Es ist ein paar Wochen her, dass ich mein neues Projekt gestartet habe. „Projekt Sprechstunde“.
Ich möchte wieder mehr realen Kontakt mit meinen Mitmenschen haben. Ich möchte Geschichten hören, die mich ergreifen, ich möchte mit Ratschlägen helfen, wo ich kann, und auch euch berühren. Wie sagt man so schön, die schönsten Geschichten schreibt das Leben und die möchte ich finden. Mein Projekt „Sprechstunde“ hat einen überraschenden Nebeneffekt, an den ich nie gedacht hätte– es haben sich ganz viele Gastgeber von meinem „90 Nächte, 90 Betten“ Projekt gemeldet, um mit mir reden zu wollen. Drei Jahre ist es nun schon her und sicher gibt es eine Menge zu erzählen. Ich möchte mich diese Woche darüber unterhalten, ob alles im Leben einen Sinn hat.
Ich sitze mit Susanne im Aunt Benny, mein Lieblingscafé in Friedrichshain. „Hier verirren sich immer die Neuköllner Hipster her, wenn sie mal nach Friedrichshain müssen“, erklärt mir Susanne und lacht. Bevor ich zu unserem Treffen gegangen bin, habe ich Seite 51 in meinem Buch aufgeschlagen und noch einmal nachgelesen, was passiert ist, damals, in der 12.Nacht, als ich bei Susanne und Ben geschlafen habe.
„Unglaublich, was sie da immer jeden Tag zaubert“,schwärmt Ben, während er mit seinem iPad rumspielt. Heute gibt es Zitronenrisotto, und es ist tatsächlich unglaublich, was sie auf den Tisch zaubert. Zum Nachtisch serviert sie selbgebackenen Pflaumenkuchen, auf gut Bayerisch: Zwetschgendatschi“
Ich kann das Zitronenrisotto noch auf meiner Zunge spüren und den Zwetschgendatschi riechen, als ich die Passage lese.
Susanne wohnt immer noch mit Ben zusammen in einer WG. Sie kocht auch noch leidenschaftlich und hat sogar vor einiger Zeit einen Blog gestartet. Ansonsten hat sich viel geändert. Als ich damals zu Besuch bei ihnen war, hatte Susanne ihren ersten Arbeitstag im neuen Job. Sie war aufgeregt und gespannt und freute sich sehr. Ja, diese ersten Tage sind immer sehr aufregend. Ich stecke mir ein großes Stück Chili-Cheese-Cake in den Mund und Susanne erzählt mir wieder von diesem Job. Von Begeisterung ist nichts zu spüren. Auch kein Funken Freude.
Sie erzählt mir eine dieser Geschichten, die meinen Blutdruck auf 180 bringen. Eine Geschichte von einer Frau in einer Führungsposition, die ihre Unsicherheit in schlechter Stimmung Ausdruck verleiht, intrigante Nummern schiebt und Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft wegen eines Tippfehlers zur Sau macht. Diese Frau hat sich so sehr für sich interessiert, dass sie gar nicht gemerkt hat, wie sie einen anderen Menschen langsam kaputt gemacht hat.
Ich weiß, wie es ist sich einem Vollidioten zu unterwerfen. Drei Monate hatte ich einen festen Job, dann musste ich aufhören damit. Zum Glück wurde mir sehr schnell bewusst, dass ich mich kaputt mache, wenn ich mit solchen Menschen zusammen arbeite. Doch ich kann auch verstehen, dass es genug Mitarbeiter gibt, die es einfach ertragen, aus der Angst keinen anderen Job zu finden.
Susanne war drei Jahre in der Firma. Dann kam ein unangenehmes Geräusch in ihr Ohr. Tinitus. Sie musste weg. Sie hielt es nicht mehr aus mit dieser Frau. „Ja, meine Eltern waren schon beunruhigt. Oh Gott, das Kind hat plötzlich keinen Job mehr“, erzählt Susanne. Sie bricht sich ein Stück Bananenkuchen ab. Es ist ein wunderbarer Tag. Einer der ersten Tage im Jahr, in denen man ohne Jacke das Haus verlassen kann. Es ist ein Tag, an dem man eigentlich über die schönen Dinge des Lebens reden sollte. Die Ziele und Wünsche.
