Der amerikanische Schriftsteller Charles Dickens schrieb einst über Verona, dass er Angst gehabt hätte dorthin zu reisen, weil er befürchtete die romantische Stimmung von Romeo und Julia, wie es Shakespeare beschrieben hatte, nicht zu spüren. Ich habe eher die Befürchtung, dass mich die ganzen Verliebten und Heiratswütigen, die nach Verona pilgern, um sich das „JA“ Wort zu geben, verrückt machen. Ich gebe zu, dass ich nicht der größte Fan von Romantik bin und englischsprachige Literatur nicht zwingend zu meinen Stärken zähle. Aber schon die Zugfahrt von München über die Alpen nach Verona, während Bergdörfer und Seen, sowie meterhohe Brückenpfeiler an meinem Fenster vorbeieilten, stellen mich auf eine verträumte und romantische Zeit ein. Nur knapp fünf Stunden dauert die Fahrt mit dem Eurocity und ist gewiss spannender als zu fliegen. Und das, obwohl ich Fliegen eigentlich sehr gerne mag.
Wie aber hat man sich diese romantische Stadt im Nordosten Italiens eigentlich vorzustellen? Denn komischerweise behauptet jeder, den ich gefragt habe – und ich habe viele Leute gefragt – , dass Verona ja die optimale Stadt für Pärchen ist.
Doch bereits bei dem Begriff “Pärchen” läuft es mir kalt den Rücken runter. Klar ist einerseits, dass Verona für seine berühmten Opernfestspiele bekannt ist, andererseits, dass der berühmteste Balkon der Literaturgeschichte des „Casa di Giuletta“ tausende und abertausende liebeswütige Touristen jährlich in die Stadt zieht. Für die Opernfestspiele bin ich leider zu früh in die Stadt gereist, denn der Spielplan beginnt erst regulär im Juli. Also kein Aida oder Carmen für mich. Schade eigentlich. Anstelle dessen erwarten mich auf dem Platz um die Arena Spielzeugverkäufer, die absolut unbrauchbaren Plunder an den Mann bringen wollen. Ihr wisst schon, jene leuchtenden Fluggeschosse, die durch die Luft wirbeln und merkwürdige Geräusche von sich geben. Und nur wenige Meter von der Arena entfernt, warten mehrere Restaurants darauf, die Touristenströme ordentlich über das Ohr zu hauen. Anstelle von guten Cappuccino und Pizza, bekommt man hier Pommes und Schnitzel, sowie Pasta, die aussieht, als hätte sich ein fieser Gastronom einen Spaß erlauben wollen. Romantik weit gefehlt. Am besten man geht dorthin, wo kein einziges deutsches Wort auf der Speisekarte zu finden ist. Man wird es nicht bereuen. Ein absoluter Geheimtipp ist die Osteria al Borgo, die etwa 15 Minuten vom Zentrum entfernt ist. Allein das Ambiente ist einen Besuch wert. Noch mehr wert hingegen ist die Pasta und der Käsekuchen. Ich würde sterben für diesen Käsekuchen, glaubt mir. Wer nicht so weit laufen möchte, findet aber auch ähnliche Restaurants in der Nähe der Arena. Noch schlimmer geht es aber vor dem vermeintlichen Balkon der Julia zu. Überfüllt von Schaulustigen und furchtbar kitschigen Liebesbriefen auf weißen Zettelchen und Liebesschlössern an der Hauswand, kann einem eigentlich nur schlecht werden. Jede scheußlich entstellte Autobahnbrücke ist schöner als dieser Kitsch. Ti amo. Von wegen.
Nicht die Verliebten, sondern die Souvenirjäger sind hier in der Überzahl. Und das, obwohl ich gerne Liebesbriefe lese. Zumindest, wenn sie richtig gut geschrieben sind. Doch unter dem Balkon kämpft jeder um ein Bild mit der goldenen Statue. Am besten, sagte man mir, wäre ein Bild, wenn man die rechte Brust der Julia begrabscht. Das bringt Glück in der Liebe. Dann lieber nicht. Mir reicht mein Glück, denke ich mir heimlich, während meine Freundin mir den Rücken zukehrt und sich mit irritierter Miene aus den Staub macht, weil auch Sie scheinbar ein anderes Verständnis für Romantik besitzt, als ein rosafarbenes Schloss mit unseren Initialen an einen Zaun zu schließen. Ich bin erleichtert, dass wir einer Meinung sind und lassen uns weiter durch die Stadt treiben. Doch es geht auch anders. Wenn man den Flair, den Shakespeare in seiner Fassung von Romeo und Julia beschreibt, spüren möchte, sollte sich unbedingt abseits der Touristenzentren bewegen. Denn dann wird man schnell von einer der schönsten und romantischsten Städte Italiens verzaubert werden, auch wenn man nicht der größte Romantiker oder Fan von Romantik, wie ich ist. Die verwinkelten Gassen und bepflanzten Balkone gefallen mir besonders.
