„Da ist der einfach eingeschlafen. Direkt nach dem Sex. Kannst du dir das vorstellen? Und dafür habe ich den netten Studenten aus dem Taxi geschmissen…“ Ich sitze mit Moni beim Mittagessen in einem Restaurant in Berlin Mitte. Ich komm mir vor wie bei Abercrombie & Fitch. Die Musik in dem Schuppen ist so laut, dass man auch annehmen könnte, wir sitzen in einer Szenebar zur Happyhours. Moni beißt von ihrem Baguette mit Frischkäse und Tomaten-Pesto ab. Sie ist ein ganz normales Mädchen, das sich eigentlich nur eine ganz normale Beziehung wünscht, in Berlin. Es muss gar kein Prinz auf einem Einhorn sein. Es soll nur ein ganz normaler, halbwegs ansehnliche, nette Typ sein. Doch den scheint es nicht zu geben. Vielleicht ist der Haken auch der lokale Zusatz – in Berlin. Moni führt hier in Berlin nämlich unfreiwillig seit mehreren Monaten das Leben eines Mingles. Mingle, der Begriff kommt eigentlich aus dem Englischen und bedeutet vermischen. “Mingle”, so erklärt es der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann in der WELT, ist eine Wortschöpfung aus “mixed” und “single”. Die Gattung ist weder Single, noch in einer Beziehung. Sie haben ständig die Phase in ihrem Leben, in der sie nicht wissen, ob sie mit Jemanden zusammen sind oder nicht.
1. Name, Alter: Moni*, 29 Jahre alt, (*Name geändert)
2. Wie kam die Person zu mir: Eine Freundin mit einem aufregenden Singleleben
3. Was trinkt die Person: Ingwer-Apfelsaft
Früher, da gab es so etwas wie „Regeln“. Wenn man zwischen 14 und 18 Jahren alt ist, dann ist man so gut wie zusammen, wenn man sich küsst. Mit Zunge selbstverständlich. Wenn man sich dann noch gegenseitig den Eltern vorstellt, ist man ganz offiziell zusammen, wenn nicht schon halb verlobt. Ab 18 muss man mindestens schon einmal miteinander geschlafen haben, aber das reicht auch nicht. Man kann jeden Abend mit einem Mann verbringen, eine eigenen Zahnbürste bei ihm haben, von seinen Freunden geliebt werden, und doch kommt man irgendwann an dem Punkt, an dem man einmal definieren möchte, was das ist und hört folgenden Satz: „Ich liebe dich“. Wow! „Aber auch alle anderen Frauen auf dieser Welt und ich möchte gerne mit allen schlafen.“ Oh…
Nach ungefähr drei Mingle-Enttäuschungen setzt die Resignation ein. Es wird geschimpft auf die Männerwelt, auf Berlin und auf das Nachtleben, wo man dieser Spezies Mann meistens begegnet. „Ich kenne mindestens fünf Freundinnen, denen es genauso erging“, berichtet mir Moni und verdreht dabei genervt die Augen. „Die sind alle Mingles.“ Monis letztes Prachtexemplar war Nico. Sie ist eigentlich überhaupt nicht der Typ dafür One-Night-Stands. Aber bei ihm wurden sämtliche Gehirnzellen lahm gelegt und sie konnte nicht mehr klar denken, ist einfach ihrem Herzen gefolgt und, obwohl sie ihn erst sechs Stunden kannte, mit ihm nach Hause gegangen. Es war gigantisch.
Nach einer unvergesslichen Nacht mit ihm, in der sie sich unsterblich in ihn verguckt hat, wollte sie am nächsten Morgen vorsichtig herausfinden, wie er es fand und ob daraus mehr werden könnte und sie sich wieder sehen. Diese Frage könnte man theoretisch in einem Satz stellen und klären. Doch das wäre viel zu einfach. Lieber schreibt man sich tagelang und stoppt die Zeit zwischen empfangener Nachricht und Antwort. Es sollten immer mindestens zwei Stunden dazwischen liegen, man ist ja Frau von Welt und schwer beschäftigt und würde NIE vor dem Smartphone sitzen und auf eine Nachricht warten. NIE. Nach einer Woche hat sie folgende Antwort: „It was fun. We should have some more fun. Whenever you are close you can text me. If I have enough energy I will happily have you in my bed.”