Die Stimmung ist zu bedrückend, für so einen schönen Tag, also wechsle ich das Thema. „Und was machst du jetzt den ganzen Tag?“, will ich wissen. „Kochen. Also nicht den ganzen Tag, aber sehr viel. Es macht mich glücklich.“ Wir reden also über das Kochen. Ich bin ganz begeistert, dass Susanne vor zwei Jahren ihren eigenen Blog gestartet hat. Jetzt erst erfahre ich, dass ihr Vater Koch ist. Gerade ist er in einem Hotel in Klagenfurt und Susanne möchte ein Praktikum bei ihm machen. „Meine Eltern hatten ein Gasthaus, als ich klein war. Meistens habe ich Sachen aus dem Restaurant bekommen. Doch dann, mit 14 Jahren habe ich angefangen selbst zu kochen.“ Aber nicht Pizza oder Nudeln mit Sauce, so wie ich, sondern einen Lammfond, aus den französischen Sternekochbüchern ihres Vaters.
„Seit ich von zu Hause ausgezogen bin, habe ich das Kochen ausgebaut. Es gibt Tage, an denen ich keine Zeit habe, aber dann merke ich, dass das Kochen mir fehlt. Es ist wie Menschen, denen es fehlt Sport zu machen“, erklärt mir Susanne.
Seit vier Monaten lebt Susanne von Arbeitslosengeld. Ich frage sie, ob sie die ständige Frage, was sie jetzt machen will, nicht nervt, weil eigentlich möchte ich sie genau das fragen.
„Ich will auf jeden Fall bald wieder arbeiten. Die Auszeit war gut, aber jetzt reicht es auch wieder. Doch ich möchte nicht mehr in eine Institution“, sagt sie entschlossen. „Aber ich habe da schon eine Idee.“
Bis an diesen Punkt unseres Gespräches, hätte ich mir für Susanne gewünscht, dass ihr der ganze Mist in den letzten Jahren nicht passiert wäre. Ich hätte ihr einen netten Arbeitsplatz und eine tolle Chefin gewünscht. Dazu noch Kollegen, die ihr gegenüber loyal sind. Doch wie ich sehe, hatte alles seinen Sinn. „Meine neue Idee, das was ich machen möchte, kam über meine blöde Chefin“, berichtet Susanne.
Es ist eine derjenigen Frauen, die vorwiegend in Charlottenburg wohnen, und nicht kochen können. Sie lieben Susannes Blog, weil er leicht verständlich, die einfachsten Rezepte erklärt. Es gibt also eine Horde Frauen, die plötzlich kochen wollen oder müssen, weil sie beispielsweise Kinder bekommen, es aber nicht können. Natürlich können sie einen Kochkurs in einer Hightech-Küche besuchen, doch danach fehlt ihnen zu Hause die Hälfte der Geräte und der Zutaten, um es nachzukochen. Deswegen möchte sich Susanne selbstständig machen und Hausbesuche als Köchin anbieten. Sie kommt zu Kunden nach Hause, das kann entweder die unbeholfene Neumutter sein oder auch Studenten, die zum ersten Mal alleine wohnen und gar nicht wissen was sie so als Grundausrüstung in ihrer Küche brauchen und wie man Schnitzel paniert.
Ich finde die Idee großartig und überlege mir innerlich schon Businessmodelle und erwähne in jedem zweiten Satz, dass sie das unbedingt machen muss.
Ich finde die Idee wirklich so großartig, dass ich mich als erstes Versuchskaninchen anbiete und sie doch irgendwann erstaunt frage, warum sie die Idee bis jetzt nicht umgesetzt hat, schließlich schlummert sie schon seit einem Jahr in ihr. „Ich hatte einfach Angst vor der eigenen Courage“, gibt Susanne zu.
