Ich glaube, viele meiner Freunde halten mich für ein bisschen verrückt. Kaum bin ich für ein paar Tage zu Hause, geht es schon wieder los – entweder direkt mit Sack und Pack oder zumindest gedanklich. Klingt jetzt irgendwie nach Flucht und Zuhause-ist-alles-doof. Nein, das ist es nicht. Definitiv nicht. Ich finde mein Würzburg ganz schön dufte, bin wahnsinnig gern hier, liebe die vielen tollen Menschen, die ich um mich habe – genauso wie den Main, meine WG, meine Lieblingseisdiele, den Bäcker bei mir um die Ecke und natürlich den feinen Wein. Dennoch gehe ich gerne – sowohl nur übers Wochenende als auch für ein paar Monate.
Aber wieso? Warum verlässt jemand seine Wohlfühl-Base so gerne? Darum: Mich hat die große, weite Welt schon als kleiner Zwerg fasziniert. Damals saß ich jeden Sonntagabend mit meinem Opa vor dem Fernseher und habe Tier- und Reisedokus geguckt. Der Gute war nämlich ein genauso umtriebiger Mensch wie ich es heute bin. Immer unterwegs, immer mit neuem (Reise-)Ziel vor Augen. Man kann also fast sagen: Mir wurde das Reise-Gen bereits in die Wiege gelegt. Fast. Denn bis es bei mir endlich mit Anfang erstmals zwanzig auf große Tour ging, hat es noch etwas gedauert. Schließlich ist mein zweiter Name „Schisser“.
Nach der ersten großen Reise, die zusammen mit meinen Mädels knapp vier Monaten durch Asien ging, kam ich dann zurück und war infiziert. Nein, nicht mit Malaria, Dengue-Fieber und Co., sondern mit dem Reisevirus. Dieser ist bis heute geblieben – und sozusagen unheilbar. Und das kommt nicht von ungefähr, denn an „Heilung“ war ich bislang nicht interessiert. Das ganze Hin-und-her-Reisen hat mich weitergebracht, mich viel gelehrt und mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt, hier und heute bin.
1. Du verlässt deine Komfortzone
Wie schon gesagt, mein zweiter Name könnte „Schisser“ sein. Glaubst du nicht? Es ist so. Vor meinem ersten Flug allein war ich Tage vorher fix und fertig, habe mir diverse Szenarien ausgemalt und konnte an nichts Anderes mehr denken. Heute, einige Flüge später, kann ich darüber nur den Kopf schütteln und steige voller Vorfreude aufs neue Abenteuer in jedes Flugzeug. Angst? Fehlanzeige!
Aber so ist es nun einmal: Man kommt nicht weiter, ohne seine schützende Komfortzone zu verlassen – vor allem nicht beim Reisen. Unterwegs musst du dich ständig auf neue, fremde Situationen einstellen, Unvorhersehbares wartet immer und überall. Das Gute daran ist jedoch, dass man sich irgendwann daran gewöhnt, seine Kontrollfreak-Ambitionen ablegt und merkt: Hey, das klappt ja auch so – und sogar ziemlich gut. Klar, hin und wieder muss man sich dann doch ins kalte Wasser schubsen – aber das hält ja bekanntlich jung.
2. Du wirst kreativer
Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber in meinem Job soll ich eine kreative (Höchst)Leistung nach der anderen abliefern. Das funktioniert natürlich nicht immer, irgendwann ist das Köpfchen wie leer gefegt, die Kreativität gleich null. Was mir dabei hilft, sind neue Eindrücke, neue Bilder, neue Menschen, neue Umgebungen. Dieser Input kitzelt meine Synapsen und die Ideen in meinem Kopf sprudeln nur so vor sich hin. Hell, yeah – die beste Kreativitätstechnik ever.
Kreativität ist beim Reisen aber noch in vielen weiteren Bereichen gefragt, beispielsweise in Sachen Organisation und Problemlösung. Schließlich läuft on the road nicht immer alles wie gedacht und Plan B muss aus der Tasche gezaubert werden: Was tun, wenn die Unterkunft der Wahl ausgebucht ist? Was tun, wenn du den Bus um wenige Minuten verpasst hast? Was tun, wenn die Reisekasse knapp wird? Egal, was es ist – es gibt immer eine Lösung. Eine Lösung, an die du wohl noch nicht einmal im Traum gedacht hättest, die aber in diesem Moment, in dieser Situation 1a funktioniert. Kurzum: Die Menschen, die vielen Eindrücke und frischen Erfahrungen kurbeln kräftig an unserer Kreativität und lassen uns „Out of the box“-Denken.
3. Du wächst über dich hinaus – in jeglicher Hinsicht
Nein, das meine ich nicht körperlich. Zu meinen 1,63 Metern Körpergröße ist in den letzten Jahren definitiv kein Millimeter hinzu gekommen, dafür aber so einige Eigenschaften, die vorher noch nicht so wirklich da waren. Wie schon gesagt: Reisen ohne seine Komfortzone zu verlassen funktioniert nicht so wirklich. Ich musste in vielen Situationen über mich hinaus wachsen. Das hat mein Selbstbewusstsein trainiert, mich offener, spontaner und gelassener gemacht.
Ich kann heute mit vielen Situationen umgehen, vor denen ich vor meiner ersten großen Reise am liebsten Reißaus genommen hätte. Denn: Unterwegs musst du mit fremden Leuten kommunizieren, eine andere Sprache sprechen, dich ungewohnten Situationen, Lebens-, Sicht- und Denkweisen stellen, die „German Angst“ ausblenden und dein ach so deutsches Sicherheitsdenken einfach mal ausblenden.
