In Berlin macht mich Schnee eigentlich nie glücklich. Nach spätestens zwei Tagen ist alles entweder Matsch oder eisglatt. Ganz anders der Schnee in den Bergen! Silvester verbrachte ich in Innsbruck und erlebte zauberhafte Schneelandschaften. Ich besuchte zwar eine alte Freundin, verbrachte aber dennoch viel Zeit allein in Innsbruck. Und in der Ruhe der weißen Pracht gingen meine Gedanken auf eine philosophische Reise…
Nachdem bei meiner Ankunft in Innsbruck noch alles trocken war, sind über Nacht wahre Schneemassen unbemerkt auf die Erde gerieselt und am nächsten Morgen erwachte ich im Winterwonderland.
Auf meinem Weg zur Arzler Alm blickte ich auf die tiefweiße Landschaft. Noch immer schneit es und um mich herum ist es mucksmäuschenstill. Nur das leise Knistern des Schnees ist zu hören, wie er sanft auf die Erde und die Tannen rundum fällt. Inmitten dieser Schneeruhe werde auch ich ganz ruhig und verspüre: Frieden. Und wie jedes Mal, wenn ich einen Moment wie diesen erlebe, in dem ich mich selbst ganz klein und gleichzeitig mit dem Universum verbunden fühle, frage ich mich, wie in Anbetracht dieser Ruhe und Schönheit, die diese Welt einem offenbart, auch nur ein einziger böser Gedanke möglich sein kann.
Wie einfach wäre es diese wunderbare Welt zu betrachten, mit all ihren komplexen Abläufen, für die sie die Menschen nie benötigte und einfach nur Dankbarkeit zu empfinden auch hier sein zu dürfen?
Wie selbstverständlich sollte es sein sich selbst als ein winziges Teilchen zu begreifen und Demut zu verspüren? Wie offensichtlich sollte es sein, dass jedes einzelne Lebewesen genau so Teil dieses Ganzen ist wie man selbst; dass wir alle verbunden sind? Jede einzelne Ameise, jeder einzelne Wal ist Teil dieses großen Ganzen, dass sich über Jahrmillionen entwickelt hat, des großen Ganzen, dass noch Jahrmillionen nach der verschwindend kurzen Epoche „Mensch“ existieren wird. Und ich lege jeden letzten Funken Größenwahn ab, ohne meine Bedeutung zu verlieren.
Ich blicke auf die tief verschneiten Tannen, wie sie nebeneinander dort stehen und denke mir: So anders ist es mit uns Menschen doch auch nicht.
Wir kommen nackt auf diese Welt, als einer von vielen, völlig dem Zufall/Schicksal/Kismet überlassen wo, wann und als „wer“. An diesem Ort wachsen wir, lernen was wir zum Leben brauchen, WERDEN wir. Und auch nach 31 Jahren kann ich mit Überzeugung sagen, dass es neben dem offensichtlichen (Luft, Wasser, Nahrung) andere Menschen sind, die mein Leben ausmachen. Die Betonung liegt auf dem Wort ANDERE.
Ich liebe so viele Menschen für ihre kleinen Eigenheiten und manchmal gerade auch für Dinge, die sie von mir unterscheiden. Und so wie viele einzelne Tannen, in all ihrer Verschiedenheit, einen Wald ergeben, verbinden auch wir uns, mit all unseren Unterschieden, zu einer Gemeinschaft, einer Familie. Mit den gleichen Grundbedürfnissen, aber auch mit den gleichen Hoffnungen und Ängsten. Vielleicht mit unterschiedlichen Geschichten, aber Geschichten kann man erzählen, Ängsten begegnen und Hoffnungen teilen.
Allein oder zu zweit den Blick fürs Wesentliche finden
Und ja, ich könnte mich wahnsinnig über all jene aufregen, die diese simple Erkenntnis nicht haben. Die von Gier und Machtstreben verleitet über das Schicksal so vieler anderer entscheiden und damit ganze Generationen zu Armut, Hunger und Leid verdammen. Und ja, manchmal ist auch Ärger, ist auch Wut produktiv. Doch im Allgemeinen habe ich für mich beschlossen, dass es mein Leben sehr viel besser macht keine Energie darauf zu verwenden mir über Idioten, Egomanen und all die verbitterten Kleingeister den Kopf zu zerbrechen, wenn ich mit meinem Optimismus stattdessen gute Gedanken verbreiten und anderen zeigen kann, dass es das Gute noch gibt. Und ich meine, dass auch im Kleinen, in der Dankbarkeit, im Teilen, im jemanden einfach nur sagen wie schön er/sie ist oder wie gut er/sie etwas gemacht hat, wie dankbar man ist er/sie zu kennen. Ich bin unerschütterlich davon überzeugt, dass sich das Gute multipliziert, wenn man es teilt. Und dass wir jeden Tag entscheiden wie viel Gutes es gibt.
Auch ohne Sinnsprüche im Fenster machen die Berge den Kopf klar.
Dennoch ist da was dran, besonders am “Gedränge der Straßen”
Natürlich hat jeder Mensch seine eigene Geschichte. Natürlich gibt es Zusammenhänge, die klar machen, warum manch einer denkt nur mit einem größeren Haus, einem neueren Auto oder einer Million auf dem Konto glücklich zu sein. Warum jemand mit Neid auf das Glück eines anderen reagiert, kann man erklären, genauso wie es Kausalketten gibt, weshalb jemand mit Fäusten anstatt mit Worten reagiert. Eines ist jedoch klar: Es gibt alle Arten von Charakteren aller Altersstufen, Religionsgruppen und an allen Orten der Welt. Und es gibt keinen Automatismus nachdem die Armen immer „die Guten“ sind und die Reichen immer die „Bösen“. Es gibt auch sicherlich nicht die eine Person, die all die Weltprobleme verursacht oder die eine Lösung, die alles Unheil beendet. Es gibt ein System, das schon lange krankt und von dessen komplexer Struktur so viele Zusammenhänge ausgehen, dass viele lieber die Augen verschließen und einfache Erklärungen und Sündenböcke suchen, als sich an einer Lösung zu beteiligen.
Wie lange noch wird es also dauern, bis „die Menschen“ begreifen, dass eine Zukunft als Spezies Mensch nur möglich ist, wenn wir uns als EINS und zusammen als Teil des Systems Erde begreifen?
Und manchmal muss man einfach ordentlich am Baum rütteln… und alles wird klar.
Innsbruck allein – darüber ganz bei sich zu sein
Pessimismus liegt mir nicht, übertriebener Optimismus allerdings genauso wenig. Ich glaube allerdings, dass ich für mich einen guten realistischen Glauben an gewisse Dinge entwickelt habe. Ich bin eins mit mir und das gibt unglaublich viel Ruhe und Vertrauen. In andere Menschen und in das große Ganze. Natürlich passieren auch mir unerwartet Dinge, die nicht schön sind, die mich traurig machen oder mir meine Lebensplanung zerschießen. Und natürlich rede ich dann auch mit den mir Wichtigen und frage um Rat. Was ich aber nach all diesen Jahren erkannt habe: Ich bin jemand, der wahnsinnig viel Zeit für sich alleine braucht, der das Alleinsein liebt. Und wenn ich mal wieder zu sehr in einem Hamsterrad feststecke, dann muss ich die Handbremse ziehen und alles stehen und liegen lassen, mich zurückziehen und wieder zu mir selbst finden. Das ist auch einer der Gründe warum ich alleine zu reisen so sehr liebe. Und Innsbruck allein, das hat ganz schön gut getan.
Text und Fotos: Laura Droße