„Willst du wirklich in die Türkei reisen?“ Diese Frage habe ich in letzter Zeit sehr oft gestellt bekommen. „Ja, das möchte ich.“ Ich habe so viel Fragen und möchte Antworten. Wie sicher ist es vor Ort? Wie geht es den Menschen? Wie entwickelt sich der Tourismus? Wie ist die Stimmung im Land? Wenn ich Fragen haben, möchte ich auch Antworten und setze alles daran, sie mit Bravur zu bekommen. Doch dieses Mal habe ich die Fragen immer wieder vergessen. Ich war so damit beschäftig das Land zu entdecken und ich habe die Zeit so genossen.
Ich war im Taurusgebirge, habe Wildpferde auf einem Hochplateau beobachtet, mir Schlamm ins Gesicht geschmiert und mir aus dem Kaffeesatz lesen lassen. Jeder Tag hat mich so verzaubert und es hat sich alles so schön und entspannt angefühlt, dass ich fast vergessen habe, warum ich hier bin. Mir fällt es meistens erst wieder ein, wenn ich die vielen leeren Liegen und Plätze in den Restaurants sehe. „Letztes Jahr war hier alles voll.“, erzählt mir meine Reiseführerin Rabia und kurz wechselt ihre Stimmung. Ich merke, dass es sie sehr traurig macht. Im Schnitt kommen dieses Jahr 50 % weniger Touristen in die Türkei. Allein eine Millionen Menschen sind in Antalya arbeitslos. Die Gründe sind uns bekannt – die Angst vor dem Terror, Boykott der Regierung – und die Türkei hat auch schwer damit zu kämpfen, dass Russland alle Pauschalreisen in die Türkei gestrichen hat.
Was sagen die Menschen vor Ort?
Ich habe vor Ort mit vielen unterschiedlichen Menschen gesprochen und habe sie alle immer wieder gefragt, wie sicher es in der Türkei ist. Die Antwort hätte ich mir fast schon denken können: Keiner kann für irgendwas garantieren. Doch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf dem Weg zum Flughafen bei einem Autounfall ums Leben komme höher als Opfer eines Terroranschlags zu werden. Mein erster Gesprächspartner ist Herr Barut, der elf Hotels an der Türkischen Riviera hat. Er hat Glück. Die großen Hoteliers können die geringe Besucherzahl auffangen. Aber die kleinen Hotels haben daran zu knabbern. Manche haben gar nicht aufgemacht dieses Jahr. Herr Barut hat sogar ein neues Hotel eröffnet, obwohl er dieses Jahr ein Minusjahr haben wird. „Wir müssen alles tun, um gegen den Terrorismus zu kämpfen. Es darf unseren Alltag nicht beeinflussen. Wie soll das Leben aussehen, wenn wir Stadien, Shoppingmalls und öffentliche Plätze meiden?“ Alles was man an Sicherheitsmaßnahmen tun kann, hat Herr Barut eingeleitet. Mehr Sicherheitspersonal ist vor Ort, nicht nur in seinem Hotel, sondern auch an der Strandpromenade fährt die örtliche Polizei vorbei. Angst hat Herr Barut keine und auch die Menschen nicht, die ich vor Ort treffe. Sie haben eher Bedenken nach Südamerika zu reisen, wegen der hohen Kriminalität, oder nach Asien, wegen Malaria. Bevor ich hier her kam, dachte ich mir, so blöd das auch klingen mag, dass die Angst in der Türkei allgegenwärtig sein muss. Doch das stimmt gar nicht.
„Das ist doch Blödsinn, jetzt nicht mehr in die Türkei zu fahren.“, entgegnet mir Hans, der seit vier Jahren jeden Mai und September nach Dalyan fährt, an die Ägäis. Axel war Pilot, bevor er in Rente gegangen ist. Er kennt die Welt, er ist offen und umsichtig und bringt ein sehr schönes Beispiel, das ich hier etwas ausgeschmückter erzählen möchte.
Die Deutschen sind einfach Herdentiere. Sie folgen einem Leittier, das angibt wo es langgeht. Oft sind das die Medien. Bei der Informationsaufnahme zu differenzieren fällt ihnen schwer. Wenn irgendwo geschrieben wird, dass in Australien (so groß wie Europa) ein Mensch von einem Hai angegriffen wurde, dann boykottieren sie entweder das ganze Land, weil viel zu gefährlich, oder gehen nirgends ins Meerwasser, auch wenn es viele Stellen um Australien herum gibt, an denen es keine Haie gibt.
