarien entscheiden sich für eine Abtreibung, in den darauffolgenden Tagen soll Amelia noch kastriert werden. Ich denke mir in diesem Moment noch, wie man so schnell die Entscheidung treffen kann, diese Katzenbabys einfach weg zu machen. Später am Abend lasse ich mir die Eindrücke noch einmal durch den Kopf gehen und möchte mit keiner der Frauen tauschen. Täglich sind sie mit solchen Entscheidungen konfrontiert. Sie treffen Tag für Tag streunende, ausgesetzte, verletzte Tiere und nehmen sich derer an, um ihnen weiteres Leid zu ersparen oder sie gar vor dem sicheren Tod zu retten.
Amelia wird bald auf die Vermittlungswebsite der Streunerhilfe Bulgarien aufgenommen, aber oft werden die kastrierten Katzen wieder an den Ort gebracht, an dem sie gefunden wurden. Leider ist die Anzahl der Streuner zu hoch, um sie alle vermitteln zu können. Einige mögen den Kontakt zu Menschen auch nicht. Stark anhängliche Katzen, bei denen die Vermutung nahe liegt, dass sie vor Kurzem ausgesetzt wurden sind und kranke Tiere, die auf der Straße keine weitere Überlebenschance hätten oder eben eine langen Genesungszeit in einer Klinik oder Pflegestelle benötigen, werden oft nicht mehr zurückgebracht. Es wird sich dann bemüht, sie in ein schönes Zuhause zu vermitteln, in denen sie endlich ein glückliches Leben führen können.
Das Tierheim Bogrov zu Gast in einer Shopping-Mall
Viele der ehrenamtlichen Tierschützer opfern ihre freien Sonntage dafür, die Hunde im Tierheim besuchen zu gehen und ihnen wenigstens einmal die Woche einen ausgiebigen Spaziergang, Streichel- und Bürsteinheiten zu ermöglichen. Zusätzlich planen sie verschiedenen Aktionen, um die Bewohner Sofias für die Thematik rund um die Streuner und den Tierschutz zu sensibilisieren. Rosi und andere Ehrenamtliche des Tierheim Bogrov haben für einen Sonntag, der in unserem Aufenthalt lag, eine Informationsveranstaltung in einer Shopping-Mall in Sofia geplant und organisiert. Rosi hatte hierfür die vorherigen Abende nach ihrem Job genutzt, um schicke Halstücher für die Tierheimhunde zu nähen, denn sie sollten mit in die Mall.
Vorab wurde auf Social-Media-Kanälen für das Event geworben, hierbei kam es zu einem Shitstorm gegen die Informationsveranstaltung. Einige User waren der Meinung, die Tierschützer würden mit den „dreckigen“ Hunden die Pest und andere Krankheiten in die Mall bringen. Bei ihrem Bemühen um Aufklärung stoßen sie oft auf Unverständnis und Hetze. Rosi und ihr Team waren deswegen vorab sehr nervös, da sie befürchteten, dass die Unruhestifter auch in der Mall auftauchen könnten und das Event sabotieren würden. Zum Glück trat dieser Fall nicht ein.
Im Gegenteil, die Veranstaltung stieß auf großes Interesse, vor allem durch die Anwesenheit einiger Tierheimhunde wurden viele Kinder neugierig und zogen ihre Eltern mit leuchtenden Augen zu den Tieren. Auch das Fernsehen und andere lokale Medien waren vor Ort und berichteten im Nachgang über die Veranstaltung. Ein Paar, das im Vorfeld aufmerksam auf das Event wurde, adoptierte gleich in der Mall einen der Welpen und schenkte ihm ein Zuhause. Zwei Wochen nach unserem Aufenthalt wurde die Aktion wiederholt, Rosi schrieb uns freudig aufgeregt, dass es viel tolles Feedback gab und fast alle an dem Event beteiligten Hunde fanden ein schönes Zuhause. Ich hätte beim Besuch der Veranstaltung nicht mit einer SO guten Resonanz gerechnet und bin so begeistert von dem Erfolg.
Rosis privates „Tierheim“ neben der Streunerhilfe Bulgarien
Wie viel Zeit bringen die Ehrenamtlichen für den Tierschutz auf? Und wie sehr beeinflusst das ihr Umfeld? In Rosis Fall, so scheint mir während unseres Aufenthalts in Sofia, war ihre Freizeit fast komplett gefüllt mit den Tieren. Sie selbst umsorgte zu Hause zu dieser Zeit vier Katzen, davon sind drei ihre eigenen, und vier Hunde. Zwei davon sind Pflegehunde, welche nur eine Zeitlang bei ihr wohnen werden. Nach ihrer Arbeit ist sie oft noch unterwegs, um einige Schützling in der Klinik zu besuchen oder fährt aufs Land raus zu den Schwiegereltern – ein altes Ehepaar, die sich in ihrem Namen um einige Hunde kümmern.
