Alexanders Hände zittern, während er einen großen Schluck Eistee aus seinem Saftglas nimmt. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm auf meiner Terrasse. Zwar ist es immer noch nicht warm genug, um sich sommerlich zu kleiden, aber trotzdem nicht so kalt dass man frieren muss. „Wunder Dich nicht, das Zittern kommt vom vielen Zucker.“, meint mein Gegenüber lächelnd.
Eigentlich wollte ich mit Alexander einen Kaffee trinken gehen, um mit ihm über sein Suchtverhalten zu sprechen. Da Ihm aber kein Kaffee schmeckt und er davon Magenprobleme bekäme, wie er sagt, sind wir doch lieber bei mir zu Hause geblieben. Alexander hat eine ganz besondere Angewohnheit. Manche würden es wohl eher als Sucht bezeichnen. Andere wiederum würden sogar von einem krankhaften Verhalten sprechen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von Alexanders Verhalten denken soll? Irgendwie „anders“ scheint er schon zu sein. Aber fangen wir von vorne an: Seit knapp zehn Jahren spielt eine dunkelbraune, leicht schäumende und künstlich riechende und sehr süß schmeckende Flüssigkeit eine wichtige Rolle in Alexanders Leben. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr trinkt er täglich bis zu etwa zehn Liter Eistee. Manchmal mehr, manchmal weniger. An richtig heißen Tagen ist es besonders schlimm. Für Ihn kommt aber nur Pfirsich in Frage und eine bestimmte Sorte eines großen Discounters. „Probiert habe er schon alle.“, sagt er stolz. Komischerweise schmeckt Ihm der vermeintlich künstlichste Eistee, der etwa einen Fruchtanteil von 0,02 Prozent besitzt am besten. „Irgendwann schmeckt man ja sowieso nichts mehr. Dann ginge es ihm nur noch um den Zucker“, meint Alexander. Auf die Frage, wie es überhaupt zu seiner Eistee – Passion gekommen sei, herrscht kurze Stille zwischen uns.
„Einfach so. Bei mir zu Hause gab es natürlich auch Saftschorlen und Wasser zum Essen. Aber das hat mir einfach nicht wirklich geschmeckt. Vor allem meine Mutter hat sich Sorgen um meine Gesundheit gemacht. Verbieten wollte Sie es mir allerdings nicht.“ Und wie ist es, wenn Du mal keinen Eistee zu trinken bekommst, frage ich? Alexander wirkt ein wenig verunsichert von meiner Nachfrage, aber antwortet trotzdem gelassen, während er sich eine seiner gestopften Zigaretten ansteckt, die er aus einem silbernen Etui holt. „Entweder Spezi oder Cola. Wasser mag er eigentlich nur mit diesem Eisteegranulat verdünnt“, mit dem er zum ersten Mal während einer Jugendreise in Berührung kam, wie er kurze Zeit später hinzufügt. Das trinkt er aber auch nur dann, wenn sein Hals mal wieder nach mehreren Litern kräftig anfängt zu kratzen. In der Regel kommt es aber auch nicht vor, dass er ohne seine Droge unterwegs sei und auf eine Alternative umsteigen müsse. „Mindestens zwei Flaschen habe ich immer als Vorrat dabei. Auch während der Schulzeit habe er mindestens zwei bis drei Tetrapacks unter seiner Schulbank gehortet, um die längeren Schultage und den Nachmittagsunterricht durchzustehen“, so Alexander. Auch ein Faible für Zahlen scheint mein Gesprächspartner zu haben. Während andere Menschen knapp 70 Euro für Kino- und Restaurantbesuche im Monat ausgeben, steckt Alexander sein weniges Geld, welches Ihm als Student übrig bliebe, lieber in umgerechnet 240 Liter Eistee im Monat, sofern man der Rechnung Alexanders glauben kann. Vor wenigen Jahren hat er aber dann wegen gesundheitlichen Beschwerden wie Kreislaufproblemen und der Angst mit Ende 20 ein künstliches Gebiss zu bekommen, einen „Entzug“ gemacht. In der Zeit hat er seinen Konsum auf maximal zweieinhalb Liter Tee am Tag beschränkt. Hunger habe er sowieso nicht so viel und auf meine Frage, ob er sich gesund ernähre, bekomme ich nur das Wort Fleisch als Antwort. Und hin und wieder mal Pizza oder Pasta. Das Übliche halt.