Türkei ist nicht gleich Türkei
In Antalya ist die letzten 20 Jahre nichts passiert und es ist 600 km von Ankara entfernt, wo es den letzten Anschlag gab. Das ist die gleiche Entfernung wie von Paris nach Amsterdam. Man vergisst oft, dass Deutschland circa 2,5 mal in die Türkei passt und Entfernungen ganz anders gewertet werden müssen. Wir reisen immer noch nach Frankreich. Das hat, denke ich, auch damit zu tun, dass die Türkei für viele etwas befremdlich wirkt und alles Neue noch skeptischer beäugt wird. Vor allem, wenn man die Sprache des Landes nicht kann. Bei L’TUR kann man beispielsweisen Reisen mit Reiseleiterin buchen, die immer vor Ort ansprechbar ist und so ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Natürlich sollte man sich immer auf der Seite des Auswärtigen Amts informieren, aber auch mal beachten, wie weit manche Regionen von „Gefahrenzonen“ entfernt sind.
Aber ich gebe es zu: Ich hatte auch kurz Bedenken, als meine Mama ganz aufgelöst war, dass ich dort hinfahre. Mein Bruder meinte, sein Arbeitgeber lässt ihn gerade nicht in die Türkei fahren und selbst in Reiseblogger-Gruppen wurde das Thema „Reisen in die Türkei“ eher negativ aufgefasst. Mittlerweile schäme ich mich für meine kurzen Zweifel. Wer in die Türkei gereist ist, der hat nicht mehr „nur“ ein Land vor Augen, das die Titelseiten der Zeitungen kürt. Wer hier war, der denkt an Menschen, die das Herz berührt haben. Ich denke an die lieben L’TUR-Mitarbeiter, die ich vor Ort getroffen habe, meine Reiseleiterin Rabia und an Basar. Basar ist in meinem Alter, ist Ingenieur und betreibt mit seiner Familie das Hotel Basar in Daylan, ein wunderschönes Familienunternehmen, in dem Aufmerksamkeit und Wertschätzung dem Gast gegenüber sehr wichtig ist. Ich lerne ein paar der Stammgäste kennen, die seit 14 Jahren hier her kommen. Auch Gäste, die vorher davon überzeugt waren, dass sie nie öfters als zwei- oder dreimal an den gleichen Ort fahren werden. Das sind Gäste, die auch raus gehen, das Land erkunden mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Das zweite Problem neben den Rückgang der Gäste ist, dass die, die kommen, alle ihren Hotelkomplex nicht mehr verlassen möchten. Aus Angst …
Das Basar Hotel hat nur 50 Zimmer und 10 Mitarbeiter, die sich liebevoll um die Gäste kümmern. Das Gemüse ist aus biologischem Anbau und kommt vom eigenen Acker, die Marmelade wird in der Küche selbst gemacht und ein kleiner Extrawunsch wird auch gerne erfüllt. Leider trifft die momentane Lage solche kleinen Hotels am meisten. Deswegen kann ich den Grund nicht in die Region zu fahren, um ein Land zu boykottieren nicht verstehen. Reisen bildet, Reisen bringt einen Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen. Wo würden wir hinkommen, wenn das nicht mehr stattfinden würde? Und wen bestrafen wir mit dem Boykott? Nicht die, die es treffen sollte. Ich freue mich, wenn es auf Facebook oder hier auf dem Blog zu Diskussionen kommt und möchte gerne Angelika zitieren, die es auf den Punkt gebracht hat:
„Ausgerechnet den Tourismus zu boykottieren ist natürlich eine verlockend einfache Lösung. Aber viele Arbeitnehmer in der Tourismusbranche kommen aus Ostanatolien und unterstützen mit ihrem Gehalt oft eine ganze Grossfamilie. Mit einem Boykott des Tourismus schadet man den Menschen, denen man vermeidlich helfen möchte.“
Egal in welches Land ich reise, es gibt immer Aspekte, die ich nicht gut finde:
- Karibik – Homosexualität gesetzlich verboten
- Dänemark – gehört laut sueddeutsche.de zu den Top Ten der Staaten mit dem größten ökologischen Fußabdruck (4.Platz 8,4 Gha)
- Namibia – jede dritte Namibierin wird Opfer häuslicher Gewalt
- Deutschland – findet es völlig in Ordnung, jedes Jahr 50 Millionen Kücken bei lebendigen Leib zu schreddern
Reisen ist Lernen. Und gelernt habe ich eine Menge in der Türkei. Am beeindruckendsten fand ich jedoch die Einstellung der Türken, von denen wir noch viel lernen können. Lebensfreude und Optimismus. Der Terror geht uns alle etwas an. Keiner ist davor geschützt. Die Türkei trifft es jedoch momentan sehr hart. Sie sind der Situation ausgeliefert. Alles was ihnen bleibt, ist zu hoffen, dass es besser wird und das tun sie. Statt zu jammern schauen sie in die Zukunft. Sie kennen ihr Land, sie wissen, wie schön es ist und sie hoffen, dass sie bald wieder mehr Gäste haben.
Kann man in die Türkei fliegen? Ja oder nein?
