Wann haben wir die Ehrlichkeit verloren? Ich gebe zu, ich bin ein Schussel. Bei jeder sich ergebenden Gelegenheit schaffe ich es mit viel Dummheit und Geschick etwas liegen zu lassen oder zu verlieren. Und ja, ich gebe auch zu, dass ich meist selber dran Schuld bin. Vor allem, wenn ich 1000 Sachen im Kopf habe oder müde bin, wie nach Langstreckenflügen über Nacht. Da nehme ich im Anschluss gerne nur sechs anstatt meiner sieben Sachen mit. Meine Reisefrequenz ist proportional zu meiner Verlustquote. Manchmal wechsle ich in einer Woche sechsmal die Schlafstätte und jedes Mal muss ich von vorne alles durchgehen: Schlafanzug, Zahnbürste, Badeschlappen, Aufladegeräte … Oh ja, Aufladegeräte, da liegt die Verlustzahl sicher schon im zweistelligen Bereich. Auch sehr beliebt bei mir – Bikinis. Die lasse ich gerne in der Dusche, wo ich sie zum Trocknen aufgehängt habe, vergesse sie in der Umkleide des Schwimmbads oder auf dem Hotelbalkon.Ich war sonst immer mit Glück gesegnet. Dieses Jahr habe ich in San Francisco mein Handy im Taxi liegen gelassen und habe es wieder bekommen. Ich bin vor Freude im Dreieck gehüpft und hab mir ein Glas Champagner bestellt. Doch in letzter Zeit läuft es irgendwie nicht mehr so gut und ich frage mich, ob wir die Ehrlichkeit verloren haben? Die zwischenmenschliche Ehrlichkeit, die Bereitschaft und den Willen, anderen zu helfen bei einem Verlust. Ganz ehrlich, für mich gehört das strahlende Gesicht eines Menschen, der etwas verloren hat, was ich ihm wiedergeben kann, zu einen der schönsten Momenten. Wir machen alle Fehler, sind unaufmerksam und vergessen Sachen, aber bis jetzt hat mich der Glaube daran, dass der Finder bestimmt ein guter Mensch ist und genauso denkt wie ich, immer beruhigt und mir Hoffnung gegeben. Diese Hoffnung an das Gute im Menschen verschwindet zunehmend. Ein Schlüsselerlebnis, bei der sie zum ersten Mal ins Schwanken gekommen ist, war letztes Jahr beim Highfield Festival. Ich habe mich länger mit „Müllsammlern“ unterhalten. Das sind Festivalbesucher, die acht Stunden am Tag mit einer Greifzange über das Gelände laufen und für ausgerechnet vier Euro Stundenlohn plus Festivalticket arbeiten. Als ich sie fragte, ob sie alles abgeben, im Fundbüro, was sie so einsammeln und folgende Antwort bekam, war ich schockiert: „Ne, wir hoffen alle, dass wir ein iPhone finden und sich der Scheiss hier lohnt.“
Genauso frage ich mich, wie ein Bikini, den man im Hotelzimmer vergessen hat, nicht mehr auffindbar ist oder eine Jacke, die im Flugzeug liegen gelassen wurde.
Manchmal kann man den materiellen Wert gerade noch verkraften, aber den emotionale Wert ist unersetzbar. Ich habe einmal mein Notizbuch vergessen, mit allen Kontaktdaten von Menschen die ich während meiner Reise getroffen habe, meinen ganzen Gedanken und Eindrücken. Materieller Wert: vier Euro, emotionaler Wert: unbezahlbar.
Natürlich gibt es einen Anlass, dass ich gerade über das Thema Ehrlichkeit schreibe. Es geschah vor ein paar Tagen, als ich morgens um 7 nach neun Stunden Flug von Curacao nach Düsseldorf im völligem Delirium beim Zähneputzen und Kontaktlinsen-Einsetzen meine Brille auf der Toilette liegengelassen habe. Es war die erste schöne Brille, die ich mir gekauft habe. Ich hatte vorher zehn Jahre lang ein Modell von Aldi an der Kasse. Ich habe wirklich gespart auf diese Brille. Seit fünf Tagen rufe ich täglich im Fundbüro an, doch nichts. Keiner hat sie abgegeben. Es ist kein Gegenstand, den man für viel Geld, wie ein iPhone, verscherbeln könnte. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass jemand das Etui abgibt. Ich war mir schon fast sicher. Doch wahrscheinlich hat es irgendeine Putzfrau einfach in den Müll geworfen und inzwischen gammelt es zwischen blutigen OBs und Einwegzahnbürsten auf der Müllhalde vor sich hin. Und mit ihm durch die Schreddermaschine gleitet der Glaube an die Menschheit und die Ehrlichkeit.
