Seit einigen Jahren bin auch ich dem Strick-Hype, der statistisch etwa alle 20 Jahre auftritt, vollkommen verfallen. In Island, wo ich lebe, war Stricken nie out. Jeder kann stricken und es ist ein Statussymbol einen selbst gestrickten Islandpullover zu tragen. Das gilt übrigens für Männer und Frauen zugleich.
In Dänemark ticken die Uhren aber noch ein bisschen anders, was die Leidenschaft für Nadeln und Wolle angeht. Castingshows sind ja wirklich ein alter Hut, aber das kleinste Land Skandinaviens hat das Prinzip auf die Spitze getrieben. Es gibt dort tatsächlich eine Strick-Castingshow! Als Christine grinsend angefragt hat, ob ich nicht zu dem Strickfestival von Christel Seyfarth auf die dänische Insel Fanø fahren will, musste ich nicht lange nachdenken. Klar!
Das Strickfestival in Fanø zieht inzwischen über 10.000 Gäste pro Jahr an – und ja, es sind fast nur Frauen. Die sind auch leider noch nicht ganz so hip und jung, wie ich mir das erhofft hatte. Bei meiner Ankunft bin ich ziemlich geschockt. Ich komme mir vor wie ein Grundschüler zwischen Professoren, so wird hier gefachsimpelt.
Fachsimpeln unter Frauen: Ein Wochenende im Strickrausch
Christel Seyfarth, die Organisatorin und gleichzeitig Moderation der Strick-Castingshow, erklärt mir, warum ihr Strickfestival so beliebt ist. Die Frauen kommen hierher mit ihren Freundinnen. Sie lassen ihre Männer zu Hause oder parken sie im Brauhaus des Dorfs Nordby. Sie können sich einmal im Jahr mit Gleichgesinnten den ganzen Tag über ihr Hobby unterhalten und einkaufen, bis das Auto voll ist. Niemand motzt, es gibt keine Hetze. Im ganzen Dorf sitzen Damen, die sich gegenseitig auf die Nadeln schauen und sich Tipps geben. Sie fachsimpeln, gehen zu Vorträgen und Workshops und stricken in jeder vorstellbaren Lebenssituation. So wie einige Leute in Videospielen aufgehen oder sich bei Lan-Partys die Nächte um die Ohren schlagen, haben auch diese Frauen ihre Nische entdeckt.
Stricken als Familien-Business: Biches & Bûches
Am zweiten Tag habe ich eine Begegnung, die mir Hoffnung gibt in Bezug auf die anwesende Altersklasse. Ich treffe Caroline, die mit ihrer ganzen französisch-dänischen Familie den Online-Store Biches & Bûches für Strickdesign betreibt. Ihre Mutter ist für die Designs und die Woll-Auswahl verantwortlich, Caroline hat das ganze fotografiert und auch das Logo designt. Ihre Schwester ist das Model, und ihr Vater organisiert alles im Hintergrund. Caroline hatte bis vor kurzem mit Stricken nicht viel am Hut. Sie dachte, wie so viele andere, dass es eher eine Sache für ältere Damen wäre. Bis zu dem Zeitpunkt als sie die Designs ihrer Mutter gesehen hat. Sie sind skandinavisch schlicht, aber die Wolle von bester Qualität. Ganz ehrlich, um diese Pullover würde sich jeder etwas schickere Hipster prügeln. Da war es auch um Caroline geschehen und seitdem strickt sie wie ein Weltmeister.
Nach dem Gespräch mit Caroline bin ich mir sicher: Ich bin ja doch nicht der einzige Nerd in meinem Alter, der gerne strickt. Es entspannt, etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen. Und außerdem kann man sich dabei prima unterhalten und starrt mal nicht aufs Smartphone. Nach dieser Einsicht kann ich das Festival richtig genießen. Ich quatsche mit den Damen und besuche einen Vortrag über Stricken im Krieg – wenn Nerd, dann aber richtig.
Christel Seyfarth – eine interessante Persönlichkeit
Natürlich habe ich mich auch noch ein bisschen mit der Organisatorin des Festivals, mit Christel Seyfarth, beschäftigt. Ihre Geschichte ist nämlich sehr interessant. Schon in jungen Jahren begann sie ihre Strick-Karriere, nachdem ihre Oma ihr eine Tüte mit von ihr übrig gebliebenen Wollresten schenkte. Da sie keine andere Wolle zur Verfügung hatte, strickte Christel Seyfarth aus dem bunt zusammengewürfelten Haufen ihren ersten farbenfrohen Entwurf. In den 80er Jahren arbeiteten schon zwei Dutzend Frauen für sie. Auch heute ist Christel Seyfarth für ihre Liebe zur Farbe bekannt! Wer möchte, kann ja mal auf ihrer Homepage vorbeischauen. Dort bietet sie übrigens auch Hilfe für blutige Anfänger an. Also: Auf die Plätze, fertig, stricken!
Das Festival hat mir etwas Wichtiges beigebracht. Wenn jemand etwas mit Leidenschaft betreibt, ob nun Beruf oder Hobby – dann gibt es nichts schöneres, als alles andere für eine Zeit auszublenden. Und genau dafür ist das Strickfestival gemacht.
It’s all about Wolle!
Schaut doch mal beim Online Shop von Biches et Bûches vorbei!
Hier wird eine Runde beim Stricken entspannt und geklönt!
Vielen Dank an Christel Seyfarth und das Strickfestival für die freundliche Einladung.
Thekla ist 28 Jahre alt. Sie kann nicht still sitzen, aber bestens im Bett rumliegen. In ihrer Wahlheimat Island arbeitet sie für einen App-Entwickler als Deutsche vom Dienst. In ihrer Freizeit sitzt sie meist auf einem Pferd oder steht auf Skiern. Manchmal vermisst Thekla Berlin sehr. Dann fällt ihr wieder ein, dass es dort nicht an jeder Ecke eine heiße Quelle gibt und die Menschen länger als einen Tag im Voraus planen. Christine kennt sie von deren 90 Tage-Projekt, wo sie die damals noch Unbekannte bei ihrer Oma einquartiert hat.
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