Rosi hat sich auf dem Grundstück der Schwiegereltern ein paar Hütten und Gehege für Notfälle gebaut, es ähnelt einem Tierheim in Miniatur. Das alte Ehepaar versorgt die Tiere mit Nahrung, geht mit ihnen spazieren und kümmert sich gut um sie, bis sie endlich in eine Familie vermittelt werden.
Unterwegs mit Rosi oder den anderen Tierschützern, klingelten ständig die Telefone. Oft waren es Anrufe aus der Klinik oder von anderen Ehrenamtlichen, um Neuigkeiten über die Tiere mitzuteilen und Entscheidungen abzustimmen. Es gibt einfach keinen Feierabend im Tierschutz, rund um die Uhr sind die Frauen, die ich kennenlernte, mit Herzblut dabei und opfern jede freie Minute.
Ich wollte den Streunern und den Tierschützern gerne helfen, deswegen stellte ich ihnen alle Fotos und Videos zur Verfügung, die ich in der Zeit meines Besuches aufnahm, um die Tiere auf der Website zu präsentieren und so bei der Vermittlung zu helfen.
Ihr wollt der Streunerhilfe Bulgarien e.V. helfen? So klappt’s:
- Sach- & Futterspenden: Ihr habt selbst einen Hund oder eine Katze und habt noch gut erhaltenes Spielzeug, Leinen oder Transportkisten, die ihr gar nicht nutzt? Oder findet Geldspenden zu unpersönlich und wollt wissen, was bei den Tieren ankommt? Die Streunerhilfe Bulgarien freut sich über Sach- und Futterspenden.
Ihr könnt sie innerhalb von Deutschland nach Kontaktaufnahme an einen der Mitglieder verschicken und diese leiten sie dann weiter nach Bulgarien oder in eine der Pflegestellen. - Patenschaft & Geldspenden: Ihr könnt kein Tier bei euch aufnehmen, weil ihr selbst schon einige Schützlinge aufgenommen habt, euer Vermieter es nicht erlaubt oder ihr eine Tierhaarallergie habt, wollt aber dennoch regelmäßig eine Fellnase auf dem Weg der Genesung während der medizinischen Versorgung unterstützen oder einfach die Grundration Futter sicher? Dann ist eine Patenschaft genau das richtige für dich! Für Spenden stellt die Streunerhilfe Bulgarien, genau wie andere Vereine, eine Spendenbescheinigung aus. Mehr Infos: Spenden für die Streunerhilfe Bulgarien
- Flugpate: Ihr plant eine Reise in ein anderes Land und reist mit einer größeren Airline (nicht Ryanair, EasyJet etc.). Oft ist die Mitnahme von Tieren dort möglich. Viele Tierschutzorganisationen sind auf der Suche nach Flugpaten, um Tiere zu ihren Adoptanten zu bringen. Auch Sofia wird von einigen Airlines angeflogen, in denen die Mitnahme und Transport von Tieren möglich ist. Informiert euch doch vor eurer nächsten Reise, ob es eine Tierschutzorganisation im Urlaubsland gibt und dort Flugpaten gesucht werden. Euch fallen in solch einem Fall nie Zusatzkosten an, die Kosten für die Tiere trägt in diesem Falle immer die betreuende Tierschutzorganisation. Hierzu gibt es unter dem Suchbegriff “Flugpaten” auch einige Gruppen auf Facebook. Beispiel: Flugpaten gesucht!
- Mitfahrgelegenheit: Viele Tiere kommen auch auf dem Landweg in ihr neues Zuhause. Einigen Adoptanten ist jedoch die Abholung an den Anfahrtspunkten der Transporte nicht möglich, auf Grund eines fehlenden Pkws oder ähnlichem. Deswegen werden oft Mitfahrgelegenheiten gesucht und Fahrketten gebildet, bei denen jeder Freiwillige einen Teil der Strecke übernimmt und so das Tier in sein glückliches Zuhause fährt.
Auch hierzu ein Gruppenbeispiel auf Facebook: Flugpaten und Mitfahrgelegenheiten für alle Tiere gesucht
Auch hier fallen euch im Normalfall keine Zusatzkosten an, die Spritkosten werden durch den Adoptanten oder den Verein erstattet. Möchte man diese nicht erstattet haben, kann man dennoch die Tankquittung aufheben und auch hierfür könnt ihr eine Spendenbescheinigung bekommen, um diese dann dem Finanzamt samt der Steuererklärung vorzulegen. - Eigene Ideen: Jeder ist in irgendetwas gut und oft kann man mit seinen Talenten anderen helfen. Ich habe versucht auf meine Weise zu helfen, in dem ich vor Ort war und die Tiere fotografierte. Die Menschen waren so glücklich über die Bilder und die Tiere gaben alle so viel Liebe auf ihre eigene Art und Weise. Vielleicht fallen euch ja ähnliche Tätigkeiten ein, um den Streunern aus Bulgarien zu helfen, endlich in einem schönen Zuhause anzukommen und ihr Glück erleben zu können.
- Pflegestelle werden: Ihr wollt einer Katze oder einem Hund beim Start in ein neues Leben helfen? Dann stellt euch gerne als Pflegestelle zur Verfügung! Jedoch gibt es hier auch viel abzuwägen, ist es das richtige für jeden Hund/Katze? Ist es das richtige für jeden Menschen? Hierzu hat die Pfotenhilfe Ungarn eine gute Übersicht auf ihrer Website: Zum Thema Pflegestellen | Hundehilfe Ungarn
Ein Tier aus dem ausländischen Tierschutz adoptieren
Die Zustände in den osteuropäischen Tierheimen sind kaum zu vergleichen mit einem deutschen Tierheim, geschweige denn dem Leben einer Straßenkatze oder eines Straßenhundes in stetiger Gefahr. Natürlich hat jedes Tier gleichermaßen ein Leben in Geborgenheit bei liebenden Menschen verdient. Die Streunerhilfe selbst schreibt auf ihrer Website über ein paar Gegebenheiten, die dort ständig passieren und warum den Tieren kaum ein Recht auf ein unbeschwertes Leben gewährt wird.
Bitte seht davon ab, ein Tier von einem Züchter zu kaufen – schaut euch in heimischen und ausländischen Tierheimen/Tierschutzorganisationen um. Ihr wollt aber unbedingt einen Rassehund? Oft warten auch in in- und ausländischen Tierheimen die schönsten Prachtexemplare einer Rasse, weil sie unüberlegt angeschafft wurden und schnell wieder wegmussten – gebt diesen Fellnasen bitte eine zweite Chance! Aber denkt daran, ein vielleicht unförmiger, kurzbeiniger Mischling ist mindestens genauso liebenswert wie ein perfekt gewachsener Labrador.
Im Übrigen, Lisa, die ausrangierte Schäferhündin aus dem Zwinger, lebt mittlerweile bei einer Tierschützerin der Streunerhilfe Bulgarien. Leider verstarb einer ihrer eigenen Hunde im hohen Alter vor Kurzem und lies einen traurigen Hundekumpel zurück. Diese Lücke durfte Lisa nun schließen und tollt nun fröhlich mit ihrem neuen Freund durch den Garten und darf endlich die wunderbare Hündin sein, die sie ist! Als mich diese Nachricht zusammen mit einem kurzen Handyvideo erreichte, hatte ich Freudentränen in den Augen.
Text & Fotos: Nadine Kunath
Mehr zum Thema Tierschutz findet ihr hier:
Wale und Delfine vor La Gomera: Nachhaltiges Whale Watching ist wichtig!
Ich brauche eure Hilfe!!! #hundeinnot
Artenschutz in Südafrika: Das Pinguin Krankenhaus SANCCOB
Vom Helfen und Glücklich sein – Ein Besuch in der Hundehilfe
8 comments
Was für ein toller, bewegender Bericht. Ich finde es immer wieder toll, wie Menschen sich für den Tierschutz einsetzen. Wenn ich nicht ständig am reisen wäre, hätte ich auch schon längst einen Hund – natürlich aus dem Tierheim.
LG Mel
Und auch der große schwarze Hund wird ein zuhause finden!!!
Am Montag holen wir ihn ab!!!!!!
Liebe Grüße Dorit
WIIIIIEEEE TOLLLLL!!!! Würde gerne mal ein Interview mit euch machen, wie es ist einen Hund aus dem Ausland zu adoptieren. Wenn ihr Lust habt, dann meldet euch doch mal: Neder.c@web.de
Dankeee
Fast ein Jahr ist es her. Die Eindrücke von Land, Mensch und vor allem Tier lassen mich heute noch weinen. Wir haben Hermann, aber Tausende zurück gelassen. Diese Fahrt ist nichts für schwache Nerven. Und trotzdem würden wir es immer wieder so machen.
So eine tolle Geschichte von euch!