„Er hat geschrieben – if I have enough energy?“ Ich bin sprachlos. Funkstille. Keine Antwort mehr von Moni auf diese Nachricht. Dafür jede Menge Fassungslosigkeit. Stempel Arschloch auf die Stirn und zu den Akten. Dachte sie… Die Resignationsphase war nach zwei Wochen wieder vorbei: Es war ein Freitagabend. Moni war feiern. Eine Geburtstagsfeier mit 180 Mann, coole Musik, super Drinks, nette Leute. Einer war besonders nett, vor allem nett anzusehen, und Moni, eingehüllt in ihre Alkoholblase von ein paar Wein und zwei Shots, hat ihn angesprochen. „Das ist normalerweise überhaupt nicht meine Art.“, entschuldigt sie sich. „Aber seit ich in dieser Stadt lebe, mache ich viele Dinge,zum Ersten Mal.“ Es ist nichts Schlimmes daran, einen Typen anzusprechen, aber ich weiß was sie meint. Ich habe und würde auch nie einen Typen ansprechen. Damit schmeiße ich auch schon mal kategorisch alle Feiglinge, die sich selbst nicht trauen, aus dem Rennen.
Moni unterhielt sich blendend mit Tom, die beiden tanzten, sie küssten sich, verließen die Party und da war sie, die unvermeidliche Situation. Beide liefen die Straße entlang und keiner wusste so recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Wenn Tom wie Nico wäre, dann hätte er sofort klar gemacht, dass sie zu ihm gehen. Er hätte die Initiative ergriffen, er wäre schon fast im Taxi über sie hergefallen, er ist aber nicht wie Nico. Tom ist jünger als Moni, Student, lustig, verständnisvoll, charmant. Tom ist ein Typ, mit dem man zusammen sein will, doch Frauen, wie Moni stehen auf Arschlöcher wie Nico, obwohl sie doch eigentlich gerne eine Beziehung hätten. ERROR! „Wenn man sich auf Arschlöcher einlässt, dann wird man vielleicht irgendwann selbst zu einem“, behauptet Moni. Dieselbe Theorie habe ich schon in der 11.Klasse aufgestellt. Wenn ein Paar eine Beziehung führt und der eine betrügt den anderen oder behandelt ihn scheiße, dann hat der Betrogene einen Schaden. Dieser „Schaden“ äußert sich darin, dass derjenige selbst betrügt oder sich nicht mehr binden kann, weil er schwer traumatisiert ist. Über diesen „Schaden“ wird erst geredet, wenn man schon eine Art Beziehung hat à la „Ich bin bindungsunfähig. Sorry!“ Oder man betrügt eben. Voilà, die Kettenreaktion hat erreicht, dass mittlerweile fast alle in unserer Generation „geschädigt“ und „bindungsunfähig“ sind oder werden und es nur noch von Mingles wimmelt, die schon die Zweisamkeit genießen, aber doch immer auf dem Sprung bleiben wollen. Aus Angst, aus Unentschlossenheit, aus weiß der Herr…
Da stand jetzt Moni, mit einem Studenten irgendwo in Berlin und konnte selbst kaum glauben, dass folgender Satz aus ihrem Mund kam: „Also wenn du keinerlei Erwartungen an mich hast, dann kannst du gerne mit zu mir kommen.“ Moment. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Sie, die Unverbindlichkeit mehr hasst als alles andere? Sie, die eigentlich eine Beziehung will? Und dann auch noch zu diesem absolut netten Typen, der sich wunderbar dazu eignen würde, ein Traumpartner zu werden? Sie ruft ein Taxi und steigt mit Tom ein. Tom freut sich, Moni freut sich, holt das Handy aus der Tasche um zu schauen, wie viel Uhr es mittlerweile ist und sieht sie, die Nachricht von Nico. Monis Herz klopft, alle Gehirnzellen sind wieder binnen Sekunden lahmgelegt und sie hat nur noch im Kopf, was in der Nachricht steht: „Ich will dich sehen, wo bist du?“ Zwei Wochen hat er sich nicht gemeldet und dann genau jetzt.
