Weit weg, in die Ferne. Nicht immer den gleichen Alltagstrott ablaufen lassen. Etwas Neues erleben und sich auf den Weg ins Unbekannte machen.
Eine größere Reise wirklich in die Tat umzusetzen, wird in unserer Gesellschaft als besonders erstrebenswert angesehen. Machst du dich dann auch noch als Frau alleine auf den Weg, planst deine Strecke grob, setzt dich ins Flugzeug und verabschiedest dich für eine Weile, bist du endgültig mutig. Weil ich mich nicht zum ersten Mal auf eine längere Reise in ein weit entferntes Land begab, wurde mir von vielen eh ein Art Reisemut zugesprochen. Und da meine Pläne mich diesmal nach Mexiko geführt haben, das immer noch als gefährlich gilt, musste ich daher besonders mutig sein.
Jetzt sitze ich in San Cristobal in den Bergen Mexikos und finde mich überhaupt nicht mutig. Ich kauere vor dem brennenden Kamin und während ich versuche mich im Gemeinschaftsraum des kleinen Hostels aufzuwärmen, sammle ich Gründe dafür, mir zu erklären, dass ich schon wieder um den halben Globus getingelt bin. Eigentlich liegt es auf der Hand. Ich hatte mich auf einer Reise im letzten Jahr in Mittelamerika verliebt und ein Monat Reisezeit war damals viel zu schnell vergangen. Dieses Mal habe ich theoretisch unendlich viel Zeit und kann mich von Tag zu Tag treiben lassen, spontan zum nächsten Ort aufbrechen, alle neuen Eindrücke in Ruhe auf mich wirken lassen.
Allerdings fehlt mir aus irgendeinem Grund genau diese Ruhe. Stattdessen bin ich nachdenklich, grübele vor mich hin und merke, dass auf dieser Reise etwas anders ist als sonst. Woran das liegt, ist mir nicht ganz klar.
Vielleicht ist es die Kälte, die mich etwas unvorbereitet getroffen hat, und die dazu führt, dass ich in lustig zusammengewürfelten Outfits rumlaufe. Oder vielleicht ist es auch das wohltuende Feuer aus dem Kamin, das mich zum Grübeln bringt.
Diese Reise ist irgendwie anders als meine vorherigen. Ich finde es immer noch spannend, Elemente anderer Kulturen kennen zu lernen, ungewöhnliche Naturereignisse zu bestaunen, exotische Tiere zu sehen und mich von Kunst aus der ganzen Welt inspirieren zu lassen. Aber ich fühle mich diesmal merkwürdig. Vielleicht sogar unzufrieden?
Eigentlich bin ich stets der Typ Social Butterfly, lerne hier und da Leute kennen und habe überall neue Bekanntschaften. Diesmal tue ich mich schwerer, was schlicht an mir liegt. Ich habe oft keine Lust auf Menschen, ziehe bewusst alleine los, genieße es, nur mit mir etwas zu unternehmen. Und doch bin ich abends nicht immer zufrieden. Wäre es doch besser, etwas mit anderen gemacht zu haben? Ich bin mir nicht sicher.
Vielleicht habe ich auf dieser Reise auch endlich mal wirklich Zeit. Zeit zu entscheiden, wo ich wie lange sein will, was ich mir anschaue, welche Transportmittel ich nutze. Zeit für mich, zum Entschleunigen. Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, warum ich verreise. Fliehe ich vielleicht doch nur vor dem Alltag und dem sogenannten Erwachsenwerden? Und bin ich unterschwellig unzufrieden, weil ich mir dessen bewusst bin? Solche Fragen drehen sich in meinem Kopf ständig umeinander und machen mich ganz schwindelig. Womöglich sind sie aber wichtig, um mich ein bisschen zu hinterfragen und zu sehen, ob meine Beweggründe dieselben geblieben sind.
Seit ein paar Jahren reise ich mal weit, mal weniger weit weg und plane mit jeder Rückkehr fast schon den nächsten Trip. Die Reisen waren allerdings immer eingebettet in momentane Lebensphasen, in denen ich mir eine kurze oder längere Auszeit leisten konnte. Bei meiner Rückkehr hatte sich nichts verändert und ich konnte dort weitermachen, wo ich einige Zeit vorher aufgehört hatte. Diese aktuelle Reise ist anders.
Wenn ich aus Mexiko zurückkomme, muss ich mich der Realität stellen und, wie man so schön sagt, erwachsen werden – zumindest auf dem Papier. Für mich heißt das, einen richtigen Vollzeitjob finden. Nicht mehr Kellnern oder Teilzeit als Werkstudent in Büros verbringen und den größten Teil der Woche zwar beschäftigt sein, aber nicht mit dem Druck der 40 Stunden Woche leben zu müssen. So, jetzt ist es raus, ich hab’s gesagt. Nun könnte man denken, dass diese Aussicht mich dazu bringen würde, meine Reise ins Unendliche zu verlängern. Ewige Freizeit unter der heißen Sonne Mittelamerikas vs. jeden Morgen rechtzeitig aus dem Bett kommen. Die Entscheidung scheint auf der Hand zu liegen.
Aber da ist ja noch diese unterschwellige Unzufriedenheit, die nagende Frage, warum ich unterwegs bin, und ob es wirklich nur darum geht, Mexiko kennenzulernen und mein Spanisch zu verbessern. Oder ob ich vielleicht doch nur weggelaufen bin. Und weil ich den Stier an den Hörnern packen will und das Motto eines jeden Travellers ja bekanntlich ist, seine Comfort Zone zu verlassen, habe ich heute meinen Rückflug gebucht. Und zwar auf früher als ursprünglich gedacht. So! Das finde ich wirklich mutig.
Unsere Komfortzone ist nämlich nicht immer zwingend in unseren vier Wänden, in der Stadt, in der wir leben, den Großteil unserer Zeit verbringen und Freunde haben. Manchmal kann sie auch am anderen Ende der Welt, in einem schäbigen Hochbett oder vor einem kleinem rußigen Kamin sein. Eben dort, wo es gemütlich ist und man keinen Mut beweisen muss.
DIE GASTAUTORIN
Ich bin Anky, habe interkulturelle Kommunikation studiert und lebe im schönen Berlin-Friedrichshain. Ich verreise gern, um neue Dinge zu lernen und Leute aus der ganzen Welt zu treffen. Zuhause feile ich weiter an Sprachen, genieße die Stadt und Menschen und lebe gern. Folg ihr doch auf Instagram unter @_anky___!
3 Kommentare
Wow,
danke für diesen sehr ehrlichen, sehr berührenden, sehr wahren Artikel! Mehr Worte finde ich dazu noch nicht so richtig, aber es zeugt von sehr viel Mut, sich tatsächlich damit auseinanderzusetzen, was man wirklich will, was man sich wünscht, wie man sich seine Zukunft vorstellt. Und solche Gedanken machen einem manchmal ganz schön Angst. Aber das zu Papier zu bringen, auszusprechen, durchzusetzen – ganz ganz Groß! :)
Ich drücke für die Zukunft und für alles was noch kommt die Daumen.
Liebe Grüße
Julia | notyourcomfortzone.com
(Nein, kein Scherz, mein Blog heißt wirklich so :D )
:D
Das ist WIRKLICH mutig. Bestimmt musstest du dich zurück in Deutschland bei deinen „Bewunderern“ dafür rechtfertigen. Herzlichen Dank für diesen ehrlichen Beitrag!