Manchmal gar nicht so einfach, aber tu es einfach, hüpfe mit vollem Karacho über den Schatten – und du wirst ganz schnell merken, was in der bunten Welt da draußen alles Tolles, Wunderbares und Einzigartiges auf dich wartet: Fremde, die ganz schnell zu Freunden werden. Essen, das auf den ersten Blick aussieht wie Katzenkotze, dann aber zu deinem neuen Leibgericht wird. Abenteuer, die auf den ersten Blick ziemlich angsteinflößend wirken, dann aber für immer unvergesslich werden.
Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Unterwegs wirst du ständig mit unerwarteten Situationen konfrontiert, die du meistern musst – und auch wirst. Und selbst wenn etwas mal nicht klappt: Who cares, was dich nicht umbringt, macht dich schließlich stärker!
4. Du merkst, was dir im Leben wirklich wichtig ist
Früher dachte ich wohl echt mal, dass mich eine mega schick eingerichtete 150 Quadratmeter Styler-Bude, ein tolles PS-starkes Auto, teurer glitzer-bling-bling Schmuck und trendige Designer-Teile total glücklich machen würden. Dachte ich – zum Glück. Heute sieht das ganz anders aus. Ich habe gemerkt, was mir im Leben wirklich wichtig ist und dass das definitiv nicht die materiellen Dinge sind.
Klar, freue ich mich auch darüber, wenn ich mir eine neue Kamera oder ein neues Shirt leisten kann, aber es sind vielmehr die kleinen Sachen, die mir unvergessliche Momente bereiten: Das tiefgründige Gespräch mit der besten Freundin und einem Glas Wein auf dem Balkon, das wortlose Sonnenuntergang-gucken am Meer mit einem Menschen, den man sehr gerne hat, die süße Unterhaltung mit der spanischen Verkäuferin im Supermarkt, die trotz meinem gebrochenem Spanisch und ihrem nicht wirklich vorhanden Englisch funktioniert – und mir ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Genau solche Momente sind es, die mir zeigen, was mir in meinen Leben wirklich wichtig ist und mich zum glücklichsten Mensch der Welt machen.
5. Du lernst zu schätzen, was du hast
Wir, die in Deutschland geboren wurden, wachsen mit so vielen Privilegien auf. Vieles, was für uns selbstverständlich ist, ist in vielen anderen Ländern noch lange nicht an der Tagesordnung. Damit meine ich nicht nur Armut und Krieg, welche leider nach wie vor auf einigen meiner bisherigen Reisen noch allgegenwärtig waren, sondern auch Kleinigkeiten wie das Fehlen einer 24-Stunden-Strom-Versorgung, den hohen Chlorgehalt im Leitungs- bzw. Trinkwasser oder das Nicht-existieren einer Toilettenspülung. Kleine Dinge, die wir hier in Deutschland jeden Tag zur Verfügung haben, ohne es zu aktiv zu bemerken und vor allem wertzuschätzen. Dank dem Reisen beamt es einen dann doch wieder zurück auf den Boden der Tatsachen, man denkt nach, reflektiert und merkt: Wow. Es ist echt irre, wie viel Glück ich habe. Merci!
6. Du lernst loszulassen
Wo wir schon beim nächsten Thema sind. Unterwegs merkt man, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Es geht auch ohne den unnützen Krempel, den wir in unseren vier Wänden horten. Als ich Ende letztes Jahr von meiner Zeit in Spanien nach Hause kam, war ich total fix und fertig. Sieben Monate hatte ich nur mit einem Rucksack voller Krams gelebt und dabei nie etwas vermisst. Zurück in der Heimat war ich total überfordert mit dem ganzen Besitz, der dort auf mich wartete: Da ein Karton mit Klamotten, hier noch einer, dort noch drei. Hilfe! Wann sollte ich das alles anziehen? Also entschloss ich kurzerhand: Weg damit. Ich verschenkte, verkaufte, verkleiderkreiselte. Und ich kann es euch nur sagen: Loslassen lohnt sich! Ich für mich finde es wahnsinnig befreiend, nur wenige Gegenstände zu besitzen, damit fühle ich mich viel flexibler und freier.
7. Du kommst wahnsinnig gern nach Hause zurück
So gern ich unterwegs bin, so gern komme ich auch wieder nach Hause zurück. Aber nicht, weil ich Heimweh habe oder so. Ich merke einfach, wie sehr ich viele Dinge genieße, die ich unterwegs nicht haben kann: wieder in meinem eigenen, großen Bett schlafen, meine Family und Freunde drücken, Mamas leckeres Essen futtern, mit meiner Nichte Seifenblasen pusten, eine heiße Dusche mit ordentlichem Wasserdruck nehmen oder auf dem Balkon ein gutes Glas fränkischen Weißwein trinken. Und das Beste dabei, ich weiß ja: Die nächste Reise kommt bestimmt!
Die Gastautorin:
Hi, ich bin die Julia. Texterin, Wahl-Würzburgerin und von ganzem Herzen Weltenbummlerin. Ganz ehrlich: Keine Ahnung, wann ich mich mit dem Reisefieber infiziert habe – aber ich schleppe das nun schon seit einigen Jahren mit mir rum. Kaum bin ich von einem Trip zu Hause angekommen, muss ich wieder los. Ein echter Teufelskreis. Nachdem ich die letzten drei Jahre brav gearbeitet habe, wird es nun höchste Zeit für ein neues, großes Abenteuer – das bedeutet: bye bye Würzburg, hello Welt. Sprich: Ich hänge meinen Texterjob an den Nagel, packe meinen Backpack und mache die große, weite Welt unsicher. Naja, erstmal nur Spanien. Aber who knows … Denn: Da draußen warten viele Abenteuer!
1 Kommentar
Toll geschrieben, du sprichst mir auch aus der Seele!
Ich lasse dir liebe Grüße da