Es gibt Momente im Leben, da weiß man, dass man das Falsche tut, aber man kann einfach nicht anders. Man verliert die Kontrolle über alles, man weiß gar nicht mehr, ob man sich selber kennt oder gerade in einem fremden Körper steckt, dem man willenlos folgt. Aber genau solche Situationen muss man nachgehen, um sich selber kennenzulernen. Emotionale Extremsituationen, die einem zeigen, wer man eigentlich ist, wie man tickt und denkt. Moni steckt nun mitten in dieser emotionalen Extremsituation: Der nette Student neben ihr, die dunkle Macht am Handy. Wie sie sich entscheidet, ist ja schon klar. Sie überlegt kurz, wie sie den netten, bindungsfähigen Studenten im Taxi wieder los wird, um eine weitere abenteuerliche Nacht mit dem Arschloch zu verbringen. „Du, ich glaube, dass mit uns könnte wirklich was Ernstes werden. Ich glaube, es ist falsch, dich jetzt mit nach Hause zu nehmen.“ Wie reagiert ein netter Mann darauf? Er zeigt vollstes Verständnis, lässt sich an der nächsten S-Bahn rausschmeißen und schreibt ihr danach noch, wie schön er den Abend mit ihr fand und dass er sie bald wieder sehen möchte. Moni versucht ein letztes Mal, klar zu denken und bespricht die Situation mit dem Taxifahrer. Liebe Taxifahrer aus Berlin. Hier einmal ein ganz großes Dankeschön an euch. Ihr seid wirklich die Besten! Folgende Frage wurde nun im Taxi erörtert: Soll sie zu Nico fahren oder verliert sie dann ihren ganzen Stolz? Aber er hat sich ja gemeldet. Aber eigentlich müsste er jetzt zu ihr kommen. Aber er hat ihr angeboten, das Taxi zu zahlen. Ach scheiß drauf. Sie hat jetzt Lust, ihn zu sehen. Sie hat Lust, sich mit ihm zu unterhalten und ja, sie hat auch Lust noch mehr „fun“ zu haben. Energy scheint ja genug da zu sein. Also fährt sie hin. Die Tür geht auf, er fällt sofort über sie her, sie haben Sex, und dann… „Da lag ich jetzt in seinem Arm, er am Pennen und ich wusste gar nicht, was ich machen soll. Natürlich wäre ich wahnsinnig gerne hier geblieben, in seinem Armen. Aber ich bin ja nicht blöd. Ich weiß, welche Rolle ich spiele, die der taffen Frau, die das alles auch nur als Spaß sieht und jetzt gehen muss.“ Da ist es, das Problem hat einen Namen– die Rolle. Wenn ich all das höre, und nicht nur von Moni, sondern all meinen anderen Freundinnen, muss ich feststellen, dass wir ein Problem damit haben, wir selbst zu sein. Wir lernen jemanden kennen und reagieren auf diese Person. Wir versuchen zu analysieren, wie die Person uns gerne hätte und so sind wir dann. Dabei gibt es immer wieder die drei Grundregeln, auf die man angeblich achten muss.
- Niemals sofort melden
- Witzig sein auf Teufel komm raus und am politischen Weltgeschehen interessiert
- Zappeln lassen.
- Nicht zeigen, dass man ihn toll finden, sonst verschreckt man ihn.
Und der ganze Aufwand wird nur betrieben, um dann irgendwann zu hören: „Sorry, ich liebe alle Frauen und möchte auch mit allen schlafen.“ „Weißt du, ich hätte mich total gerne mit ihm unterhalten. Ich finde ihn ja witzig und interessant und will nicht nur mit ihm in die Kiste“, bedauert sie. Ja, verstehe ich. Moni löst sich aus seinem Arm und da wacht er auf. „Du bist einfach eingeschlafen“, sagt sie zu Nico in einem angenervten Tonfall, der sie selbst erstaunt. „Ja, sorry, ich habe die ganze Woche Party gemacht.“ „Da kann ich aber nichts dafür. Ich hätte mich gefreut, wenn wir uns noch ein bisschen unterhalten hätten, schließlich bin ich extra hierher gefahren.“ Zum ersten Mal sagt Moni genau, was SIE will. Keine Rolle, keine Erfüllung von Erwartungen. „Ja, sorry“, sagt er und richtet sich auf. „Soll ich jetzt gehen?“, fragt sie schließlich. „Du kannst gerne noch ein bisschen bleiben.“ „Ein bisschen bleiben?“, wiederholt sie. Ne, das ist ihr zu doof. Sie schaut ihn angewidert an, steht auf und zieht sich an. „Nein, so war das doch gar nicht gemeint.“ Er versucht sie wieder ins Bett zu ziehen. Sie zieht sich ihre Schuhe an und wirft den Mantel über. „Oh man, dann nimm wenigstens das Geld für das Taxi nach Hause.“
„Fick dich.“