Nun noch einmal zurück zur eigentlichen Frage: Kann man in die Türkei fliegen? Ja oder nein? Die Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Ich konnte in die Türkei fliegen und es war wunderbar. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, atemberaubende Natur gesehen und ein viel größeres Verständnis für die momentane Lage bekommen. Wo am Anfang noch ein kleiner Zweifel war, ist jetzt die Hoffnung, dass es mir viele gleich tun und der Tourismus und all die Menschen wieder eine Chance bekommen.
Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben. Die Türkei ist wunderschön. Lasst die Angst nicht euren Alltag bestimmen und reist weiter in die Welt. Das reisen verbindet uns, es gibt Einblicke und dadurch mehr Verständnis füreinander.
Weitere Artikel über die Türkei
Die kleinen Paradiese der Türkei – Dalyan
Bodrum, das romantische St. Tropez der Türkei
Die Zukunft liegt im Kaffeesatz
Dieser Reise ist in Kooperation mit L’TUR entstanden.
13 Kommentare
Hallo Christine,
vielen Dank für den tollen Beitrag, der mir ganz aus dem Herzen spricht. Ich habe mich auch eine Weile gefragt, ob ich die Türkei meinen Lesern noch empfehlen kann, soll und darf. Ich war letzten Herbst praktisch an den gleichen Orten wie du. Ich bin persönlich zu einem Ja gekommen.
Die Sicherheitslage ist relativ eindeutig. Da gibt es kaum einen Grund, die Türkei zu meiden. Bei den Boykotten ist das schon schwieriger. Die Idee ist ja, dass man die Leute bewusst verarmen lässt, damit sie einen Regierungsumsturz erzwingen (oder in einer Demokratie anders wählen.) Aber die Erfahrung zeigt, dass im realen Leben Boykotte die Regierungen eher stärken als schwächen (sprich: äusseres Feindbild).
Ausserdem ist die Abschaffung der Sippenhaft eine wunderbare Errungenschaft unserer Rechtsprechung. Ein Reiseboykott ist aber letztlich nichts anderes als eine Form der Sippenhaft.
Ich habe vor ein paar Tagen selber was zum Thema Reiseboykotte verfasst, wo ich meine Argumente etwas ausführlicher erkläre: http://weltreiseforum.com/blog/reiseboykotte/ Am Wochenende gibts dann noch was zur Terrorismusfrage. Vielleicht interessiert das dich oder deine Leser.
Gruss,
Oli
Lieber Oli, danke für deinen Einblick und deine Meinung. Ich sehe es genauso!
Simply stunning!
Hallo Christine,
viele Dank für den Artikel. Ich reise nächste Woche nach Side und viele meiner Arbeitskollegen haben mich für völlig verrückt erklärt…
Ich selbst mache mir aber kein bisschen Sorgen. Man weiß doch nie wo und wann etwas passiert. Es kann genauso gut möglich sein, dass es Anschläge in Amsterdam, Berlin oder auch Rom gibt. Das ist ja niemals ausgeschlossen.
Deswegen lasse ich mich nicht vom reisen abhalten. Vielen Dank für dein Stagement: ich bin Froh nicht alleine so zu denken. :)
Liebe Grüße
Lydia
Ja, ich finde es auch wirklich komisch, dass man ganz schräg angeschaut wird… Ich wünsche dir ganz viel Spaß!!!! Ich habe auch ganz tolle Tipps für Side gesammelt! Liebe Grüße
Christine
Das ist ein schöner Artikel, Christine. Ich halte generell auch nichts von Reiseboykotten, weil ich ebenso denke, dass sie die falschen treffen. Ich kann auch in die Türkei fliegen und werde es tun: morgen nach Istanbul. Ok, hier gab es tatsächlich 3 Anschläge im letzten halben Jahr. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es gerade mich trifft, die ist immer noch verschwindend gering. ich glaube, dass ich da wesentlich eher Gefahr gelaufen bin, in Ho Chi Minh City von einem Roller überfahren zu werden…
Zum.Glück stehe ich nicht alleine mit meiner Meinung zur Türkei da.Man hat eben nirgends wo Garantie.Wir freuen uns auf anderen Urlaub.
Viel Spaß!!!
Hallo Christine,
habe jetzt erst diesen beitrag gefunden, da wir in 3 Wochen nach Antalya/ Lara reisen,
und ich auch ein bisschen vor der “ja” oder “nein” -Frage stand.
Obwohl meiner Meinung nach überall was passieren kann.
Aber jetzt habe ich gesehen, dass auch andre so denken.
Wir freuen uns schon sehr auf den Urlaub und bin zuversichtlich, dass alles gut wird sein.
Danke nochmal für den positiven Beitrag.
LG Elfi
Gerne und einen ganz schönen Urlaub!
Informationen und Tipps über Side Türkei.
http://www.side-turkei.de