Irgendwann habe ich einmal einen Artikel über Reisesucht gelesen. Wenn ich mich jetzt so in meinem Zimmer umschaue, dann sehe ich da ein ganzes Regal voller Reiseführer. Meine Wände sind mit Postkarten aus der ganzen Welt tapeziert. Unter meinem Bett verstaubt nicht nur mein Surfbrett, sondern auch zwei Boxen mit Reise-Erinnerungen.
Ich habe am Anfang des Jahres mal eine Reisebilanz gezogen und muss sagen, dass ich mich da schon so ein bisschen wie ein Nomad gefühlt habe. Es waren genau 11 Länder und 41 Städte. Das alles in einem Jahr.
Nomaden…Genau so wollen wir, die Reisenden, ja auch gesehen werden. Wir sind keine Touristen, wir sind Nomaden, Vagabunden, vom Meer Getriebene und vielleicht einfach nur auf der Suche nach Tausenden von Abenteuern, die wir in unserem Alltag nicht finden. Ist das Reisesucht?
Abenteuer, das bedeutet für mich: ein Tag am Meer, durch den Dschungel laufen, im warmen Monsunregen zu tanzen, mit einem TukTuk durch die Wallachei zu fahren oder einfach meine Künste in einer mir fremden Sprache zu präsentieren. Das, dass sind Abenteuer für mich. Und das sind ebenfalls Dinge, die die letzten Jahre meines Lebens gezeichnet haben.
Die wenigsten meiner Freunde haben es verstanden, noch weniger wussten überhaupt, was genau ich mache oder wo ich bin. Dass ich wirklich studiert habe, das wusste keiner oder sie glaubten es mir einfach nicht. Naja, ich muss zugeben, dass Bali oder Sydney vielleicht nicht wirklich als DIE Studentenstädte bekannt sind.
Nun, so ein Studentenleben ist auch einmal vorbei. Gestern habe ich meine Masterarbeit abgeschickt und da war sie, diese Leere. Ich kann mich noch gut an diesen Moment erinnern, an dem ich meine Bachelorarbeit abgegeben habe. Ich bin in die Uni gelaufen, freudestrahlend, mit einem Prosecco in der Tasche. Warum? Weil ich erleichtert war und wusste, dass es für mich nach Frankreich ging und dann nach Dänemark zum Masterstudium.
Gestern ja, da war ich erleichtert und auch Herr Prosecco war wieder dabei. Diesmal aber eher aus Frust. Warum? Weil ich nun stolzes Mitglied dieser Blase bin, in der keiner weiß wie es weitergeht. Diese Blase der vielen, ja fast schon viel zu vielen, Möglichkeiten. Das klingt jetzt wie Jammern auf ganz hohem Niveau, aber mal ehrlich. Wie geht es denn jetzt weiter? Was mache ich denn jetzt, wenn ich keine Hausarbeiten mehr schreiben muss? Ach ja, ich weiß. Dieses wahre Leben, von dem ich bisher immer weggerannt bin und von dem immer alle sprechen, das kommt jetzt. Mist. Das war es denn erst einmal.
Ich bin gerade meinen Kalender durchgegangen. Der Kalender, der sonst voll mit irgendwelchen Reisen war, ist jetzt leer. Was ich die nächsten Monate mache? Ein Praktikum. An einem festen Ort. So ganz ohne Reisen. Ich muss gestehen, trotz der wunderbaren Möglichkeit dieses Praktikum machen zu dürfen, zittern mir jetzt schon die Hände. Das was man bei Drogenabhängigen „Cold Turkey“ nennt, habe ich jetzt. Ich mache also einen Entzug von meiner Reisesucht.
Ja, ich nenne das Reisen eine Sucht, Reisesucht, um genau zu sein. Eine ganz große Sucht ist diese Reisesucht. Während andere ihre Einkaufszettel schreiben und diese im Handy speichern, tippe ich tagtäglich neue Reiseziele ein. Andere schauen Sendungen im Fernsehen, ich suche nach günstigen Flügen und meine eigenen Freunde nutzen mich als ihre persönliche Reiseagentur.
