Kinder spielen verstecken, Erwachsene „Wer bin ich“ und Sziget-Besucher „Sinti und Roma“ – wie mich meine Reise nach Budapest inspirierte …
„Rauf auf den Gellert Hill, die Aussicht ist einmalig, der Weg dort rauf klar ein wenig steil, aber auch sehr romantisch.“Trägt man das richtige Kleid, werden einem die interessantesten Studiengänge nachgesagt … Esoterik zum Beispiel – wirklich? Klar, ein bisschen hippiesque sein hier, ein bisschen Bohème-Chic da, das taugt mir! Aber ein Schritt in meine eigenen vier Wände und mein skandinavisches Shabby-Chic Herz spricht für sich. Es gibt also Freunde, die sind sicherlich alternativer als ich. Sophie zum Beispiel: Vorzeigekind des Bohème – hier der Norm verweigern, da dagegen sein und sowieso immer Standpunkt zeigen. Bei ihr duftet es nach Räucherstäbchen und überall finden sich Mitbringsel ferner, östlicher Länder, die sie allein mit ihrem Rucksack bereist hat. Seitdem ich Sophie kenne schwärmt sie vom Sziget: die Vielfalt, die Atmosphäre, das ganz andere Festival, als wir es von Deutschland kennen. Und weil ich mich so gern inspirieren, begeistern und mitreißen lasse, war klar, dass ich es dieses Jahr endlich auch erleben würde: Sziget –Island Of Freedom! Eigentlich schon etwas müde von den ganzen Besoffski-Szenarien der vergangenen Festivals, hätte ich auch gut darauf verzichten können. Was soll schon noch groß Neues kommen? Wenigstens hatte ich diesmal einen Freund dabei, der würde das Ganze schon erträglich machen. Aber es sollte sich herausstellen: ich habe dem Festival auf der Donauinsel völlig unrecht getan – denn das hier war wirklich etwas ganz Anderes. Zuvor aber noch ein paar Worte zu Budapest, denn – ein Festival mitten in der Stadt? Mitten in Budapest? – Natürlich wird das mit einem kleinen Städtetrip verbunden. Wir verbrachten also zunächst 2 Nächste im Maverick Hostel, direkt im Zentrum von Ungarns Hauptstadt, (Ich erkundige mich grundsätzlich immer erst im Hotelzimmer über Sehenswertes *shame on me*, nur um mich dann umso mehr zu freuen, dass sich alles Wichtige wieder einmal in Gehweite befindet!) um dann noch eine Nacht zu verlängern, weil Hostel so fein und Ventilator so schön kühl. Das Maverick Hostel hat überwiegend zweier Zimmer, alle nach Charakteren aus dem Coen-Brüder-Film “The Big Lebowski“ benannt – was schonmal extrem sympathisch ist. Das Hostel, das eher an ein kumpelhaftes Hotel erinnert, liegt in einem charakteristischen Budapest-Haus aus der Jahrhundertwende (oh Gott, bitte lass das wahr sein): zumindest ein richtig schön derb verrußter Altbau, der mal hässlich grau war, jetzt hässlich schwarz ist, aber trotzdem irgendwie total charmant und voller Geschichten. Eine schwere Eingangstür, drei mal so hoch wie ich, geleitet mich in die Eingangshalle, in der ich gänzlich in Ehrfurcht und Träumerei verfalle, wer ist hier wohl schon durchgelaufen? Was haben sich hier für Geschichten abgespielt? Beim Anblick der Budapester Straßen mischt sich bei mir immer ein bisschen Unbehagen mit Bewunderung, was bei mir dann zu Andacht und Ehrfurcht führt. Ich stelle mir schicke Frauen in Pelzmänteln vor – natürlich ist es kalt und ein leichter Schneesturm verstört die Sicht – die geduckt von einem Hauseingang zum nächsten huschen, Angst und Tapferkeit gleichermaßen im Nacken. Unsere Wege heute in Budapest gestalteten sich recht einfach von Café zu Bar zu Bar (natürlich alles von Locals empfohlen, wir wollen schließlich keinen Touris begegnen! ;) ) … so lernt man die Stadt und ihre Szene doch am Besten kennen: Tatsächlich haben wir auf unseren Streifzügen einige tolle Orte entdeckt. Zum Beispiel das Táskarádió Eszpresszó direkt um die Ecke vom Maverick Hostel: eine Hommage an die 60er, 