Da ist er wieder, dieser Moment. Wir umarmen uns noch einmal, werfen uns ein paar unbeholfene Floskeln zu à la „Gute Fahrt“ und „Melde dich mal“, drehen uns um und gehen. Schon während der Drehung und noch vor dem ersten Schritt in die andere Richtung wird mir klar, dass wir uns jetzt sehr lange nicht sehen werden. Und irgendwie werden meine Augen feucht. Tschüss Marcel.
Es war vor sechs Monaten als wir zusammen einen Kaffee getrunken haben, im „echten Berlin“. Tatort – Frankfurter Allee. Vor uns stand die hellbraune Brühe eines Kettenbäckers, rechts von uns tummelten sich seltsame Gestalten, links, lag eine tote Taube vor der Glasscheibe. Die Szenerie war alles andere als schön. An diesem Tag habe ich mich mit Marcel darüber unterhalten, warum wir eigentlich in Berlin wohnen. Bayern ist unsere Heimat und Berlin wurde irgendwann unser Wohnort, wahrscheinlich, weil die Stadt so viel versprach. Ich habe mir schon einmal überlegt, ob ich wieder zurück ziehen soll, nach Bayern. Ich habe es mir nicht nur überlegt, sondern versprochen. Paul lebte in München und immer habe ich gesagt, nur noch ein Jahr, dann komme ich wieder. Aus dem einen Jahr wurden, zwei, wurden drei Jahre und dann kam er nach Berlin. Warum konnte ich mich damals nicht trennen? Klar, war es der Job, denn als Selbstständige hat man es so viel einfacher in der Stadt, in der alles möglich ist. Und wegen meinen meiner Freunde. Ich habe hier Menschen gefunden, die mir ans Herz gewachsen sind, so wie ich es lange, lange nicht mehr erlebt hatte. Und Freunde sind mir heilig. Ich bin zum Glück ein sehr lernfähiger Mensch, wenn es um Fehler geht. Mit 16 Jahren, bei meinem ersten Freund, habe ich jeden und alles vernachlässigt. Zum Glück ging die Beziehung nur sechs Monate und zum Glück hatte ich damals schon so gute Freunde (und immer noch) die mir diesen Fehler verziehen haben. Denn man darf niemals, einfach niemals seine Freunde vergessen oder vernachlässigen.
Trotzdem bin ich auch nicht in meinem Leben drumrumgekommen mich von „Freunden“ zu trennen. Jedes Mal war es, als würde mir jemand ein Stück Herz aus meinem Brustkorb reißen. Doch manche „Freunde“ tun einem einfach nicht gut. Sie sind nicht der Mensch, für den man sie gesehen hat. Sie sind nicht ehrlich und aufrichtig. Sie saugen einen aus. Sie wollen keine Schulter, an denen sie sich ausheulen können, sondern ein Startkick für ihre Karriere.
Darum hasse ich Berlin auch langsam. Immer mehr kommen und schnacken sich durch die Eventwelt und hinterlassen eine dermaßen dicke Schleimspur, dass man darauf ausrutschen und sich das Genick brechen kann. Es geht so oft nur noch um sehen und gesehen werden. Es geht um coole Instagram Bilder mit coolen Leuten und alle sind Freunde. Es geht darum sich das blaue vom Himmel zu lügen, um doch nur ein bisschen Fame vom anderen abgrasen zu wollen. Weakly reach statt Werte. Wo sind all die Charaktermenschen, die Berlin so besonders gemacht haben? Ich glaube, sie ziehen weg…
Ich bin ein paar Schritte gelaufen und ich gebe es zu, eine Träne läuft mir die Wange runter. Vor einandhalb Jahren, ist Thekla gegangen, von Berlin nach Reykavik. Und es war schrecklich. Morgen geht Marcel von Berlin nach Bayern und es ist schrecklich. Ich frage mich, was unsere Freundschaft besonders gemacht hat und ich glaube es lag daran, dass wir obwohl wir beide Blogger sind, dass nie thematisiert und ausgeschlachtet haben. Statt auf dem roten Teppich, sind wir über den Hundespielplatz flaniert, die Partyszene haben wir gegen das Penisfestival in Japan eingetauscht und anstatt in coolen It-Läden in Berlin gesehen zu werden, sitzen wir lieber in koreanischen Kaschemmen und verteilen Sojasauce auf dem Boden.
