Nirgendwo ist die Freude der Menschen über den Fußball so groß wie in Brasilien. Die besten Fußballer kommen aus Brasilien und nun wird sich angeblich auch die wirtschaftliche Situation in Brasilien ändern und somit auch der Wohlstand der gesamten Bevölkerung. Angeblich… Zumindest hatte ich das bis zu jenem Tag gedacht, bis im Juni 2013 völlig unerwartet ein heftiger politischer Protest von Hunderttausenden Menschen das Land überrollte. Laut lokalen Medienberichten wurde ein Reporter durch Splitter einer explodierenden Rauchgranate verletzt. Sicherheitskräfte hingegen gingen mit Tränengas und Pfefferspray auf die Demonstranten los. Auf der Seite der Demonstranten wurde andererseits mit Pfeil und Bogen auf Polizisten geschossen. Sowohl auf Seiten der Demonstranten als auch der Polizei kam es zu schweren Verletzungen. Unvorstellbar. Während des Turniers sind etwa 170 000 Polizisten, Soldaten und private Sicherheitskräfte im Einsatz. 170 000! Und das, obwohl alles so vielversprechend begonnen hat. Als Brasilien vor sieben Jahren den Zuschlag für die WM bekam, stand das Land Kopf und die Jubelschreie waren bis nach Deutschland zu hören. Mittlerweile sind seit dem Confederations Cup zwölf Monate vergangen und heute spielt die deutsche Nationalelf gegen Portugal. Ein Grund zur Freude? Sicher. Zumindest, wenn man sich auf der richtigen Seite befindet und seinen finanziellen Profit aus der Weltmeisterschaft ziehen kann. Oder natürlich auch, wenn man leidenschaftlicher Fußballfan ist. Egal für welche Mannschaft. Ganz klar: Jede Weltmeisterschaft bringt Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, zusammen. Für mich sicherlich das Schönste am Fußball.
Auch in meinem Freundeskreis sind zahlreiche Fußballenthusiasten, die sich seit Monaten auf die Spiele der Weltmeisterschaft freuen, fleißig „Panini“ Sticker sammeln und tauschen und sich schon Wochen vor dem Endspiel ausmalen, wo sie das Finale am besten schauen können. Was mir aber trotzdem seit Tagen durch den Kopf geht: Die Debatte um die Missstände der Fußball-WM und die dumme Behauptung, wie sehr angeblich die Bevölkerung von dem Massenspektakel profitieren wird. Eigentlich wollte man die vielerorts rückständige Infrastruktur der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt auf Vordermann bringen: Moderne Flughäfen, mehr öffentliche Busse und neue U-Bahnlinien. So zumindest das Versprechen der Politik. Doch die Weltmeisterschaft hat vielmehr dazu beigetragen, dass Existenzen ganzer Gemeinden für Stadien, Parkplätze und Zugangsstraßen zerstört wurden. Ist das etwa ein Profit für die Bevölkerung? Für die sozial schwächere Bevölkerung sicherlich nicht. Statt soziale Härten zu mildern, werden in Brasilien Bürgerrechte mit Füßen getreten. Und ja, auch ich schaue hin und wieder gerne Fußball. Und auch ich verdränge bestimmt, wenn die deutsche Nationalelf am Montag ihr erstes Spiel gegen Portugal bestreiten wird die Probleme und Protestwellen, die in Brasilien existieren. Dennoch scheint es Konsens zu sein, dass mit der Weltmeisterschaft in Brasilien etwas nicht stimmen kann. Wie mittlerweile bekannt sein dürfte, gab es in Rio de Janeiro immer wieder Proteste, weil sehr viele Bewohner der Armenviertel zwangsumgesiedelt wurden, um Platz für eine bessere Infrastruktur im Zuge der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft zu schaffen. Doch nicht nur die Weltmeisterschaft an sich, sondern auch die Unzufriedenheit mit dem Zustand des Erziehungs- und Gesundheitssystems, die Probleme mit dem Nahverkehr, Korruptionsskandale, sowie die immensen Summen für den Stadionbau heizten die Proteste an. Die Schlagzeilen der Internationalen Presse sind voll von Polizeiübergriffen und Unruhen, während Neymar und seine Truppe erstaunlich wenig zu Wort kommen. Es kursieren sogar Blogbeiträge durch das Netz, in denen behauptet wird, dass Straßenkinder erschossen wurden, um die Städte Brasiliens von ihnen zu reinigen, um der Welt zur Fußballweltmeisterschaft ein gutes Bild zu geben. Auch wenn