Doch jetzt ist sie in einer Situation, in der sie Zeit hat und in der sie quasi nichts verlieren kann, denn ihren normalen Job hat sie nicht mehr. Ich fange wieder an über die Frage nachzudenken, ob alles einen Sinn hat, auch die Sachen, die man niemandem wünscht. Nach Susannes Geschichte, kann ich nur mit „Ja“ antworten. Sie hatte eine schreckliche Zeit auf ihrer Arbeit. Monatelang fühlte sie sich ungerecht behandelt, ja sogar krank hat sie das ganze Umfeld gemacht. Doch ohne diesen steinigen Weg, wäre sie nie auf diese Idee gekommen und könnte jetzt nicht in eine Zukunft schauen, die sie sehr freudig und voller Enthusiasmus erwartet.
PS: Der erste Schritt ist getan. Nach unserem Treffen hat Susanne ihre Delicious Augustas Kochschule als Konzept nieder geschrieben. Wer Interesse hat und auch bereit ist gegen eine Spende für ihre Expertise mit ihr zu kochen, kann sich bei Susanne melden: deliciousaugusta@icloud.com. Wir kochen Zitronenrisotto! :)
6 Kommentare
Gute Idee – wünsche ihr viel Glück!
Leider wohne ich nicht in oder um Berlin, sonst würde ich mich sofort zur Verfügung stellen. Ich koche bisher nur, wenn ich muss, sonst kann ich mich auf meinen Freund in der Küche verlassen und arbeite ihm nur zu. Daher fände ich „Nachhilfe“ in grundlegenden Dingen sehr gut und ich denke, dass diese Idee Früchte tragen wird, wenn man es richtig anstellt. Aber mit dir an ihrer Seite wird sie bestimmt den richtigen Start finden.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass alles, was einem widerfährt, irgendwann seinen Sinn erhält. Den erkennt man meist nicht sofort, deswegen sind solche negativen Erfahrungen erstmal hart. Ich hatte eine ähnliche Phase wie Susanne, die mich krank gemacht hat. Doch diese Zeit hat mich zu der Erkenntnis geführt, was mir wirklich wichtig ist, im Job wie im Leben. Zwar habe ich noch nicht ganz meine „Erfüllung“ gefunden, aber ich weiß zumindest wonach ich suchen muss. Das ist schon mal ein guter Anfang.
Das klingt klasse! Zitronenrisotto würde ich auch gerne kochen können :-) Leider ist Berlin zu weit weg. Wie wäre es mit virtuellen Kochkursen ;-)
Ganz viel Erfolg!
Nicht nur, dass ich die Idee super finde. Ich meine, Susanne ist eins der besten Beispiele dafür, dass man im Leben das machen sollte, was einem Spass macht und wofür man eine Leidenschaft hat. In den Zwängen der heutigen Gesellschaft geht dieser Gedanke leider viel zu häufig verloren und wir unterwerfen uns den Regeln. Ich wünsche ihr sehr viel Glück bei ihrem Unternehmen, auch wenn ich davon leider aufgrund der Distanz nicht profitieren kann (obwohl ich es wahrscheinlich dringend nötig hättte…).
Danke Christine, dass du solche Geschichten mit uns teilst – sie bringen mich während meiner eher wenig glücklichmachenden Arbeit auf andere Ideen. Vielleicht sollte ich auch einfach das machen, worauf ich Lust habe.
Auf was hättest du denn Lust?
Hallo, Hallo hier ist die Susanne, die aus der Geschichte! Also schreibt mir doch einfach. Ich muss noch eine ganze Ladung meiner Freunde mit einem Besuch beglücken und Unterricht geben. Vielleicht wohnen die ja auch bei euch in der Nähe. Ich bin öfter in Bayern und NRW und bald mal in Zürich….
Nur zu! ;)
Liebe Grüße, Susanne