Ich stehe für ein Wochenende verdammt früh auf.
Es steht noch eine 7 vor der Weckzeit. Aber das ganze hat einen Sinn – ein Wochenendausflug zum See. Ich packe meine Sachen, schleppe sie vom ersten Stock ins Auto, um die Ecke und düse los, Richtung Norden.
Samstagmorgen durch Berlin zu fahren hat einen meditativen Charakter. Alles ist noch ruhig. Es sind kaum Menschen auf der Straße. Man hat Zeit, die Stadt auf sich wirken zu lassen und wird nicht ständig von Ereignissen um sich herum abgelenkt.
Es passiert nämlich nichts.
Es ist niemand auf der Straße.
Nur ich fahre durch die Gegend und merke die zwei Glas Wein vom Vorabend in meinem Kopf. Es wird im Minutentakt heißer und stickiger und sauerstoffarmer im Auto. Ich bin in Hitzetrance.
Doch nach zwei Stunden erreiche ich mein Ziel – Silz.
Silz bei Waren und vielen Seen. Ich beziehe ein kleines Apartment im Sonnengutshof und leihe mir ein Fahrrad aus, um wie damals als Kind, vor mehr als 15 Jahren durch Felder und Wiesen zu radeln, über Stock und Stein, hin und her. Als erstes geht es jedoch an den See, eine ON/ OFF Situation.
ON: Man springt euphorisch ins kühle Nass, schwimmt seine imaginären Bahnen, merkt, wie sich die der breit gesessene Flacharsch mal wieder anspannt und der Körper in Bewegung ist. Das tut gut. Doch irgendwann setzt der Kälteschock ein und man muss das Spaßbad verlassen.
OFF: Ich liege auf meinem Handtuch in der Sonne. Die Haare kleben an meiner Stirn, auf der sich ein Gemisch aus Sonnencreme und Schweißperlen bildet.
Das tut so gut. Die Wärme der Sonne, das Loslassen, der kleine Mittagsschlaf, aus dem man wie vernebelt aufwacht.
ON: Ich spüre ein Kitzeln auf meinem Oberarm. Ich öffne die Augen und sehe das Schrecken. Eine riesige, langbeinige Spinne fühlt sich zu mir, meinem Oberarm hingezogen und wandert auf ihm herum. Binnen Sekunden springe ich wie eine hysterische Furie auf und schreie wie nur ein Mädchen schreien kann.
OFF: Ich setzte mich wieder auf die Decke und versuche den Schreck zu verdauen. Ich starre auf den See, die Oberfläche, die Wellen, die vorbeifahrende Boote erzeugt haben und das Glitzern.
ON: Nächste Runde im See. Wieder den ganzen Mut zusammennehmen, die Riesenfische ignorieren, die Kälte vergessen, rein ins Wasser und schwimmen, die Muskeln spüren, den Körper fühlen, wie er durch das Wasser gleitet.
17 Uhr ist Feierabend. Freizeitfeierabend. Ich schwing mich auf das Rad und fahre zurück zum Feriendomizil. Eine kalte Dusche spült die Reste vom See von meinem Körper und verleiht ihm einen wohltuenden Geruch. Ich setze mich mit meinem Laptop unter den Kirschbaum, nach draußen auf die Gartenmöbel aus Schmiedeeisen und checke meine Mails. Aber diesmal ohne Leidenschaft und mit Freude über keine neuen Nachrichten von der Welt da Draußen. Ich bin gerade in meiner eigenen und möchte bitte nicht gestört werden.
Ich habe ein Hungergefühl. So eines hatte ich schon lange nicht mehr. Es kommt von der vielen Luft und der Bewegung. Aber auch für die Nahrungsaufnahme muss ich mich wieder bewegen und ins Nachbardorf fahren, nach Alt Schwerin. Ich fahre durch Verkehrskreisel, an Mohnfeldern vorbei, sehe wie sich die Weizenfelder in der Abendsonne bewegen und die zusammengeflickten Straßen des Ostens. Ein Farbenmeer aus unterschiedlichen Asphaltfarben, die Löcher oder Risse ausgebessert haben. Mein Ziel ist die Forelle – ein Fischrestaurant am See.
Ich setzte mich an den kleinen Tisch neben dem Fischer-Stammtisch und lausche dem Gespräch am Nachbartisch über Angelköder. Zwei Kinder planschen am Seeufer und lassen Steine auf der Oberfläche tanzen. Ich sitze da und beobachte, in einer mir fast verlorengegangenen Ausgeglichenheit das Geschehen bis mich die Bedienung aus meinen Gedanken holt und mir meinen Wels mit den Bratkartoffeln vor die Nase stellt. Er schmeckt wie ein Fisch aus dem See – vorzüglich.
Die Fahrt nach Hause gibt mir den Rest. Soviel Bewegung und frische Luft ist mein Körper nicht gewöhnt. Ich breche im Bett zusammen und falle in einen elfstündigen Dornröschenschlaf, in dem mich Mamutkühe verfolgen, die ich aus Versehen mit einer Frisbee am See getroffen habe.
Der nächste Morgen ist grandios. Schlaftrunken taumle ich auf die Terrasse und lasse mich auf die Schmiedeeisenmöbel nieder. Ich fühle mich wie neu geboren. Der Fisch vom Vorabend hat mich mit Zaubernährstoffen versehen, die Sonne mich optisch 2 Kilo schlanker gemacht, der See meine Muskeln geformt und gleichzeitig auch mein Hirn durch spült.
Ich steige am frühen Abend wieder in mein Auto, Richtung Berlin um mich in meiner dunklen Wohnung unter die Bettdecke zu legen und den Tatort zu schauen. Doch ich kann nur an den See denken und das Fahrrad, die weiten Felder und den Sonnenuntergang. Nach dem Mord, verschwinden meine Erinnerungen und eine Sehnsucht macht sich breit.
4 Kommentare
Hast auch ein Bild von der riesengroßen Spinne? :-) Wie immer schön geschrieben. Wolltest sicher einfach mal deine Ruhe haben, oder?
ich finde es ein bisschen schade, dass du nur von dir schreibst, obwohl laut der bilder davon auszugehen ist, dass du nicht alleine dort warst.
Ja, ich wollte die Ruhe. Und ja, es war jemand dabei.