Ahoi Leichtmatrosinnen und heimatmüde Landratten. Ich war letztens an der Ostsee und habe an der Warnow eine schüchtern vor sich hin glänzende Perle entdeckt – Rostock. Mein Streifzug folgt dem Ab- und Umwegigen. Wenn Ihr also mit den Armen schlenkernd durch Rostock mäandern wollt, dann kommt mit, ich zeige Euch alles:
Biofrieda – so natürlich wie möglich
Ein guter Tag beginnt mit gutem Essen. Darum ab ins Café Biofrieda. Der Bioladen lockt mit den appetitlichsten Lebensmitteln aus der Region. Sogar Buchweizen und Roggensaat könnt Ihr im Geschäft frisch mahlen. Außerdem habt Ihr die Möglichkeit Euch Ernährungstipps zu holen, bei Praxis- und Kochkursen leckere Rezepte zu probieren oder im Restaurant hausgemachte, vor allem vegane Köstlichkeiten zu genießen. Ohne Gluten, ohne Zucker.
Wo Freude sprüht: Der Pornobrunnen
Der „Brunnen der Lebensfreude“ ist nicht ohne Grund einer der beliebtesten Treffpunkte im Stadtzentrum, sorgt er doch seit nunmehr dreißig Jahren für heitere Stimmung. Die sinnliche Gestaltung der Brunnenanlage hatte allerdings auch griesgrämige Kritik hervorgerufen. Kleinliche Biedermeier monierten den engen Hautkontakt der Figuren. Seitdem nennt ihn der Volksmund amüsiert “Pornobrunnen.” Kindern ist das Gezeter schnurzpiepegal. Angezogen von Fontänen und Wasserspielen planschen sie im Sommer selbst halbnackt inmitten der Fußgängerzone.
Pfeilstörche und Neunaugen – Die Zoologische Sammlung der Universität Rostock
Wo Ihr gerade am Universitätsplatz seid, empfehle ich Euch einen Abstecher ins Zoologische Institut der Uni Rostock zu machen. Die Räume des ehemaligen Appellationsgericht beherbergen putzige Borstenwürmer, prachtvolle Paradiesvögel und den ausgestopften Eisbären Churchill, einst Liebling der Rostocker Zoobesucher. Mit seinen 34 Jahren erreichte er ein für Eisbären biblisches Alter.
Wen das kalt lässt, dem wird spätestens beim Rostocker Pfeilstorch der Atem stocken. Der Weißstorch wurde beim jährlichen Flug nach Afrika durch einen Jagdpfeil verletzt und überstand den Rückflug nach Europa trotz des 80 cm langen Pfeils im Hals. Als wäre das nicht Sensation genug, konnte durch diesen Überlebenskünstler bewiesen werden, dass Störche im Winter bis nach Äquatorialafrika fliegen.
Als der Storch im Jahr 1822 erlegt wurde, war der Fernzug der Vogel für viele ein Ding der Unmöglichkeit. Peilsender und GPS gab es noch nicht. Um sich die winterliche Abwesenheit der Vögel zu erklären, ersann man die abgefahrendsten Theorien: Die einen spekulierten über Winterschlaf am Grunde der Ostsee, während andere über die Verwandlung der Vögel in Mäuse munkelten. Mit dem ersten Exemplar eines Pfeilstorches wurden diese Märchengeschichten ad acta gelegt.
Mein absolutes Lieblingstier der Sammlung stellt Euch der lässige Mathias Zilch vor, der einst am Rostocker Institut studierte und mittlerweile im Naturkundemuseum Berlin arbeitet (der Besuch lohnt sich übrigens auch, nicht nur wegen Mathias!). Vorhang auf für das raspelnde Meerneunauge:
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Lage des Zoologischen Instituts| Webseite
Entspannen im Klostergarten
Wenn Ihr jetzt genug Viecher gesehen habt, geht um die Ecke in den Klostergarten – eine wahre Oase im Trubel der nahe gelegenen Einkaufsmeile. Zwischen Stadtmauer und dem Kloster zum Heiligen Kreuz kommt Ihr in Nullkommanix zur Ruhe. Im Sommer gibt es dort Freilichttheater oder Jazzkonzerte im Grünen. Und wer den lauschigen Park verlassen möchte, schlendert weiter zum Café Heumond oder entlang der Wallanlagen in entgegengesetzter Richtung bis zum Kröpeliner Tor.
Kröpeliner-Tor-Vostadt
Die Einheimischen nennen den lebendigen Stadtteil westlich des mittelalterlichen Stadtkerns liebevoll KTV. Wenn das kleine Rostock einen Kiez hat, dann ganz gewiss hier. Ursprünglich lebten in den Mietskasernen Arbeiter der nahe gelegenen Werften, in unmittelbarer Nachbarschaft siedelten sich kleine Handwerksbetriebe, Einzelhandelsgeschäfte und viele Gastwirtschaften an. An der Kneipendichte hat sich bis heute wenig verändert. Nur trinken hier mittlerweile statt der Werftarbeiter vor allem Studierende ihr Bier. Am 30. Mai 2015 feiert die KTV übrigens Stadtteilfest. Hingehen!
Vom zentralen Doberaner Platz mit seinen schmucken Gründerzeitbauten geht eine der charmantesten Straßen der Stadt ab. Dort reihen sich Krimskramsläden an Wanduhrgeschäfte und ein entzückendes Antiquariat hat dort auch sein Zuhause.
Flaniermeile Barnstorfer Weg – Meine Tipps:
Das Lichtspieltheater Wundervoll – li.wu.