70er und 80er und mitsamt seinen originalen „Ausstellungsstücken“ das beste Retrocafé eh und jeh. Dann ist da die Telep Art Bar & Bistro und Longboardmanufaktur, ein lässiger Laden im angesagten jüdischen Viertel VII / „Elizabeth Town“. Hier habe ich auch das Recycling-Designerlädchen Printas gefunden – warum habe ich mir nur nicht diese Kette aus alten Kameraobjektiven (also diesen Aufsatzringen) gekauft? Mein Geheimtipp, und auf Ewigkeit wahrscheinlich eines der nettesten Plätzchen innerhalb einer Großstadt, ist der Hinterhof bei der „Villa Kunterbunt“, so nenne ich es. Denn leider ließ sich nicht herausfinden, wie die Bar hieß, und irgendwie möchte ich das Mysterium darum auch weiterhin aufrecht erhalten. Der kühle Schatten der hohen Bäume und das ganze Flair schien uns in der Mittagshitze wie ein Zufluchtsort, der uns einfach so zugeflogen ist. Lasst das Bild für euch sprechen, Wegbeschreibung gibt es auf Anfrage ;)
Hinterhof Café Kunterbunt
Printas Laden
Táskarádió Eszpresszó
Telep Bar
„Zum Marxim führt ein dunkler Weg, belohnt werdet ihr mit der vielleicht besten Pizza in Budapest. Ich habe mich dort verewigt ;)“
„Haben uns in einen Hinterof gesneaked und diese feine Halle entdeckt.“
„Einparken Deluxe“
Mitgenommen von meinem kleinen Städtetrip habe ich ein gewisses „Wir.wollen.das.so.nicht.und.machen.unser.eigenes.Ding-auch.wenn.das.nicht.erwünscht.ist!“-Feeling. Genau diese Leute sind es, die sich jährlich beim Sziget zu einer Woche Festival voller Gipsymusik, Balkanklänge, Frieden und lieb haben zusammen finden. So wie meine Freundin Sophie, und dieses Jahr auch ich. Und ich muss sagen, ich möchte sofort wieder hin! Gute acht Tage feiern Freiheitsliebende auf der „Island of Freedom“ direkt in Budapest und doch fern ab von Regeln. Ich hatte das Sziget also total unterschätzt. Dabei wurde es im Jahr 2011 zum besten europäischen Festival gekürt. Wen wundert´s: Hier gibt es keinen hermetisch abgezäunten Campingplatz – gezeltet werden darf überall und mittendrin. Unter schattigen Bäumen lässt du friedlich die Seele in der Hängematte baumeln oder spannst die Wäscheleine auf – um dich herum hörst du lauter fremde Sprachen. Wie kaum ein anderes Festival ist das Sziget durch seine Internationalität geprägt. Angefangen bei Besuchern aus den Ostblockländern wie Ungarn, Kroatien und Slowenien, Ukraine, Rumänien und Serbien (denn die brauchen für dieses Festival kein Visum) geht es über Franzosen, Italiener und Spanier weiter zu Iren, Niederländern, Deutschen und Österreichern und vielen mehr. Gepaart wird das Ganze dann noch mit einer Menge Laissez Faire, leben und leben lassen, einem gewissen Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang, Diskutierfreude sowie dem ein oder anderen Joint und voilá: Fertig ist eine Woche Gipsyleben. Aussteigen, und die Stadt draußen lassen: „Island Of Freedom“. Dabei pflegen manche Besucher diese Einstellung mehr als andere, wie zum Beispiel unsere Zeltnachbarn die Katalanier. Der allgemeine Sziget-Besucher kauft sich das Ticket nicht um sich – wie viele Festivals das Bild vermitteln – täglich maßlos zu betrinken und in möglichst auffällig peinlichen Kostümen rumzurennen. Vielmehr genießt man einfach mal friedliche Gesellschaft, andere Kulturen und freut sich seines Lebens. Genauso wird der Ticketkauf auch eher selten vom Line-Up abhängig gemacht, denn eines ist sicher: Irgendwo auf den unzähligen Bühnen wird einem die Musik schon taugen und das Tanzbein lässt sich zu jeder noch so dir bisher unbekannten Ska-Band schwingen. So zum Beispiel auch zu Dubioza Kolektiv – einer bosnischen Band, die Roots Reggae mit Synthesizer neu abmischen, hier und da auch Dubstep einfließen lassen (ihr aktuelles