Thierry Weil, besser bekannt als FIFA-Marketingdirektor weiterhin an die größte Party der Welt glaubt und die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff immer noch von der Weltmeisterschaft aller Weltmeisterschaften spricht. Ein Irrglaube. Das es sich jedoch um die teuerste WM aller Zeiten handelt, ist als missglücktes Ziel bereits erreicht. Umgerechnet mehr als etwa acht Milliarden Euro kostet das Großereignis. In Brasilien geht es nicht um eine Party und schon gar nicht mehr um den Fußballsport, sondern um die Anerkennung Brasiliens. Das die unfassbaren Investitionen dem Lande zu Gute kommen würden, wie viele behaupten, kann ich nicht glauben. Ein Beispiel: Aus welchem Grund baut man in Brasilien das teuerste Stadion der WM, wenn gerade dort kein einziger Verein weder in der ersten noch in der zweiten Liga spielt? Manche Stadien wie beispielsweise in Cuiabá und Manaus werden nach der WM gar nicht mehr gebraucht. Während eigentlich die Freude um den Fußball im Mittelpunkt stehen sollte, dreht sich jetzt wenige Stunden vor dem Anpfiff der deutschen Nationalelf alles nur noch um Politik, Proteste und Unzufriedenheit. Ich hoffe, dass zumindest die Weltmeisterschaft auf dem Spielfeld fair verlaufen wird. Man kann nur hoffen, dass die FIFA beim Elfmeterpfiff beim Eröffnungsspiel für Brasilien nicht die Finger mit im Spiel hatte, um möglichen Protesten nach einer Niederlage des Gastgebers aus dem Weg zu gehen.
Gewiss darf man sich auf das anstehende Fest freuen, doch genauso halte ich es für wirklich wichtig, dass die Brasilianer auf die Straße gehen und ihrem Ärger Luft machen. Den Spaß am Fußball wollen wir euch garantiert nicht nehmen. Aber man darf eben nicht vergessen, was nach und vor den Spielen passiert. FIFA Chef Blatter meinte ja: “Wenn der Ball erst einmal rollt, wird in Brasilien ein Klima von Samba und Rhythmus herrschen.“ Bestimmt. Aber immer mit einem faden Beigeschmack.
10 Kommentare
Hi Michael,
ich lese hier zum ersten Mal einen Beitrag von dir aber bin sofort sehr beeindruckt! Alles was du schreibst ist richtig, von vorne bis hinten! Und danke das du dabei hilfst die Menschen auf der Welt auch auf die Schattenseiten der WM aufmerksam zu machen. Viel zu viele haben das noch nicht begriffen.
Mir persönlich hängt das ganze WM Gedöns schon seit Jahren zum Hals raus aber was jetzt in Brasilien (von Katar mal ganz abgesehen) abgeht lässt mich nur noch kotzen, jeden Tag.
Es sterben Menschen unter dem Deckmantel der fifa WM – da gibt es für mich nur noch eine Option: WM-Boykott. Ganz oder gar nicht. Alles andere ist in meinen Augen heuchlerisches “mal mit dem Zeigefinger wedeln”, sorry!
Das hat der Sport “Fussball” vielleicht nicht verdient aber aber kannst du wirklich ein Fussballspiel genießen mit dem Wissen das Demonstranten in der selben Minute wie Schlachtvieh behandelt werden… ? Ich bitte alle Schlandfans heute abend um 18Uhr mal darüber nachzudenken wieviel Zuschauer und Unterstützung solch eine WM noch verdient hat…
Ich bin dann mal wieder kotzen…
Oh, da hast du aber was verpasst Tim, Michael schreibt hier schön länger und öfters!
Nein. Ich kann die Spiele nicht genießen.
Ja, da geht in Brasilien gerade so einiges schief. Das Geld wäre in andere ereiche besser investiert gewesen. Vor allem stehen die riesigen Stadien anschließend leer, weil der Unterhalt viel zu teuer ist. Was soll man dazu noch sagen? Viel Geld ausgeben, von dem nachher keiner was hat…
Dazu kann ich nur eines sagen: Volle Zustimmung
Andreas
Da sehe ich auch ein Problem drin, erst werde rieseige überdimensionale Stadien gebaut und nach der WM stehen sie leer und können nicht gefüllt werden, Unterhalt dieser Objekte dann viel zu hoch, Kosten Nutzen steht nicht im Verhältnis, irgendwann dann wieder Abriss, tolle Sache.
Och nee, nicht politisch werden. Das kann diese Lilly doch garnicht. Bleibt bei Eurem flitterflatter Krahm und alles wird gut.
Tja, hättest du wohl gern. Nix da!
Du hast so recht! Aber wen interessiert das schon..Leider. Lg Anja