Dieser Nomad, Vagabund und an Reisesucht leidender Wanderer sitzt jetzt jeden Tag im Büro. Während andere jetzt sagen würden, dass das das wahre Leben sei, dann muss ich mich entschuldigen und ihnen sagen, dass es dies für mich garantiert nicht ist.
Ein wildes Tier sperrt man ja auch nicht ein. Und ich bin nun mal ein wildes Tier. Ich liebe es meine zerknitterten Sachen aus meinem Backpack zu ziehen. Ich liebe es 30 Stunden in einem Bus zu sitzen und morgens an einem neuen Ort aufzuwachen. Ich bin stolz auf meine Festplatte voll Fotos und auf meine 716 Facebook Freunde aus jeglichen Ländern der Welt.
Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch, meine Füße wippen, denn sie sind rastlos und auf der stetigen Suche nach neuen Reisen. Meine größte Reise momentan ist der Weg vom Osten Berlins in den Westen. Ich könnte dafür jetzt jeden Morgen meinen Backpack packen, um mir selbst ein bisschen das Gefühl des Reisens zu vermitteln, aber ich glaube das fänden einige Menschen komisch. Auch könnte ich jeden Tag mit Flip Flops durch Berlin laufen oder meine zerknitterten Reiseklamotten anziehen und so tun als ob. Aber mal ehrlich, das ist doch nicht das Gleiche und das befriedigt auch nicht meine Reisesucht.
Ich steh auf günstiges Backpacker Essen, auf ein Tuktuk, das mich von A nach B bringt, auf Hostelzimmer mit 30 Betten und auf das stetig wiederkehrende Adrenalin, das mir durch das Blut schießt, wenn ich mal wieder den günstigsten Preis verhandeln konnte. Das ist jetzt erst einmal vorbei und ich muss sagen, ich habe tierische Angst.
Ich weiß nicht, ob ich in diese Welt der seriösen Berufstätigen passe. Ich muss selbst morgens lachen, wenn ich mir denke, dass ich jetzt eine von denen bin, die tagein tagaus das Gleiche macht, die gleiche Bahn am Morgen nimmt und die gleiche Bahn am Abend. Ich glaube, das bin ich nicht und das werde ich auch nie sein.
Einmal ein Reisender, immer ein Reisender. So ist das nun mal. Und selbst, wenn ich jetzt vielleicht 3 Monate lang „clean“ bin, ist das Rückfallrisiko doch immernoch relativ hoch, oder? Das ist wie bei Alkoholikern. So wirklich wird man eine Sucht doch sowieso nicht los und schon gar nicht die Reisesucht.
Ich weiß, dass ich nicht an den Schreibtisch gehöre, an dem ich täglich sitze und von dem ich jeden Tag die gleiche Aussicht auf das Grau in Grau der Straßen haben werde. Ich weiß, dass ich nicht immer die gleiche Bahn nehmen möchte. Natürlich, möchte ich diesen Alltag, dieses wahre Leben, auch haben, aber dafür kann ich ja auch einmal eine andere Bahn nehmen und dafür brauche ich auch keinen Schreibtisch.
Alles was ich dafür brauche sind mein Reisepass, meine Flip Flops und ein leeres Notizbuch und dann geht’s auch mit der Reisesucht.
12 Kommentare
Hallo Anne,
genau, wie du es beschreibst, geht es mir auch. Reisesüchtig, das bin ich. Leider jedoch auch jeden Tag fest am Schreibtisch und leider damit auch alles andere als zufrieden. Mal sehen, ob ich da irgendwann wieder rauskomme.
Viele Grüße,
Laura
Hallo,
bis auf die Hostelzimmer mit den 30 Betten kann ich das alles nur unterschreiben. Und unterstreichen. ;-)
Gruß,
martin
Ohja. Ich kenne dieses Gefühl des ständig-irgendeine-Reise-planen nur zu gut. Leider leider leider fehlt im echten Leben die Zeit für alle die schönen Orte.