Sie geht und als sie unten ankommt und die dunklen und verlassenen Straßen von Berlin entlang läuft, fühlt sie sich richtig gut. Verdammt gut sogar, im Gegensatz zu ihm. Da war sie nun also, die emotionale Extremsituation, der Moni nachgegangen ist. Es gab kein klassisches Happy End, doch viel wichtiger ist, was Moni für sich gelernt hat. Man sollte sich treu bleiben. Es ist gut, manchmal Dinge auszuprobieren, um seine Einstellung zu überprüfen. Doch Moni weiß, was sie eigentlich will: jemanden kennenlernen, mindestens drei bis vier Monate. Sie will nicht spielen und sich keine Coolnesszacke aus der Krone brechen. Aber vor allem will sie nicht austauschbar sein und One-Night-Stands sind immer austauschbar. Das Dating ist eine Riesenbühne geworden. Jeder nimmt einen Platz und eine Rolle ein. Die einen sind nur Laienschauspieler, die anderen könnten es nach Hollywood schaffen. Ich sitze schon lange im Zuschauerraum und gucke mir das Spektakel an. „Ich glaube, vor einem halben Jahr hätte ich das noch nicht gekonnt. Da wäre ich dem Arschloch noch tausende Male verfallen, bis ich jede Würde und Stolz und Selbstachtung von mir selbst aufgegeben hätte. Aber irgendwie hat es in dieser Nacht klick gemacht und wie soll ich sagen, ich bin emotional ein Stück erwachsen geworden. Ja, ich sehe das als emotionale Wachstumsphase. Ich weiß immer mehr, welche Menschen mir gut tun und welche nicht.“ Moni nimmt den letzten Schluck von ihrem Ingwer-Apfelsaft und fährt sich mit der Zunge über die Lippe. „Ich glaube, das Beste an der Situation ist, dass mich das so aufgeregt und genervt hat, dass ich aufgehört habe zu suchen. Das ist ja bekanntlich die beste Voraussetzung, um jemanden zu finden.“ sie lacht.
5 Kommentare
Fast alle haben gewonnen. Nico hat seinen Sex gekriegt, Moni tut so als ob sie was gelernt hat (bezweifle ich aber, meiner Erfahrung nach springt sie trotzdem wieder auf das nächste Arschloch an bzw auch auf Nico wenn er anruft.)
Nur Tom ist der gelackmeierte, er war nett und Moralisch nicht verkommen. Das ist aber leider etwas was heutzutage nicht mehr gefragt ist. Aber vielleicht lernt er es ja auch irgendwann wenn er nur oft genug verarscht wird.
Fazit: Viele Frauen sind absolut beziehungsunfähig aber schieben die Schuld auf die ach so bösen Männer. Das die sich aber nur dem “Markt” angepasst haben um auch mal erfolgreich zu sein wird völlig vergessen.
Es ist schon interessant, ich habe nette Singles Kumpel, die anscheinend immer bei der falschen Frau landen. Und nette Single Freundinnen, die anscheinend immer beim falschen Kerl landen. Nur schade, dass die sich gegenseitig nicht anziehend finden ;)
Der Vorsatz nicht mehr zu suchen, ist nach meiner Erfahrung einzig erfolgversprechend. Lange habe ich mit Online-Singlebörsen, Speed-Dating und ähnlichem versucht, jemanden für eine dauerhafte Beziehung zu finden. Erst als ich es mir in meinem Single-Leben ganz gemütlich eingerichtet hatte und für mich ungewöhnlich spontan auf eine Geburtstagsparty eines Unbekannten über eine Bekannte eingeladen wurde traf ich den Menschen, nach dem ich mich so lange gesehnt habe. Inzwischen sind wir fast 3 Jahre zusammen, obwohl ich mir zu Beginn sehr viel Zeit ließ ihn wirklich an mich heranzulassen. Von ihm weiß ich auch, dass Männer, die wirklich eine Beziehung wollen nicht am ersten Abend mit einem ins Bettchen hüpfen. Auch diese ganzen Spielchen “zappeln lassen”, mindestens 2 Stunden warten bis man sich meldet etc. sind unnötig, wenn man es wirklich ernst meint. Ob Moni wirklich etwas gelernt hat, bleibt für sie nur zu hoffen, aber vielleicht hilft dein Beitrag dem ein oder anderen “Mingle” aus seiner Misere hinauszukommen und endlich zu sich selbst zu stehen.
Interessante Story…
Ich identifiziere mich da mit Tom. Aber das wird er dann schon noch lernen…
Bullshit.
1. Zeigt Respekt – Selbstrespekt
2. Moni sollte öfter mal die Hose anlassen, dann klappt es auch mit dem Nachbarn.
3. Beidseitige Beziehungsunfähig ist weder Handicap noch Absolution.
4. Regeln sind für’n Arsch.
5. Werdet erwachsen.
6. Vergesst 1-5 und lebt was ihr wollt.
Sorry.