Verona ist schwierig zu beschreiben. Fast jede Ecke lädt ein, um fotografiert zu werden. Oder noch besser: Jede Ecke ist es wert, dass man mit seinem Partner ein Foto vor den malerischen Kulissen macht. Gemalt wie von einem Meister. Unglaublich viele fantastische Gebäude, Villen und Hinterhöfe. Verona ist eine Stadt mit atemberaubender Architektur, charmanten kleinen Cafés, Modeboutiquen und zahlreichen Eisdielen und viele – wirklich sehr viele – Grünflächen. In der Nacht erstrahlt die Stadt in einem verträumten und magischen Licht. Wahrscheinlich werden die meisten Verlobungsanträge in der veronesischen Nacht gemacht, denke ich mir. An vielen Ecken finden sich alte Vesparoller und Fiat Cinquecento, die an alte italienische Kino- und Mafiafilme erinnern. „Willst Du ein Eis haben? Du darfst Dir deine Lieblingssorte aussuchen“, fragte ich meine Freundin. Sie antwortete kühl: „Wie romantisch von Dir.” Das Eis war so gut, dass wir täglich nur noch dieselbe Eisdiele – nämlich die Bar Mary in der Via Roma n.1/c – besuchen wollten, um dort gemeinsam Eis zu essen. An meinem letzten Tag in Verona dachte ich mir heimlich, dass es wahrscheinlich wirklich romantisch wäre, wenn ich in einigen Jahren mit meiner Freundin wieder zu dieser Eisdiele fahren werde, um für Sie ihr Lieblingseis zu bestellen. Und neben mir freuten sich im gleichen Moment ein sehr altes und glücklich wirkendes Ehepaar aus Deutschland über ihren eben bestellten Eisbecher.
Und was haltet ihr eigentlich von Romantik? Was ist das eigentlich? Romantisch sein?
7 Kommentare
Haha, dank Erasmusauslandssemester in Venedig darf ich derzeit regelmäßig Tagestouren mit meinen heimischen Gästen nach Verona unternehmen – JEDER weiß, dass Julias Garten eine große Enttäuschung ist und dennoch will JEDER nochmal hin, um es selbst festzustellen.
Danke für Restaurant- und Eisdielentipp! Das wird das nächste Mal fest eingeplant ;)
Berichte, wie das Eis war! ;)
Ich habe in Verona das beste Eis meines Lebens gegessen (und ich war wirklich mehr als genug in Italien XD) und deshalb auch warme Gedanken, wenn ich an die Stadt denke.
Vom Balkon war ich auch enttäuscht, aber ich war jetzt auch nicht versessen darauf, ihn zu sehen. Ich fand es damals nur echt schade, dass ich nur einen Tag in Verona war. Ich hätte gerne noch mehr von der Stadt gesehen.
Es gibt immer ein nächstes Mal :)
Besten Dank für den Tipp mit der Osteria, die ich trotz 3 oder 4 Aufenthalten in Verona (bin mir nicht mehr sicher) noch nicht entdeckt habe.
Ich möchte aber nicht gehen ohne auch einen Tipp da zu lassen: Wer low budget nach Verona reist, kann auf den Campingplatz oben in der alten Festung (Castello) zurückgreifen. Nicht teuer, aber mit wirklich unbeschreiblich toller Aussicht über die gesamte Veroneser Altstadt! Geheimtipp: Sonnenuntergang auf der Terrasse. Probiers’s mal aus, Christine, vielleicht klappt’s ja dort mit der Romantik ;)
PS: Der Campingplatz ist irgendwie in Hippie-Hand. Sanitäre Anlagen sind gewöhnungsbedürftig und hier und da raucht immer irgendeiner “irgendwas”. Aber dafür kann man mitten in einer alten Festung mit Stadtblick zelten.
Verona war jobbedingt fast wie eine zweite Heimat für mich und so kenne ich die Stadt sehr gut. Während der Hauptsaison ist es tatsächlich ziemlich grausam, weil die Stadt vor Touristen überquillt. Die Arena sollte man zur Festspielzeit trotzdem unbedingt mal besuchen! Es gibt kaum etwas Schöneres, als an einem lauen Sonmerabend eine Oper unter dem Sternenhimmel zu genießen. Mein Top-Tipp für Verona ist übrigens die Antica Bottega del Vino, nur wenige Gehminuten von der Arena entfernt.
Hallo Christine!
Oh da hast Du aber nicht so viel Glück mit dem Wetter gehabt… trotzdem immer eine Reise wert, dieses Verona – und eigentloch so nah an Deutschland. Da muss ich gleich wieder an unseren Citytrip nach Verona denken…
Liebe Grüße sendet der Daniel