Wunderbarer Blog! :*
Hallo Anne,
ich sag nur: dito! Schliesse mich allerdings Martin an – da ich auch gern auf grosse Bettenburgen verzichte.
Mein Büroalltag macht mich auch fertig und ich weiss, das ist wider meiner Natur – doch fehlt mir der Mut alles hinzuschmeissen und die derzeit monatliche sichere Einnahmequelle zu verlassen.
Zu dem Thema habe ich vor ein paar Tagen einen guten Artikel gelesen. Vielleicht eine Hilfe für Dich zur Frage “Wie geht’s weiter?”.
http://t3n.de/news/dnx-digitalen-nomaden-544608/
Viele Grüße
Christina
Hihi, ich verzichte auch auf die Bettenburgen und nehme lieber das Zelt :)
Genau das ist leider auch mein Problem. Ich denke jeden Tag darüber nach einfach meine Sachen zu packen und zu fliegen. Irgendwo hin, ist ja eigentlich auch egal wohin, hauptsache raus. Aber trotzdem…Irgendwie geht’s dann ja doch nicht…MIST
Ein wunderbar toller Artikel……….
Dankeschön!
Danke :)
Hi Anne,
vielen Dank für diesen Artikel, in dem sich wahrscheinlich jeder Reisewütige wiedererkennt.
Symptomatisch laufe ich auch Tage nach meiner Ankunft noch in den sieben Sachen herum, auf die ich mich während der Reise beschränkte, wasche sie im Waschbecken, um ja nicht die Maschine als Vergegenständlichung des durchschnittlichen Alltags eines Sesshaften anwerfen zu müssen. Die ersten Tage werde ich zudem magnetisch von meinem Bett abgestoßen, lieber besuche ich Freunde in der Gegend und übernachte bei ihnen, merke allerdings schnell, dass das so nicht weitergeht und campiere dann noch ein paar Nächte mit Isomatte und Schlafsack bei Wind und Wetter auf dem Balkon, wahrhaftig erfreut darüber, dass Kälte, Nässe, Lärm und Licht mich wie gewohnt allerspätestens halb acht munter werden lassen. Auch den Campingkocher ziehe ich dem Herd vor.
Mein Mitbewohner hält mich zwar ohnehin schon für etwas verrückt, aber für diese, zugegeben, merkwürdig anmutenden Verhaltensweisen hat er überhaupt kein Verständnis, was ich ihm nicht verübel.
Wenn mein Blick unvorbereitet auf eine Weltkarte fällt, bekomme ich in Sekundenschnelle einen unheimlichen Kick, verfalle unterbewusst in dieses mit hastig aufgeschlagenen Straßenkarten verbundene Grübeln (“Okay, mal sehen, welche Möglichkeiten stehen mir an diesem Punkt offen…”) und würde am liebsten sofort in irgendeine Richtung loslaufen. Diese – vermeintliche? – Befreiung bleibt mir in der nächsten Zeit aber ohnehin verwehrt, da ich momentan wie du auf der Schwelle zu meinem zukünftigen Leben stehe und zum ersten Mal einfach nicht weiter weiß.
Obwohl nun ja schon einige Zeit seit der Veröffentlichung dieses Artikels vergangen ist, bemerkte ich gerade. Darf ich fragen, wie du dich mit der Situation arrangiert hast?
Liebe Grüße sende ich dir konsequenter Weise aus Griechenland, wo ich mich “nur mal ganz, ganz kurz zum Vorbeischauen” und trotz äußerst stressigem Zeitlimit aufhalte.
Sophie
Danke für den Artikel. Ich leide auch Reisesucht, aber mit dem Fahrrad. :)
Hallo Anne hast Du schon mal daran gedacht auf einem Kreuyfahrtschiff yu arbeiten z.B. Mein Schiff oder AIDA. Die brauchen auch Buero Leute und Admin people. Ich weis ja leider nicht was Du studiert hast aber hier gibt es fast keinen Job den es nicht gibt. Bewirb Dich doch einfach mal. Tuicruises.com