Album Apsurdistan bekommt ihr hier zum Free Download). Und neben Ska und Reggae auf Bühnen wie „Yeni Raki Roma Tent“, „Afro-Latin-Reggae Stage“ und „Holland Meets Hungarian Stage“ waren auch einige Acts vertreten, die sich so auch auf deutschen Festivals tummeln und jedem Musiknerd bis Radiohörer ein Begriff sein dürften: Parov Stelar Band, Woodkid, Franz Ferdinand, Chase & Status, Empire Of The Sun, Left Boy, Editors und Deichkind. Ich fühle mich wie in einem Zeltlager von Sinti und Roma. Denn wie gesagt, Musik ist beim Sziget – so schneint es mir – eher ein willkommenes Mittelchen um über Grenzen hinaus zu kommunizieren, fröhlich zu tanzen und die Liebe zu teilen. Klingt hippy? Ja absolut! Mit dem schönen Aspekt, dass es diesmal total authentisch daher kommt. Ein Band im offenen Haar, Jeansshorts, coole Boots und lockere Blümchenbluse mit Fransenweste macht dich in der Werbekampagne vielleicht zum Hippy, aber nach so einem Katalogmodel kann man beim Sziget lange suchen. Stattdessen legt man auf der Donauinsel Wert auf Selbstverwirklichung und Kunst, die das Festival so einzigartig macht. Immer und überall begleitet dich Musik auf deinem Weg durch faszinierende Traumwelten: Da ist das riesengroße Schaukelpferd, das Künstlerland oder das Rätselland, die Allee unter lauter bunten warm leuchtenden Lampenschirmen oder das Luminarium. Im „Magic Mirror“ tummelt sich die queer Szene bei Kabarret und Transvestishows, im Cirque du Sziget gibt es Feuershows zu bestaunen. Die Thai-Masage lehne ich derweil dankend ab, sieht mir zu arg aus, stattdessen widme ich mich ein bisschen den Reggaeklängen und wippe im Rhythmus. Und wenn mir zu warm wird hüpfe ich einfach an der Inselspitze in die kühle Donaubadewanne.
„3 10.000 Ballons vor der Pop-Rock-Mainstage, morgen werden es Windrädchen und übermorgen indische Holyfarben sein!“
An dieser Stelle eine kleine Anekdote: Auf dem Sziget gab es dieses tolle „Slip&Slide“ Gerutsche – das wollte ich natürlich sofort machen! Dummerweise hatte ich leider den trägerlosen Bikini an, der noch nicht mal Beckenrandsprüngen standhält, sondern eher was zum „nur liegen und präsentieren“ ist… „Egal – wird schon, die Leute rutschen eh alle nicht weit“, denke ich mir. Damit ich nicht der Schmach erliege und wie alle Anderen mitten auf halber Strecke auf der Matte liegen bleibe, seife ich mich so richtig ein – fehlte nur noch, dass ich mir Seifstückchen zwischen die Zehen stecke. Vorfreudig und bestens vorbereitet nehme ich also Anlauf. Sich fallen lassen: gelingt, „Ach du Schreck! Ich rutsche voll auf die Bande zu!“ Und bevor ich irgendwelche Versuche zum Bremsen anstellen kann, fluppe ich flink wie eine glitschige Robbe über die kleine Anhöhe von Barriere, die eigentlich das Ende der Bahn markiert, und lande auf einem kratzigen Drecksteppich. Da liege ich nun, bauchlinks…topless und ein bisschen hilflos. Gut, wenn man Freunde hat, die gleich zur Stelle sind, schlecht wenn sich das Top im Liegen nicht richten lässt. Ich will jetzt gar nicht esoterisch klingen, aber mein Ausflug ins Sziget-Leben hat mal wieder an mich appelliert, im Leben ein bisschen mehr auf´s Bauchgefühl zu hören und das zu machen, wonach einem gerade der Sinn steht. Schöne Momente wieder bewusster wahrzunehmen, anstatt in Gedanken drei Schritte voraus zu sein. Sziget war für mich vielmehr Urlaub zum Energie tanken, als normales Festival im herkömmlichen Sinne.
Disclaimer: Vielen Dank an HostelBookers für die Unterkunft in Budapest. Für alle, die Festivals lieben, aber campen hassen, die können beim Sziget wunderbar im Hostess übernachten. Ihr habt Lust was zu unternehmen? Wollt aber nicht ewig warten? Dann kauft euch eure Tickets für Budapest vorab hier: