Jetzt sitze ich hier in meinem Hotelzimmer und weiß gar nicht, ob ich das, was ich heute erlebt habe, irgendwie auf Papier bekomme. Es gibt manchmal Begegnungen, die sind kein Zufall, die sind Schicksal. Und diese Begegnungen verändern in wenigen Stunden die Sicht auf das Leben.
Ich saß auf einem Katamaran und schipperte über das offene Meer, um Ausschau nach Robben und Delfinen zu halten. Beim Umdrehen schaute ich immer wieder eine bestimmte Frau an. Viel mehr ihre Hände. Das Erste, was mir aufgefallen ist, waren ihre Finger, an denen zahlreiche Ringe klimperten. Manchmal drei oder vier pro Finger. Für mich sind Frauen mit vielen Ringen an den Händen automatisch Weltenbummler, die sich von jeder Reise ein Souvenir mitgebracht haben. Die Frau war sehr groß, hatte grau schimmerndes Haar, welches sie zu einem Dutt zusammen gebunden hatte. Hinter ihrer Sonnenbrille sah ich zwei wache Augen. Während der vierstündigen Katamaran-Fahrt kamen wir ins Gespräch. Erst das Übliche. Wo kommst du her, was machst du, seit wann bist du in Namibia? Und wenn man dann irgendwann feststellt, dass man sich mag, dann fragt man auch mal nach den Namen.
Pia fährt seit über 10 Jahren regelmäßig nach Namibia. Ihr Bruder hat dort ein Haus gebaut, in dem sie seit seinem Tod mit ihrer Mutter „überwintert“. Gerade ist sie mit Freunden aus Deutschland unterwegs und wie wir auf der Suche nach Robben und Delfinen.
Doch das reichte mir nicht. Ich frage dann immer alles nach und will es ganz genau wissen, bis ins kleinste Detail. Doch bevor es dazu kommen konnte, fragte Pia, was ich den heute Nachmittag vor habe. Irgendwie war das unklar. Vielleicht durch die Stadt flanieren oder eine Township-Tour? Obwohl ich da immer sehr skeptisch bin. Ich möchte nicht das Gefühl haben und auch nicht das Gefühl vermitteln, als wäre ich auf einer Menschensafari. „Die Township-Tour kann ich dir geben“, schoss es aus ihr heraus. „Ich kenne da ganz viele Künstler durch mein Projekt, das ich dort aufgebaut habe.“ Blue Bank heißt es. Von der Katamaran-Tour stieg Pia direkt in mein Auto und wir fuhren von Walvis Bay wieder Richtung Swakopmund. Und dann gab es auch endlich die ganze Geschichte. Pias Vater hat die Firma für Waschbecken und Sanitärbedarf vom Großvater übernommen, der die ehemalige DDR verließ bevor die Grenzen geschlossen wurden. In Goslar, Pias Heimat, hat er sich ein neues Leben aufgebaut.
Als er vor ca. 10 Jahren starb, verkauften Pia, ihre Mutter und ihr Bruder die Firma. Ihr Bruder hatte keine Lust mehr auf Deutschland und den Stress und begann ein neues Leben in Namibia. In Swakopmund eröffnete er eine Eisdiele und baute sich ein Haus. Als er vor sechs Jahren erkrankte und sehr schnell verstarb, war das für alle ein Schock und eine große Trauer. Was nun? Was wird aus dem Haus? Wie soll es weiter gehen? Um die Trauer zu überwinden, packte sich Pia ihre Mutter und fuhr mit ihr nach Indien. Irgendwie kam eins zum anderen. In einem indischen Dorf, in dem Steinmetze für Tempeleinrichtungen arbeiten, machte Pia Bekanntschaft mit einem Mann. Sie kaufte ihm einen Sandstein, bezahlte seine Arbeitszeit und hatte nur eine Bedingung – er sollte aus dem Stein machen, was er wollte und es durfte nicht das Gleiche sein, was er immer für die Tempel anfertigt. Heraus kam eine wunderschöne Statue vor der heute eine blaue Bank steht, auf die man sich setzen und verweilen kann. Es ist eine jener blauen Bänke, die nicht nur zum Namen, sondern auch zum Wahrzeichen von Pias Organisation wurden. Blue Bank nennt sich der in Gosslar, Pias Heimatort, gegründete Verein, der Menschen aus den Townships helfen möchte. Kunst gegen Geld heißt das Prinzip. Als erstes führt Pia mich zu einer kleinen Seitengasse in der Innenstadt mit Ständen, an denen lokale Künstler aus ihrem Projekt ihre Meisterwerke verkaufen.
Hier habe ich auch zwei Bilder gekauft!
Es sind wunderschöne Gemälde und Kunstwerke und ich kann nicht anders, als mir zwei Bilder zu kaufen. Und ich tue es gerne, denn ich weiß, dass 100 Prozent des Erlöses an die Künstler geht. Ich weiß, dass sie durch die Kunst ihr Leben verbessern können und ich ein kleines Stück dazu beisteuern kann.
Die nächste Station sind die Townships. In Swakopmund fährt man binnen zehn Minuten durch drei verschiedene Schichten. Unser Ziel ist ganz am Ende in Mondesa, einem illegalen Township, in dem Ras wohnt, ein Künstler, mit dem Pia schon etliche Bilder gemalt hat und von ihm hat malen lassen. „Er ist eine kleine Bettelmaus, aber das funktioniert nicht bei mir. Wer was möchte, der muss auch etwas leisten und wenn es nur ein Lied singen ist.“ Wir laufen durch einen kleinen Hinterhof und kommen zu einer Wellblechhütte, die fünf Quadratmeter groß ist. Hier wohnt Ras. Der Raum ist sein Schlaf-, Wohn-, Ess- und Arbeitszimmer. In der einen Ecke steht das Bett, in der anderen die Staffelei mit einer großen Leinwand, auf der er gerade ein neues Gemälde angefangen hat. Er ist unglaublich talentiert.
Er hat früher in Harare Kunst verkauft, was nach dem wirtschaftlichen Zusammenbuch nicht mehr möglich ist. Es war ein Moment, in dem ich einfach leer im Kopf war. In dem ich nicht begreifen konnte, dass er so lebt. Ein Moment, in dem ich so stark die Ungerechtigkeit des Lebens gespürt habe. Ich war noch nie in einem Township. Ich habe mir immer vorgestellt, wie es da wohl sein könnte, aber es ist einfach etwas ganz anders, wenn man es erlebt. Wenn man da steht. Wenn man es sieht. Wenn man es gerne ändern möchte, aber dann nach draußen geht und 1.000 weitere dieser Hütten sieht und einem das alles wie ein Fass ohne Boden vorkommt. Und dann steht man da, als Weißer, und fühlt sich scheiße. Ja, ich habe mich irgendwie scheiße gefühlt. Weil ich nicht wollte, dass mich die Menschen hier als einen Tourist sehen, der kommt, sich das Elend anschaut und wieder geht. Ich bin gekommen, aber ich würde gerne etwas tun. Auch wenn es nur ein kleiner Teil ist. Ich habe ein wunderschönes Bild von einem Löwenkopf an Ras Wand hängen sehen.
So eines habe ich bei ihm bestellt. Von dem Erlös wird er einen Monat leben und einen Teil seiner Mutter in Zimbabwe schicken können. Und ich werde bald meinen Shop eröffnen und hoffe, dass ich ein paar Produkte von den Künstlern bei mir vorstellen und verkaufen kann. So kann jeder ein Stück beisteuern, damit das Leben ein bisschen besser wird für die Menschen dort.
Es sind nur kleine Schritte. Es sind nur wenige Menschen, denen ich damit ein bisschen helfen kann. Aber kleine Schritte sind besser, als am Platz stehen zu bleiben. Auch Pia macht diese kleinen Schritte. Wir fahren weiter zum „Weißen Haus“ in DRC, eine heruntergekommene Hütte, in der Rosi mit ihren 5 Kindern auf 10 Quadratmetern wohnt.
In Mondes gibt es noch Strom und Wasser. In DRC nichts davon. In Rosis kleine Tochter Desiree hat sich Pia verliebt. Sie bezahlt ihr seit zwei Jahren den Ballettunterricht. Zweimal die Woche darf Desiree raus aus ihrem Viertel und dem Elend. Dann steigt sie die Holztreppen der Tanzschule hoch und nimmt als einzige Schwarze aus Mosera am Unterricht teil. „Es ist Wahnsinn, wie sie sich entwickelt hat“, strahlt Pia. Aus dem schüchternen Mädchen, das vor zwei Jahren noch kaum gesprochen hat, ist eine selbstbewusste junge Dame geworden. In zwei Wochen wird sie ihre erste kleine Aufführung haben. Doch Desiree bekommt den Ballettunterricht nicht umsonst. Sie musste dafür ein Bild für Pia malen.
Jetzt sitze ich hier in meinem Hotelzimmer und ich will mich eigentlich scheiße fühlen und traurig sein, weil mir alles so Leid tut. Aber das ist der falsche Weg. Nur weil ich mich traurig fühle, wird niemanden geholfen, wird nichts geändert oder verbessert. Dieser Tag war ein Geschenk und die Begegnung mit Pia eine Chance. Es gibt viele Projekte, für die man spendet und nicht weiß, was mit seinem Geld passiert. In Mosera wurden beispielsweise 200 Häuser von einem Regierungsprojekt gebaut. Sie stehen alle leer, weil sie sich niemand leisten kann. Es gab Uneinigkeiten, keiner sagt genau, was wirklich los ist. Bei dem Blue Bank Projekt weiß ich wer was bekommt und es ist ein Geben und Nehmen. Für jede Spende gibt es ein Kunstwerk.
Die Idee zur Blue Bank Organisation ist Pia eines Tages auf einer blauen Bank in Swakop gekommen. Als sie mit Freunden darüber sprach, was wirklich wichtig im Leben ist und was sie gerne verändern und erreichen möchte. Wie so oft, wenn man eine neue Idee hat, wurde auch sie erst einmal belächelt. Jetzt verstehen ihre Freunde und Bekannten, was sie damit leistet.
Ihr Ziel ist es, Kindern mit und durch Kunst ein umweltfreundliches Bewusstsein zu vermitteln – mit Freude und Aktivität.
Wer gerne ein Stück dazu beitragen möchte, der kann Mitglied im Blue Bank Verein werden oder vor Ort helfen, wenn ihr in Namibia oder Indien seid. HIER GEHT ES ZUR BLUE BANK SEITE!
Ich hoffe, dass ich die Bilder auch bald in meinen Shop mit aufnehmen kann!
Kleine Schritte sind besser, als am Platz stehen zu bleiben.
3 comments
Ganz toller Beitrag und ich finde, dass du alles richtig gemacht hast, in dem du dich nicht schlecht gefühlt hast! Du hast darüber geschrieben und Menschen (wir mir) gezeigt, was es für tolle Projekte gibt, die es sich zu unterstützen lohnt!
Ich fände es klasse wenn du die Bilder im Shop verkaufen könntest! Gibt es einen sinnvolleren Grund, als seine Wohnung durch ein tolles Bild und einer helfenden Spende zu verschönern?
LG
Ja, ich muss nur noch ein paar Problemen lösen, aber dann wird es hoffentlich mit dem Shop klappen :)
Hallo Christine, ein toller Beitrag und eine super Idee mit dem Shop. Die Bilder und Kunstwerke schauen auch ganz toll aus, unglaublich wie talentiert die Menschen sind und mit wie wenig Ressourcen sie so tolle Kunstwerke schaffen. Ich hätte auf jeden Fall gerne so ein Kunstwerk!! LG Melanie