Gutes tun sollte man in erster Linie sich selbst. Erst danach, wenn man bis zum Überschwappen mit Güte gefüllt ist, kann man sie teilen. Das eigene Wohlbefinden ist die Kaimauer. Alles, was sich dahinter zu viel anstaut, geht in die Welt. Und weil meine Seele seit Längerem mit dem Elbehochwasser um die Wette läuft, habe ich mich bei der Stiftung „Gute Taten“ gemeldet. Wer den Stiftungsmitarbeitern zum ersten Mal begegnet, merkt schnell: Gutes tun macht ziemlich häppie.
Werde Engel für einen Tag
Ihr registriert Euch auf der Internetseite und bekommt dafür eine Mail, ein erstes Treffen, ein langes Hallo, strahlende Gesichter und massig Projekte, die auf Leute warten, denen der Sinn nach Amt und Ehren steht. In Hamburg, München oder Berlin. Das Feinste daran: Auch diejenigen, die wenig Zeit haben oder nur ab und an gut sein wollen, können sich engagieren. Als Teilnehmerin wird man „Engel für einen Tag“ – also so ein Ding mit Flügeln. Das müsst Ihr unbedingt ausprobieren.
Aus einer Datenbank könnt Ihr auswählen, wem Ihr helfen wollt (sicherlich allen); in welchem Bereich Ihr Euch zutraut, was von Euch einzubringen (sicherlich alle); zu welcher Tageszeit Ihr am ehesten wach seid oder Zeit habt (sicherlich viel zu selten); ob Ihr den kleinen Fridolin oder Euren Hund Boris mitbringen könnt. Dann noch ein Häkchen hinter Kurzzeiteinsätze oder eben nicht und los geht’s.
Ergebnis für Berlin: Die Kinder im Rollbergviertel brauchen einen Nachhilfelehrer, um die Grundrechenarten zu üben, Köpenick will Fahrräder reparieren, 12437 Berlin braucht grüne Daumen, der wilde Wedding Kinderschminker für ein Fest, Lichtenberg plant lange und sucht Musiker für eine Weihnachtsfeier oder Hobbyköche, Charlottenburg will Englischkurse für koreanische Frauen anbieten, Lankwitz verlangt nach Kiezreportern für eine Stadtteilzeitung, Mariendorf freut sich über gesprächige Leute, die das Gedächtnis von Menschen mit Demenz ein bisschen auf Trab bringen, indem sie sich mit ihnen unterhalten.
Ganz schön zu tun, wa!? Berlin braucht Euch. Gut, dass Ihr hier seid. Was? Ihr wollt Gutes schaffen? Das trifft sich ausgezeichnet. Die Gelegenheit ist zum Antatschen nah. War denn schon was Passendes dabei? Je nachdem wie flexibel Ihr seid, könnt Ihr einmal wöchentlich was machen oder zwei Mal im Monat oder oder.
Selbstversuch: Spazierengehen im Britzer Garten
Bei mir selbst lief das so: An einem Freitag im schönen Monat Mai bin ich mit acht bis zwölf fidelen Rentnern des Wohnstifts Otto Dibelius durch den aufpolierten Britzer Garten schalendert. Es war nach Mittag. Ich bin spaziert. Die anderen sind gerollt. Sonnigwarm schien es von allen Seiten. Die Leute, freiwillig Bezahlte und unbezahlte Freiwillige, hießen mich auf das Herzlichste willkommen. Der Ausflug und Ausflüglerinnen wurden unentwegt gefeiert, vor Blumenbeeten oder üppigen Baumkronen fotografiert und mit schaumigem Kaffe verköstigt. Popcorn gab es für jeden, aber das erst später.
Alle ausgesprochen nett. Fremde Brillen wurden geputzt, man plaudert aufgeweckt über Rhododendren und Vergissmeinnicht oder man schweigt zusammen. Die Alten haben die Ruhe weg. Sie schauen nicht alle drei, ach was sage ich, alle anderthalb Minuten auf ihr Smartphone. Sie sind in Gedanken nicht schon beim nächsten Meeting, der nächsten Aufgabe, der nächsten Pflicht. Sie sind bei sich oder eben bei Dir. Gelassenheit und sich. Viel mehr haben sie nicht.