Mittlerweile finde ich das Gespräch ein wenig unangenehm, frage aber ein wenig besorgt um die Gesundheit Alexanders weiter. Hast Du schon Mal ein Blutbild machen oder Dich von einem Arzt durchchecken lassen? „Natürlich nicht“, bekomme ich gesagt. „Ein vitaler Körper heilt sich selbst, wenn er krank ist. Außer man bekommt seine Weisheitszähne gezogen oder hat eine offene Wunde. Dann würde ich schon zu einem Antibiotikum raten.“, empfiehlt mir Alexander selbstbewusst und steckt sich eine weitere Zigarette an. „Und wie sieht es eigentlich mit Sport aus?“, frage ich. „Selten. Ein Mal in der Woche treffe ich mich mit einer Laufgruppe aus meiner Ortschaft und laufe ein paar Runden um einen kleinen Baggersee in der Nähe meines Wohnortes. Aber ich muss Dir was erzählen. Ein Mal habe ich an einem Halbmarathon teilgenommen. Etwa 19 Kilometer ohne jegliche Vorbereitung, untrainiert und bei gefühlten 30 Grad im Hochsommer.“ Vor allem die Trinkstationen, an denen Alexander zwischen vier und fünf Becher Eistee in sich schüttete, haben Ihn motiviert den Lauf durchzuhalten. „Auch wenn ich der langsamste Läufer und die letzten zwei Kilometer von einem netten Polizisten auf dem Motorrad in das Ziel begleitet wurde, war ich stolz darauf, es geschafft zu haben. Blöd war nur, dass ich meine Kappe nicht durchschwitzen wollte und deswegen einen Sonnenstich bekam, witzelt Alexander, während er mittlerweile auf eine Flasche helles Bier umgestiegen ist, die ich Ihm aus dem Kühlschrank geholt habe. Es scheint, als hätte er Spaß an unserem Gespräch, wie ich glaube. „Weißt Du Michael, bei mir zu Hause kennen die Leute mich schon unter dem Pseudonym „Der Eisteemann“. Da gäbe es so sechzehnjährige Groupies in meinem Ort, die sofort anfangen zu tuscheln, wenn ich irgendwo auftauche. Das fühlt sich schon gut an, nervt aber auch ab und zu. Das ist doch immer das Gleiche. Man muss nur etwas Ungewöhnliches machen, um berühmt zu werden. Ich muss jetzt leider los. In wenigen Wochen muss meine Bachelorarbeit fertig sein. Lass noch schnell das Foto von dem Du gesprochen hast in der Küche machen! Wenn Du willst, kannst Du den Rest von meinem Eistee haben. Ich habe noch zwei Flaschen im Rucksack.“
11 Kommentare
Gruselig, er sollte schleunigst mal einen Arzt konsultieren, sonst ist er in kurzer Zeit Diabetiker (falls ers noch nicht ist). :(
Sorry, aber Alexander hat ein ernsthaftes Problem!
Das ist echt krank, im wahrsten Sinne des Wortes!
Wenn ich einmal grob seinen Zuckerkonsum, plus die ganze Chemie, die er in sich reinzieht überschlage … wie kann man seinem Körper soviel Schrott antun?!?
Sicherlich ist das ein Problem, das Alexander hat. Aber was bedeutet krank?
Krank bedeutet wohl in diesem Fall das sein Gewebe und seine Zellen vollgekleistert werden, der sog. Pischinger-Raum. Er kann so weiter machen.. oben wurde schon Diabetes erwähnt. Sein Stoffwechsel ist ja schon gestört. Mit der Zeit wird er einfach weiter unbeweglich, bekommt kleine Problemchen .. und dann steigert sich das. Letztlich ist es vllt sowas wie vorzeitiges Altern. Der Körper kann ne Menge kompensieren.
Und mit Sicherheit gab es eine Art Schock oder Trauma das zu seinem Verhalten führte.
Allerdings – wenn das Drama erstmal heftig genug ist .. oder weil vllt Symptome auftreten die ihm sehr missfallen, wird er sich verändern. Die Chance hat er. Und wenn er seinen hohen Konsum schonmal runterfuhr.. schafft er es vllt wieder. :) .. Voll spannend.
Kann man ihm nur die Däumchen drücken :)
Schöner Beitrag übrigens.
Danke
Wir können ihn ja in einem Jahr noch einmal zur Sprechstunde bitten ;)
Krank in so vielerlei Hinsicht … Ich habe kein medizinisches Vorwissen aber ich kann mir einfach nicht vorstellen das es keine Auswirkungen auf die Psyche hat. Zum einen ist es eine Sucht, genauso wie Zigaretten, Alkohol, … und allem anderem was man ‘zwanghaft’ konsumiert. Allein das deklariert es ja schon mal als ‘krank’, ich kann mir nicht vorstellen das er von jetzt auf gleich ohne Entzugserscheinungen (mentale & körperliche) seinen Konsum reduzieren, geschweige denn ganz stoppen, kann.
Achtung Hausfrauenpsychologie: Ich glaube(!), ich kenne ihn ja nicht persönlich, dass er im Grunde andere Probleme durch seinen übermäßigen Zuckerchemiecocktail versucht zu ‘überdecken’. Welche andere logische Begründung sollte es sonst geben?
Zum anderen ist es für seinen Körper der absolute Horror.
Ich meine das jetzt gar nicht abschätzig! Es ist lediglich eine Feststellung.
Alexander braucht ärztliche Hilfe!
Ich habe mir auch Sorgen gemacht, als ich die Geschichte gelesen habe, aber leider kann er nur aus eigenem Willen und eigener Kraft sich selber helfen…
Das ist extrem beunruhigend, vor allem weil er sich der Auswirkungen für seinen Körper nicht bewusst zu sein scheint. Überraschend ist, dass er wenig Probleme mit Übergewicht zu haben scheint, wenn er soviel Zucker zu sich nimmt. Man kann nur hoffen, dass er bald erkennt, dass er einen echten Entzug nötig hat, wenn er noch lange leben möchte.
Hoffen wir mal das Beste für Ihn.
Interessant und beängstigend zugleich.
Hey gibt es neue Updates zu diesem Fall ?