Es beginnt auf dem Rock im Park alles mit den Beginnern. Guter, alter Hip Hop. Hammerhart und hammergeil. Das letzte Lied, ganz klar – Liebeslied. Aber nicht so romantisch schnulzig wie sonst, sondern ein bisschen härter, ein bisschen schneller mit mehr Beat und Bass. Die Zeiten ändern sich schließlich und somit auch die Lieder. Es muss schlimm genug für Musiker und Bands sein, wenn das Publikum immer nur den gleichen, alten scheiß hören will. Die Chartstürmer, den „Mitgröl-Song“.
Nach den Beginnern wurde es kontinuierlich voller und voller vor der Rock im Park Alternative Stage und alle pilgerten von der Center Stage, auf der gerade Campino mal wieder auf der Bühne herum gekrackselt ist, zur Alternativ Stage. Es geht nicht weiter. Die Menschenmasse stockt. „Tschuldigung, Tschuldigung, Tschuldigung.“ Ich quetsche mich einfach durch, werde 20-fach mit tödlichen Blicken getroffen, bis ich schließlich vor einem Mann stehe – dem Security, der den Weg versperrt.
„Nein! Da geht nichts mehr“, sagt er mit ernster Miene. Die hat er gut drauf. Ob man das wohl be der Ausbildung lernt? Lektion 4 – Wie schaue ich möglichst abweisend, böse und angewidert zugleich? Starrer Blick nach vorne an den Horizont, Mundwinkel hängen tief. So tief, dass sich schon zwei tiefe Marionettenfalten gebilet haben. Hände sind im Genitalbereich verschränkt. Brust raus, Rücken gerade und aufhören zu atmen.
„Aber ich habe doch einen Presseausweis“, piepse ich vor ihm rum. „Ich soll über das Event berichten. Da muss ich es doch gesehen haben.“ Keine Reaktion. Kein Blickkontakt. Ich existiere nicht. Ich komme ja auch viel zu spät. Die Show ist schon im vollen Gange. Aber dafür kann ich nichts. Ich war im Rock im Park Graben. Es war mein erstes Mal im Graben. Und er trägt zu Recht den Namen Graben – der Raum zwischen Bühne und Publikum, in dem ein paar Lautsprecher stehen und weitere Mengen an grimmig schauenden Security ist für kurze Zeit auch den Pressemenschen zugänglich. Die erste drei Lieder dürfen sie rein und Fotos von der Band schießen. Ich habe den Graben als Nahkampfgebiet kennengelernt. Man drängelt und schubst um reinzukommen, legt sich mit Security an, die im Weg stehen und haut sein Monsterobjektiv anderen Fotografen „aus Versehen“ auf den Schädel. Was man nicht alles tut für das perfekte Bild. Nach drei Liedern ist es vorbei – der Kampf abgebrochen, die Security befördern die Journalisten wieder raus und dann steht man da und muss versuchen noch vor die Bühne zu kommen um weiter zu schauen, hören und aufzunehmen was in der Menge passiert. Wie die Stimmung so ist, unten dem feierwütigem Volk.
Bei diesem Security ist nichts zu holen. Da steht Machtgehabe über Menschenverstand. Dann eben nächster Eingang, nächster Security, nächster Versuch und Erfolg. Alle wollen zur gerade angesagtesten und geilsten Bühnenshow Deutschlands gehen und schmieden Stürmungspläne und wie sie die Security-Mauer durchbrechen können. Rock im Park 2012 Deichkind spielt – leider wirklich geil. Ohne Zweifel. Astronautenanzüge leuchten mit LED-Lampen auf, Bürostühle rattern über den Bühnenboden, Holzfässer fahren durch das Publikum. Viele Effekte, eine Menge Kostüme aber keine Gesichter. Selbstschutz. Schließlich will man noch ungestört einen Kaffee trinken gehen und U-Bahn fahren. Das können auch alle, außer der arme Mc Ferris. Der kann seit Jahren nicht mehr die Öffentlichkeit betreten ohne erkannt und belagert zu werden.
Still stehen in der Menge geht nicht. Wenn man sich selber nicht bewegt, hebt einen die springende Menge einfach mit hoch. Es geht ab. So richtig. Die Menge tobt. Party! Party! Party! Bei „Bück dich hoch“ stürmen ein paar Halbstarke den Becks-Bierstand vor der Bühne und grölen auf dem Gelände weiter. Mortz Remmidemmi hier. Ich stehe da, schau mir die ausrastende Menge an, wie sie selbst ihr Elend feiern. Denn ich glaube, kaum einer hört zu und checkt was hier abgeht. Keiner versteht von den Liedtexten mehr ausser den Refrain und merkt wie sozialkritisch die Texte von Deichkind sind. Wie brutal ehrlich und erschreckend wahr. Heute schön abfeiern und sich austoben. Montag wieder selber im Büro sitzen „24/7, 8 bis 8, was geht ab, machste schlapp, what the fuck?!“ Wenn die neue Woche anfängt und das Festivalwochenende vorbei ist, dann heißt es wieder „Halt die Schnauze, frisch ans Werk und verdien!“ Dann jammert man wieder über die Zustände. Über seinen Job, das Konkurrenzdenken, die Ungerechtigkeit und den Druck. Aber das „kick dich, box dich, schlaf dich hoch“ ist vielleicht erträglicher, wenn man am Schreibtisch ein paar Minuten abschalten kann und die Gedanken abschalten kann. Wenn man sich für einen kurzen Moment das Gefühl zurückholt wie es bei Deichkind in der ersten Reihe war. Mit 76 000 in der Menge von Rock im Park stehen, Hände hoch, jubeln, feiern. Komasaufen, Bierbongtrinken, Kotzorgie. Sich ein Wochenende nicht hoch bücken, sondern nieder legen. Eine Auszeit nehmen. Den Ausnahmezustand genießen. Spaß haben. Und beim Spaß, da ist es doch egal was der da vorne auf der Bühne singt. Hauptsache es ist Stimmung da. Und genügend Bier…
8 Kommentare
Du machst total schöne Bilder, die die Stimmung richtig zum Leser transportieren. Der ganze Bericht ist klasse! – Liebe Grüße!
Dankeschön
Rock im Park ist aber auch einfach wundervoll. Der Duft von Gras in der Luft, kaputte Dixis und nichts kann einen stören, weil einfach alles um einen rum so friedlich ist.