Heute ist der Tag gekommen, an dem ich meine erste Tangostunde bekomme und ehrlich gesagt, hab ich ein bisschen Angst. Ich habe gestern noch unsere Tanzlehrer auf den Paket gesehen und das war schon fast ein Softporno, was da abging. Wenn Blicke ausziehen könnten, dann wären alle nackt über das Pakett geschwebt. Hoch erotisch, diese Tanzart. Wange an Wange, eng umschlungen und diese Blicke. Ich weiß nicht, ob ich der Typ dafür bin. Dazu kommt auch noch die geistige Anstrengung, sich irgendwelche Schrittkombinationen zu merken. Aber wie so alles im Leben hat die Herausforderung auch seine Reize.
Wir betreten den leer geräumten Raum der Grundschule Oulu, Finnland. An der einen Wand hängt eine grüne Schiefertafel mit schwedischen Begriffen, an der anderen Wand sind Tische und Stühle möglichst platzsparrend aufeinander gestapelt. Ich hatte mir einen großen Raum vorgestellt, mit verspiegelter Wandfront und kein umfunktioniertes Klassenzimmer.
„Warum tanzen wir?“, wirft Filippo Avignonesi in den Raum und liefert wenige Sekunden später die Antwort dazu. „Um aus dem Alltag hinaus zu kommen und alles hinter sich zu lassen. Die Arbeit zu Hause lassen, den Stress zu Hause lassen, die Probleme zu Hause lassen, die Kinder und vielleicht auch den Mann. Wir leben ein zweites Leben, wenn wir tanzen gehen, wie im Märchen. Denn in diesem Leben können wir sein, wie wir wollen. Wir entscheiden wer wir sind. Die Fantasie kann alles machen, was wir wollen. Wir können die Königin des Universums sein, die Sklavin, das schüchterne Mäuschen oder Venus.
Was möchtest du sein?“
Filippo dreht sich zu mir und schaut mich mit seinen Augen, die die Farbe von starken Kaffee haben eindringlich an.
„Ehrlich gesagt bin ich mit dem Charakter und der Person, die ich im normalen Leben bin ganz zufrieden.“
Er dreht sich zu einem Mann und fragt ihn:
„Mit wem willst du tanzen, mit einer Maus oder Venus?“
Wie erwartet, antwortete das männliche Wesen mit Venus.
Dann kommt er noch einmal auf mich zu und fragt, wer ich sein will. Ich verstehe das Spiel. Ich soll ein Vamp sein. Eine begehrenswerte Frau, ein verführerisches Wesen und antworte zur Zufriedenstellung des Tanzlehrers: „Venus.“
„Na, also.“
Was nun folgt ist keine Tanzstunde, sondern eine Lebensweisheit. Ein Selbsthilfekurs zurück in die Zeit, als Männer noch Gentleman und Frauen noch Ladies waren.
Beim Tango tanzen spielt man. Mit dem anderen Geschlecht und mit den Reizen.
Als erstes versucht man mit der Frau Blickkontakt aufzunehmen. Schaut sie einen an, dann ist das für den Mann ein Zeichen sie zum Tanz aufzufordern. Willensstark und mit viel Selbstbewusstsein bietet er der Dame seine Hand an und fragt sie damit symbolisch: „Wollen wir spazieren gehen?“ Im Grunde wollen wir den Wolf im Schafspelz. Ein kleines Arschloch, bei dem man nie weiß, wann es zubeißt, aber der uns aus der Hand frisst.
Den Rest der Stunde gehen wir spazieren durch den Raum, mit unserem Tanzpartner, ziehen ihn verführerisch hinter uns her und machen ihn heiß. Gleichzeitig muss man aber immer schön mit dem Genitalbereich auf Abstand bleiben. Das ist das Spiel – flirten aber nichts geben und ja, auch ein bisschen in die alten Rollen fallen. Die schwache Frau, der geholfen werden muss, aber die eigentlich die Hose an hat, denn sie hat etwas, was der Mann will und sie ihm nicht gibt.
„In Deutschland Tangostunden zu geben, ist ganz schwer. Die Frauen sind viel zu festgefahren in ihrer Gleichberechtigungsrolle. Sie stürmen zur Tür und machen sie selber auf, um zu zeigen, wie stark und eigenständig sie sind. Dabei ist das die Rolle des Mannes. Er braucht auch dieses Gefühl wichtig zu sein. Natürlich weiß er, dass die Frau das alles selber machen kann, aber er fühlt sich geehrt und geschmeichelt, wenn er es für sie machen darf.
Irgendwie gefällt mir dieser Ansatz. Bis dahin war ich auch eine Verfechterin der „Ich-kann-meine-Tür-selber-auf-machen-du Arschloch“-Mentalität. Doch wenn ich Filippos Stimme höre und seine Tanzpartnerin Yulia sehe, ein Frau mit einer wahnsinnigen Ausstrahlung, der selbst ich zu Füßen liege, komme ich ins zweifeln. Natürlich weiß ich, dass ich alles alleine kann. Aber warum fange ich nicht auch wieder an, ein bisschen zu spielen. Ich glaube, ich sollte mir wieder viel öfters die Tür öffnen lassen, mit einem erhobenen Haupt durch schreiten und dem Mann, der sie mir aufgemacht hat mit einem dankbaren Blick anlächeln. Vielleicht brauchen wir wirklich wieder ein bisschen mehr Spielraum für das Spiele zwischen Mann und Frau.
Was für eine Tanzstunde. Gehirnwäsche statt Tanzschritte. Ich weiß keine einzige Schrittkombination, aber ich gehe jetzt mit erhobenem Haupt durch den Saal, mit einem Mann an der Hand, der jeden Schritt von mir beobachtet und seiner Göttin zur Füßen liegt. Wir sollten mehr Tango tanzen und Spielchen spielen und vor allem nie wieder die Türe selbst öffnen.
8 Kommentare
Liebe Christine,
Super, hier sitze ich und fliege in drei Tagen nach Buenos Aires, wo ich in einer Woche meine erste Tango-Stunde mit meinem Mann habe und lese diesen Beitrag von Dir, der mich noch neugierig macht und so richtig einstimmt :D
DANKE dafür ! Muss bestimmt spannend sein, Tango in Finnland ?!
Liebe Grüße Elena :)
Viel, viel, viel Spaß!!!! Ja ich muss sagen, ich hätte jetzt auch Lust auf Buenos Aires und Tango tanzen ;)
“Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens!“
;-)
Eine – wie ich finde – sehr treffende Umschreibung dieses großartigen Tanzes.
Viele schöne Tangostunden wünscht Dir,
MadJo
Ich werde mir bestimmt noch ein paar gönnen ;)
Wer Tango tanzt, sollte dieses Lied kennen.. http://www.youtube.com/watch?v=O5XwvVZbUTQ
Wie wunderbar doch deutsches „Liedgut“ (im wahrsten Sinne des Wortes) sein kann!!!
Danke für diesen Link!!!
MadJo
Gerne :)