Ich war letzte Woche ein paar Tage in Eckartsroth, einem kleinen Dorf in der Rhön. Sechs Häuser, zwei Laternen und ein Briefkasten. Ich bin hingefahren, um “runter” zu kommen, wie man so schön sagt. Drei Tage nur Natur und Ruhe. Und Nichts.
Ich bin Reiten gegangen, Wandern und den Rest der Zeit saß ich rum und habe durch die Gegend geschaut. Einmal am Tag bin ich den kleinen Kiesweg entlange gelaufen, hoch auf die Weide, um mich auf die Bank zwischen zwei Bäume zu setzen. Von dort oben hatte man die Sicht auf das ganze Tal.
Ich stand eines Tages abends draußen, habe meine Zigarette geraucht und wieder durch die Gegend geschaut. Es war schon dunkel. Die zwei Laternen leuchteten. Ich merkte, wie zufrieden ich war. Wie tief ich schon “runter” gekommen bin und meine innere Ruhe da war. Ich glaube, das war sie. So genau kann man das ja nicht sagen, oder wisst ihr, wie sich die innere Ruhe anfühlt? Als ich dastand, bekam ich ganz unverhofft Angst. Richtig Angst. Beklemmungen, Tränen in die Augen, schnellere Atmung. Was war los? Ich war doch so entspannt. Es war doch alles gut. Kein Internet, kein Telefon, kein Stress, keine Sorgen und negative Gedanken. Ich stand lange da und höre in mich hinein, wollte rausfinden was passiert ist und woher die Angst kommt. Und da merkte ich, was mir Angst, Beklemmung und feuchte Augen machte. Die Ruhe!
Die Entspannung und das Nichts. Warum? Weil ich Angst habe mich daran zu gewöhnen. Ich habe Angst, so weit “runter” zu kommen, dass ich es nicht mehr schaffe wieder aufzuspringen, wenn der Dampfer in den Alltag des Lebens wieder losfährt. Wenn ich wieder in die Großstadt muss, nach Berlin. Wenn wieder Montag ist, die Arbeit beginnt, die Wäsche gewaschen werden muss, der Kühlschrank Inhalt braucht und die Steuererklärung zum Finanzamt muss. Ich hatte Angst, dass die Ruhe mir meine Energie nimmt. Dass ich den Weg nicht zurück finde. Vielleicht wünschte ich mir sogar den Weg nicht zu finden. Mich einfach im Wald zu verirren und dann wieder bei der Bank zwischen den Bäumen herauszukommen. Da noch ein bisschen sitzen, das Tal beobachte. Wie die Blätter von Grün ins Gelb übergehen und dann langsam runterfallen und zu braunen, dörren Laub werden. Dann sitze ich da und die Äste sind kahl und die Tage werden kälter und kürzer. Es regnet, es schneit, das Tal ist weiß. Mal sind die Tage mit Wolken durchzogen, mal scheint die Sonne. Egal. Ich sitze da. In Ruhe. Habe Zeit.
Die Vorstellung ist irgendwie wunderschön. Sitzen, schauen. Regen, Wind, Schnee. Gedankenlos. Doch wie viele Gedanken ist es eine Utopie, eine Wunschvorstellung, die niemals in Erfüllung geht. Wenigstens nicht nie nächsten 40 Jahre. Deswegen macht mir die Ruhe so Angst. Sie bleibt nie. Es ist Verlustangst. Noch zwei Nächte. Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus. Er ist aus Glas. Das Licht des Mondes scheint auf die Kanten. Die Grillen sind sehr laut. Jede Nacht wundere ich mich darüber, wie laut sie sind. Wann sie wohl aufhören zu zirpen? Ich gehe ins Haus.
12 Kommentare
mei wie schön! Nimmst mich das nächste mal bitte mit nach Eckartsroth?!! Will auch Ruhe :)
Und schon wieder so ein wunderschöner, offener und ehrlicher Text. Man muss dich einfach gern haben, Christine!
Ich selbst brauche auch immer solche „Oasen der Stille“. Die Frage ist nur, ob sich dabei Entspannung oder Angst einstellt. Ich denke, es ist alles gut, solange man nicht ein so schnelles Leben führt, dass man dabei seine eigene Seele überholt, und solange das Glück nicht von den Erfolgen und Errungenschaften abhängt, denn die halten letztlich der Sinnfrage nicht stand. Wenn das nicht so ist, kann man sich über die Erfolge auch wirklich freuen und Angst hat keine Chance.
PS:
Interessant: Zu deinem Post bringt Google eine Werbung "Burnout-Prävention 2011" …
@ Veri! Nächsten Frühjahr fahren wir alle zusammen hin. Wird nicht so anstrengend wie Kanu fahren ;)
@mydreams Danke für den Post. Die Werbung kommt ständig. Immer wenn ich das Wort "Angst" verwende. Und noch bin ich schneller als die Seele ;)
wow! du schreibst wundervoll! und das "problem" der inneren ruhe kennt ich und das was mit dir los war nennt man panikattacke… es war als würde ich meine eigenen gedanken zu papier gebracht nochmals lesen :-)
Ich weiß was du meinst. Diese Momente habe ich auch. Immer wieder.
Ich finde es interessant, dass es so viele haben aber fast keiner darüber redet…