Ich hatte neulich ein Bewerbungsgespräch. Wer schon ein paar solcher Ereignisse hinter sich hat weiß, dass es die überraschendsten Fragen geben kann. Ich mag das. Bewerbungsgespräche sind ein bisschen wie Speed Dating auf geschäftlicher Ebene. In 30 Minuten versucht der Gegenüber einen zu durchleuchten und man selber hat in der Hand wie man sich zeigen will. Ich bin die offene und ehrliche, die keine Lust hat, sich in irgendein Licht zu rücken. Neulich, bei diesem besagten Bewerbungsgespräch, hatte ich eine wirklich schöne Frage, die ich vorher noch nie gestellt bekommen habe:
„So Frau Neder, wenn sie jetzt einen Wunsch frei hätten, was wäre das?“
Ich musste nicht lange überlegen. Es ist kein Geld und kein Luxusapartment, keine Klamotten oder Superkräfte. Die Antwort war ganz einfach und schlicht:
„Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen, die mir etwas bedeuten in einer Stadt wohnen.“
Ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen wird, wenn keine Zauberfee vorbei kommt. Eine Stadt, in der alle wohnen, die ich liebe. Familie, alte Freunde, neue Freunde, Bekannte, Verwandte. Ja, das würde ich mir wünschen.
Ich komme mir manchmal wie eine Katze, mit sieben Leben vor. Ständig bin ich unterwegs, besuche Freunde und Familie, husche von einem Leben in das andere, wobei die Unterschiede manchmal enorm groß sind. Skifahren und Germknödel essen in München, Käsekuchen und Kaminfeuer bei Mutti in Schweinfurt, Indonesisch und Freakshow in Berlin. Dann noch mal da und dort im Ausland den Touristen spielen. Es ist immer Abwechslung dabei, es wird nie langweilig aber es macht auch traurig, ein bisschen. Zu jedem neuen Leben, in das man für ein paar Tage eintaucht, gehört auch das Abschied nehmen. Es beginnt meistens schon einen Tag vorher. Man muss sich ja langsam daran gewöhnen, dass man gleich wieder weg ist, obwohl es doch so schön war. Dann wird man zur U-Bahn begleitet. Der Koffer noch schnell in den Wagen gestellt, ein Spruch zum Abschied, bevor die Tür zugeht und man losfährt. Weg. In ein anderes Leben. Es wird ein freudiges Lächeln aufgesetzt und gewunken, doch man erkennt immer weniger. Alles wird verschwommen, es bildet sich enorm viel Flüssigkeit im Augen. Ich weine. Einmal blinzeln und die ganze Scheisse läuft den Backen hinunter. Schnell wegwischen und Gähnen, damit die anderen Passanten denken, die Augen tränen vom Gähnen und nicht vom Abschiedsschmerz der einem ins Herz sticht. Der Abschiedsschmerz, der immer da ist. Jedes Mal, in jedem Leben. Über die Jahre hinweg, habe ich mir schon einen kleinen Schutzmechanismus aufgebaut. Ich gebe mir 10 Minuten um den Aufenthalt im letzten Leben noch einmal Revue passieren zu lassen, bevor ich auf Reset drücke, ein neues Tape einlege und mich ablenke. Vorfreude ist die schönste Freude, Nachtrauer die schrecklichste Trauer. Deswegen Lenke ich mich ab, versuche mich auf das neue kommende Leben zu freuen. Schreibe To-do-Listen und versuche nicht mehr zu weinen. Ich liebe meine Leben. Ich habe das Privileg an den Orten zu sein, an denen ich gerne bin. Doch manchmal, wenn ich eine Familie mit Kinder sehe, dann wünsche ich mir das auch, weil ich weiß, dass eine eigene Familie irgendwann das einzige sein kann, das mich an einer Stelle halten kann. Die mir nur ein einziges Leben gibt, einen Ort, an dem ich bleibe.
Ich sitze in der Bahn, schaue aus dem Fenster, auf die wunderschöne Schneelandschaft und genieße die Vorfreude auf das sesshafte Leben. Ich weiß, dass die Hummeln im Hintern noch viel zu stark sind und das ich meine sieben Leben noch viel zu sehr liebe um sie gegen Eines einzutauschen. Aber das Abschied nehmen, dass ist einfach scheiße. Jedes Mal aufs Neue…
16 Kommentare
Gut getroffen!! Ich habe mitgefühlt :)
Hi Christine!
Kann ich voll und ganz nachvollziehen. Nach auch mittlerweile vier Wohnorten in einem Umkreis von (nur) 250 Km und 10 Jahren Wochenendbeziehung bin ich seßhaft geworden.
Feste Freundin. Feste Heimat. Sandiger Boden. Zwei Katzen. Zuhause.
Und das ist auch okay so. Irgendwann war ich das Jaffakistenleben aus der Kulturtasche leid. Ein eigenes Bett wurde immer wichtiger als das Dasein auf der Flucht und das Wissen darum, was hinter der nächsten Kurve liegt wurde wichtiger als die Frage, wie’s ganz woanders aussieht.
Ich glaube, du solltest noch ein bisschen reisen und dann deinen Mittelpunkt finden. Dein Hauptquartier. Dein Kopfkissen. Von da aus sieht die Welt viel besser aus als aus’m Zugfenster.
“ich eine Familie mit Kinder sehe, dann wünsche ich mir das auch, weil ich weiß, dass eine eigene Familie irgendwann der einzige sein kann, das mich an einer Stelle halten kann. ” irgendwann DAS einzige sein kann…. sollte es doch heißen.
zum Text: So eine Frage kann ja tief blicken lassen.