Ich hatte ja schon erwähnt, ich bin sehr lernfähig und auch wenn es so schwer fällt, man muss den Freunden die Tür aufhalten, damit sie gehen können. Sie versprechen sich ein besseres Leben, an dem anderen Ort. Und auch wenn man dann nicht mehr ein Teil davon ist, sollte man es ihnen von Herzen gönnen. Freundschaften haben sich geändert. Sie sind nicht mehr immer da und das ist auch nicht mehr schlimm. Das wichtigste ist, dass man sich wieder trifft und alles so ist als wäre es erst gestern gewesen.
7 Kommentare
Ein sehr schöner Text und vor allem regt er unheimlich zum Nachdenken an.. Aber echte Freundschaft bedeutet für mich auch, dass Entfernungen nicht alles sind – solange man miteinander in Kontakt bleibt und diesen nicht aufgibt, kann eine Freundschaft jeden Kilometer überstehen!
Ja, das muss man auch erst lernen. Früher dachte man eher: Aus den Augen, aus dem Sinn…
So ein toller Beitrag! Ich bin ganz deiner Meinung was die ganzen FAKE Freundschaften unter den Bloggern angeht. Ich bin froh, das meine engsten Freunde überhaupt in dieser Welt leben.Es ist immer wieder erfrischend sich mit jemanden auszutauschen der nicht einmal weiß was Reichweite, Klicks. Traffic und Social Media heutzutage eigentlich bedeutet.
LG,
MInnie
Hallo Christine,
du bringst auf den Punkt was Freundschaft heute ausmacht. Ich kenne das Gefühl, wenn man merkt, dass ein “Freund” einem doch nicht gut tut und viel mehr nimmt als gibt, man jedes Wort abwägen muss und Treffen eher Last als Freude sind. Gleichermaßen stimme ich dir zu, dass man sich nicht täglich sehen muss, um enge Freunde zu sein. Der jeweilige Lebensweg verhindert dies oft, doch wenn man sich die Zeit nimmt, ist es so intensiv, dass es alles andere kompensiert. Anders hätte ich die Freundschaft zu meiner langjährigen Freundin mit Schichtdienst nicht aufrecht erhalten können. Da wird dann mal telefoniert oder geschrieben, wenn es zeitlich nicht passt oder andere Dinge dazwischen kommen. Dennoch sind wir zu jeder Zeit füreinander da und das ist das wichtigste. Ich wünsche dir, dass es mit Marcel genauso ist und wer weiß, vielleicht ziehst du irgendwann hinterher, wenn du von Berlin genug hast. Für mich ist die Stadt interessant, leben könnte ich dort nicht, aber das ist Ansichtssache.
Viele liebe Grüße, Silke
Danke für dein Feedback. Ja mal schauen, wie es weitergeht ;)
Liebe Christine,
Ein schöner Text – und ich finde auch, dass heute Freundschaften auch über die Distanz aufrecht erhalten werden können. Telefonieren kostet nichts mehr, man kann skypen oder whatsappen. Am wichtigsten ist doch, zu wissen, dass der Freund für einen da ist, wenn man ihn braucht.
Und dann gibt es für offene Leute und viel Reisenden noch diese Zufallsbekanntschaften, die man nur mal für 2 Stunden trifft, die einem aber sehr viel geben und neue Perspektiven aufzeigen.
Bis bald,
Martina
Hallo Christine,
auch ich hatte genug von Berlin. Am schlimmsten fand ich, dass die Menschen in dieser Stadt so gestresst sind. Im Verkehr, beim einkaufen und auf arbeit. Die schlchte Laune hat abgefarbt und mir hat das leben dort keinen Spaß mehr gemacht. So war ich die Person die letztendlich gegangen ist. Zum Glück habe auch ich in den letzten jahre in dieser eigentlich tollen Stadt sehr gute Freunde gefunden wie ich sie zuvor nicht hatte. Meine Freunde haben mich in meinen Plänen auszuwandern vollstens unterstützt und ich bin sehr froh das ich sie habe. So bin ich nun auf der Reise nach Neuseeland um dort zu leben. Meine Freunde werde ich natürlich nicht vergessen und ich freue mich bereits sie eines tages wiederzusehen.
Ich bin ganz deiner Meinung. Jeder Mensch sollte das tun wobei er sich am wohlsten fühlt und hingehen wo er glucklich ist. Dabei will man ihn nicht mit einem schlechten Gewissen belasten sondern sich für seinen Freund freuen und ihn unterstützen.
Vielen Dank für den tollwn Beitrag.
Liebe grüße aus Australien
wanda