Eine neunzigjährige Dame zündet sich eine Zigarette an. Das tut sie ganz aristokratisch. Ich bin bass erstaunt und frage blöd, warum sie rauche. Sie habe erst vor Kurzem damit angefangen, entgegnet sie und schüttelt die Asche ab. Aus Langeweile. Ganz aristokratisch.
Edeltraud bedeuted die vornehm Starke
Sie sind dankbar wie Bolle für alles, was Ihnen das schon so alte Leben entgegen geworfen hat. Edeltraud sagt: „Da darf ich gar nicht dran denken, so schön ist das!“ Wirklich wahr. Sie sagt auch: „Nee, also Mädchen prügeln sich nicht.“ Das sagt sie, weil sie das Nesthäkchen der Familie war, damals in Marburg, wenn ich mich richtig erinnere. Sie erzählt von ärmlichen Verhältnisse und ihren Lieblingsbüchern.
Edeltraud ist weich wie ihre sandbraune Strickjacke mit den bunten Blumen. Sie gleicht einer Almwiese. Also die Jacke. Edeltraut ist warm und zurückhaltend. Sie stülpt mir keine Meinung über, sie hört zu, ohne ihren Senf abzugeben. Mir ist, als hätte sie den Charme erfunden.
Sie bewegt sich langsam, sie isst langsam. Geradezu behutsam. Wie ein Reh. Sie hört nicht gut und sieht nicht alles. Ihre äußeren Kräfte sind beinah versiegt. Manchmal beschleiche sie das Gefühl nicht mehr in diese Welt zu passen. Auch ihre inneren Kräfte lassen nach. Sie ist so echt. Fröhlich. Und echt einsam. Das auch. Die Trauer darüber lässt sie sich aber nicht anmerken.
Ich biete ihr die Hälfte meiner Waffel an. „Na sicher doch,“ antwortet sie und greift zu. Ohne Scheu, voller Hunger. Unsere Röcke sind danach zugepudert wie Finnland im Januar. Wir grinsen uns an. Zwei fünfjährige Lausebengel. Ich warte darauf, dass die anderen, den Kopf über uns schütteln.
Auf dem Meeresboden liegen die vergessenen Anker unserer Familie
Zurück im Altenheim. Ich schaue durch Türen in helle, funktional eingerichtete Kammern. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch für zwei. Der schwarze Fernseher ist das größte in Edeltrauds kleinem Kosmos. Sie hat wenig Ahnung vom Leben der anderen, den Filmen, die wir sehen oder der Musik, die wir hören. Den Dingen, die unser Leben ausmachen. Aber wenn im Café Kabarett ist oder Gottesdienst, dann geht sie hin.
Einst waren die zu alt gewordenen Menschen unsere emotionalen Anker, Gedächtnis der Familie, Kindermädchen und Spielkameraden. Heute wetteifert niemand mehr um ihre Gunst. Sie leben, als hätten sie ausgedient. Wie ein ausrangierter Zug werden sie ihrem Schicksal überlassen. Immerhin. Einmal im Monat telefoniert Edeltraud mit ihrem Bruder aus Berlin.
Zwei Wochen später schliesse ich mich der nächsten Partie mit den Dibeliussen an. Es geht zum Rummel auf die Trabrennbahn in Mariendorf. Es ist sehr schön. Nur Edeltraud fehlt. Sie fühlt sich heute zu schwach.
7 Kommentare
tolle Aktionen
Grandios das du sowas machst! Hut ab! Bitte mehr davon!
Wow, ich wünschte dass es das auch in Kiel geben würde. Ihr tut wirklich was Gutes und die Leute die diese Aktion am Leben halten verdienen Respekt und Anerkennung!
Du in Kiel gibt es auch Altersheime!
Echt eine tolle Sache, nun muss ich nur was vergleichbares im Ruhrgebiet finden.
Oh man, jetzt sind mir doch tatsächlich die Tränen beim Lesen gekommen … Eine tolle Aktion! Ich schaue gleich mal nach wie ich da mithelfen kann.
Und leider werden die älteren Menschen in unserer Gesellschaft viel zu oft vergessen :-(
Ja, :( Aber toll, dass es dich inspiriert hat!