– Ich finde nur schon, daß ein ‘aktiver’ Abschied den man vollzieht etwas anderes ist als ein ‘passiver’. Wenn man z. B. aus seiner Heimatstadt geht, um irgendwo etwas Neues zu beginnen, dann ist dies ja aus eigener Entscheidung. Entweder weil man es tun ‘muss’, d. h. weil diese Möglichkeit dort nicht besteht oder aber weil man es tun möchte. Im Gegensatz dazu wenn sich jemand von einem trennt oder noch schlimmer durch tot für immer verloren ist. Gegen diese ‘passiven’ Abschiede kann man in der Regel nichts tun. Man wird ‘verlassen’. Tut mir persönlich mehr weh.
Schön geschrieben, kann deine Gefühle gut nachvollziehen..
Das ist wieder so einer deiner genialen Texte, und ich kann total nachvollziehen, was da innerlich abgeht. Und auch der Kommentar von Don Krypton gefällt mir ausgesprochen gut – toll geschrieben, Don.
Ich denke, es kommt alles zu seiner Zeit. Das, was du bis jetzt getan hast und im Moment noch tust, ist richtig … ist das, was du gebraucht hast, und es war und ist die richtige Zeit dafür, auch wenn das diese Scheiß-Abschiede mit sich bringt. Und ohne all das würdest du dich nach dem Seßhaftwerden auch wahrscheinlich immer “unvollständig” fühlen.
Aber es ist wunderschön, irgendwann wirklich “anzukommen” und zur Ruhe zu kommen. Und das Schönste: die Menschen, die man vorher nach Abschieden immer so schmerzhaft vermisst hat, fühlen sich auf einmal gar nicht mehr “so weit weg” an – komisch, aber es ist so.
Von Herzen alles Gute für dich!!
ja das kenn ich ….. :( Deutschland kann einfach viel zu groß sein!
Ist das Foto dein ernst? Nicht schön, wenn man sowas direkt nach dem Aufstehen sieht! Da hab ich auch wirklich keine Lust mehr, den Artikel zu lesen.
Ech Frau Neder! Ein kack Foto!
veränderungen gehört doch zum leben oder? und stillstand ist der tod….warum sich menschen immer so scheuen vor sowas.. und immer auf pure sicherheit setzen wollen… ein leben wollen wie in einer versicherungs werbung haben wollen….anstatt die veränderungen mit freude und neugierde zu begegnen….
und ja das foto ist mal richtig kacke…. noch kackiger wie die einstellung.
Ich glaube jeder sollte für sich entscheiden. Es muss auch Menschen geben die Sicherheit lieben und leben.
Eine gewisse Art ‘Sicherheit’ möchte sicherlich jeder für sich, nur es ist trügerisch zu glauben das man sie tatsächlich hat.
Das Erste, was mir durch den Kopf ging: Du bewirbst Dich? Doch keine freiberufliche Autorin? (Das ist kein Vorwurf!)
Nagut, im Text geht es dann doch um etwas ganz anders. Wie die anderen Kommentatoren, kann auch ich von den Vorteilen des Sesshaftwerdens berichten. Aber ich glaube, dass ich diese Vorteile nur schätzen kann, weil ich einen Teil meines Lebens auf Tingeltour war. So ganz fertig, wie Don bin ich leider noch nicht (weder Freundin, noch Katze), aber ich arbeite daran…
Dir und allen anderen wünsche ich viel Erfolg dabei!
Ich sehe das Ganze so:
Es gibt keine Sicherheit außer dem Anfang und dem Ende. Nur der zweite Zeitpunkt ist unbestimmt. Dazwischen herrscht weitestgehend Gestaltungsfreiheit im vorgegebenen Rahmen mit unbeeinflussbaren Ereignissen, auf die wir reagieren dürfen. Das nennt man Leben. Müssen müssen wir nur wenige Dinge, um weiteruzuleben. Das sind Atmen, Nahrungsaufnahme und Verdauung sowie Schlaf. Der Rest ist eigentlich frei, d. h. es liegt an uns, wie wir mit den scheinbar festen und sich ständig veränderbaren und nur begrenzt vorhersehbaren Geschehnissen und Zuständen umgehen.
Insofern ist das ganze Leben eine Reise voller Veränderung, in der ähnlich dem Wasserkreislauf nie völliger Stillstand herrscht. Der Rhein ist am Anfang klein, wenn er aus dem Alpenmassiv sprudelt, entwickelt sich mit mehr oder weniger starker Geschwindigkeit und scheint schon nach wenigen Kilometern zum Fluß erwachsenen im Bodensee stillzustehen. Scheint – doch da fließt er plötzlich wieder bei Konstanz weiter und bahnt sich seinen Weg mal direkt und geradlinig, mal in großen Bogen und teils verästelt seinen Weg. Er ist Einflüssen, Dürre und Hochwasser ausgesetzt, Verschmutzungen und Energieentnahme. Zuletzt mündet er aber unausweichlich in die Nordsee und seine Quell-, Regen- und Zuflusstropfen verdunsten, um in irgendeinem Gebirge einem neuen Rinnsal Leben einzuhauchen …
Nicht anders ist das menschliche Leben. Zur Krise gehört die Veränderung, zur Trennung die Wiederkehr, persönlich manchmal aber auch der Abschied für immer.
Wer zaudert und sich aus Angst vor Veränderung nichts traut, der wird vom Strom der Zeit mitgerissen und wird verändert.