Ein Traum für alle Kinoliebhaber: Das wundervolle li.wu zeigt anspruchsvolle Nischenfilme aus Europa und der ganzen Welt in einem sehr kleinen und deshalb sehr gemütlichen Kinosaal.
FREIRAUM – Der Gemischtwarenladen für Kurioses, Famoses und Schönes
Ein entzückender Trödelladen, der die Zeit vergessen lässt und ein Gefühl von Nestwärme auslöst: Im FREIRAUM findet Ihr ganz viel Schönes, das niemand braucht: Postkarten und Briefpapier, gehäkelte Oktopusse, handgefertigte Bio-Seife, Kindergeschirr aus Bambus und natürlich Beutel mit großäugigem Eulen-Aufdruck.
Ohne Sie hat das Leben keinen Sinn – Herr Koreander
Erinnert Ihr Euch noch an die unendliche Geschichte und die dämmrigen Räume des Antiquariats von Karl Konrad Koreander, in das sich Bastian Balthasar Bux auf der Flucht vor seinen Mitschülern rettet? Der Gebrauchtbuchladen Herr Koreander beherbergt wohl genau so eine Tür ins Reich Phantásien. Hier werden für einen schmalen Taler Klassiker, Kinderbücher und Schmöker nicht nur für nasse und kalte Tage verkauft. Ob die Inhaberin auch schon mal zur kindlichen Kaiserin gereist ist, müsst Ihr allerdings selber fragen.
Psst! Geheimtipp: Rostock kreativ entdecken
Ausgelatschte Wege sind so fade wie ein überstrapazierter Kaugummi. Die Kreativsaison Mecklenburg legt Euch stattdessen das lebendige Kulturleben in der Region ans Herz und bringt Gäste und Einheimische zusammen. Im Mittelpunkt der Angebote stehen Nachhaltigkeit und ein sozial verantwortlicher Tourismus: Mit Rostockern kochen, Upcycling mit der Nähmarie, Weidenflechten, Malkurse oder eine alternative Stadtführung zu jungen Kreativen, die Euch Ihre Arbeit vorstellen. Intensiver könnt Ihr Rostock und seine Menschen kaum kennenlernen.
Von Rostockern empfohlen:
- Rocken und Zocken im Pleitegeier
- Bildungs- und Kulturhaus Peter -Weiß
- Fahrradmode handgemacht
Was nur sollen wir anziehen, fragten sich die radbegeisterten Gründer des Modelabels Auguste 86 und begannen kurzerhand selbst Funktionsjacken und Taschen für Fahrradfahrer anzufertigen. Die Nähmaschinen stehen in Rostock, die Stoffe kommen aus europäischen Webereien. Statt Überfluss zu produzieren, werden die Jacken individuell auf Anfrage und nach Maß geschneidert.
- Kunst- und Medienschule Frieda 23
Die Themenpalette der Frieda 23 reicht von Malerei, Grafik und Plastik über Zirkus-, Zeitungs- und Trickfilmworkshops, Foto, Film und Multimedia bis zum Mitmachradio. Wer will, kann mitmachen, lernen, probieren, tüfteln oder einfach nur zugucken produzieren.
Ich selbst konnte mich in die Premierenvorstellung eines sehr poetischen Surffilms ins Kino der Frieda 23 schmuggeln. Die Flitzpiepen von BINSURFEN sind gerade unterwegs, um ihren Film “Headache” zu zeigen. Darin: Jungs, die gelangweilt vom Geplätscher der Ostsee Richtung Norden fahren, viel Schabernack treiben, märchenhafte Bilder einfangen und exzellente Musik hören. Seht selbst und schmeckt das Meer auf den Lippen.
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HEADACHE FILM TRAILER from BINSURFEN on Vimeo.
- Fischbrötchen vom Rostocker Fischmarkt
- Grillen auf der Haedgehalbinsel
Vom Flair der Hansezeit ist nicht viel geblieben: Der Rostocker Stadthafen mit seiner breiten Uferpromenade ist heute Szenetreff und touristisches Kleinod. Spaziergänger und Jogger genießen die freie Sicht über die Unterwarnow, andere treffen sich hier zum Kubbspielen.
Seit den 90ern wurde der Stadthafen zur Bummelmeile mit Restaurants, Clubs, Theatern und Einzelhandel umfunktioniert. Die letzten Zeugen des maritimen Umschlagplatzes sind die Kräne auf der Haedgehalbinsel. Die liebevoll restaurierten Schiffe im gleichnamigen Hafen verströmen Fernweh, vor allem, wenn hinter ihnen am Horizont die Sonne untergeht.
- Panorama Petrikirche
Einen grandiosen Blick über die gesamte Stadt und den Flusslauf der Warnow habt Ihr vom Turm der Petrikirche. An sonnigen Tagen erspäht man am Horizont im Norden das Seebad Warnemünde und dahinter die Ostsee! Die Aussichtsplattform in 45 m Höhe ist mit einem Lift oder über die Wendeltreppe zu erreichen. Zu Fuß müsst Ihr 196 Stufen steigen. Ihr wollt einen kleinen Vorgeschmack? Gerne. Die Webcam am Kirchturm liefert alle 13 Sekunden ein neues Bild.
4 Kommentare
Oh wie schön, Rostock! Da habe ich studiert und war nun schon ewig nicht mehr dort. Nun bekomme ich gerade ein bisschen Sehnsucht …
Na dann los, Jana. Rostock sehnt sich auch nach Dir, hat es mir ganz im Vertrauen verraten! :)