Einmal habe ich einen Rucksack wieder bekommen, den ich unter dem Tisch im Zug vergessen habe. Warum? Weil die Passagiere dachten, es könnte eine Bombe drin sein. Vielleicht sollte ich meine Sache mit einem kleinen Sticker verzieren: Vorsicht Explosionsgefahr. Dann bekomme ich sie vielleicht wieder …
27 Kommentare
Da hat der Düsseldorfer Flughafen schon Erfahrung mit…
Ja das mit der Schusseligkeit kenne ich. Und bisher hab ich bei den wirklich wertvollen Sachen immer das Glück der Dummen gehabt. Mag sein das das daran liegt, das ich die vor abreise immer noch mal im Kopf durchgehe. Aber du hast recht, so ne Brille… Vielleicht liegt die ja im Pausenzimmer der Putzis… Gibts da nicht die Möglichkeit irgendwie dran zu kommen?
Ich kann da nur täglich anrufen :(
Vielleicht taucht die Brille noch auf. Ich drücke die Daumen!
Ich habe letztens auch meinen Rucksack inkl. Reisetagebuch in der S-Bahn liegen lassen und zehn Tage später bekam ich eine Mail vom Fundbüro!
Mich kann aber keiner Anrufen, weil die Brille keine Telefonnummer hat :(
So ein Ärger… :( Das Problem an Flughäfen: Aus Sicherheitsgründen wird alles, was liegen gelassen wird, entsorgt. Scheint bei nem Brillenetui lächerlich, ist aber leider Vorschrift.
Im Flieger ist es so: Wenn die Crew nicht lange genug an Bord ist, um gefundene Gegenstände mit Angabe des Sitzplatzes dem Ramp Agenten zu übergeben, verschwindet das meiste einfach, traurig aber wahr. Wenn es überhaupt erstmal gefunden wird – wer mal darauf achtet wie ein Flieger nach neun Stunden Flug aussieht wird verstehen, dass wir (müde wie wir dann sind) auf unserem Alle-von-Bord-Check einen vergessenen Pulli der sich mit der Decke verschwurbelt hat leicht übersehen.
Die Aussage der Müllsammler ärgert mich so richtig! Noch trauriger: Mir wurde mal auf meiner eigenen WG-Party die Kamera geklaut. Da glaubt man auch nix mehr…
Oh nein!!!! Warum gibt es dann ein Fundbüro, wenn alles entsorgt wird? Das mit der Kamera ist wirklich bitter …
Das mit der Brille tut mir leid…nicht nur der finanzielle Wert…auch die Zeit, das richtige Modell zu finden…
Eine ganz andere Erfahrung haben da Bekannte von mir aus dem fernen Asien gemacht. Auf einer Deutschlandreise. Erste Station – natürlich Neuschwanstein. Zweite – München. Hier angekommen haben sie festgestellt, die Reisekasse ist weg. Ein Umschlag mit 4500 Euro + Flugtickets. Wie clever es ist, alles in einen Umschlag zu verstecken und den zu verlieren, lässt sich sicher auch trefflich diskutieren :)
Anrufe im Hotel in Füssen – nö, nix gefunden.
Zwei Tage später meldet sich ein Amerikaner im Hotel im München. Er hätte da einen Umschlag mit Geld und Flugtickets…und erfreulicherweise auch einen Zettel mit den Hotelbuchungen. Damit ist er schnell in seinen Mietwagen gestiegen, nach München gefahren, um den Leuten Geld und Tickets zurückzugeben. „That much money, should only be delivered personally“. Dafür hat er einen halben Tag Zeit geopfert und jeden Finderlohn abgelehnt. Lediglich einen 20ziger fürs Benzin genommen.
Das kommt erfreulicherweise auch noch vor!
DAs ist mein Held des Tages!!! Verrückt!!!
Herzlich willkommen im Club! Ich bin auch so ’ne Schusselnase und am Ende kommt mir immer eines in den Sinn: Hätte ich mir doch einfach mehr Zeit genommen für diese kleine Minute Achtsamkeit mir selbst gegenüber… Und hätten sich die anderen doch nur ein klitzewenig mehr Zeit genommen für den Weg ins Fundbüro… Aber die Uhren der heutigen Zeit ticken irgendwie zu schnell, um sich für die eigentliche Selbstverständlichkeit der Mitmenschlichkeit eine Extraminute zu gönnen… Viel Glück mit der Brille!
Dazu zwei Anekdoten:
1. Mein iPhone ist mir vor einigen Monaten aus der Fahrradhalterung gefallen. Es fiel mir einen Block später auf. Und es war weg. Vermutlich unter ein Auto gerutscht. Ich bin die drei Minuten zurück ins Büro gefahren, habe Find my iPhone angeworfen und es war noch am Leben und funkte seinen Standort zurück. Die Polizeiwache einige Blocks entfernt. Es hat also jemand in diesen wenigen Minuten gefunden und zur Polizei gefahren. Ich habe es – in entsprechend schlechtem Zustand – abgeholt und bei Apple tauschen können. Tausend Dank!
2. Vorgestern. Pizzabäcker. „Kann ich mit EC-Karte zahlen?“ „Nein. Dafür sind wir zu klein. Aber zahlen Sie doch einfach, wenn Sie das nächste Mal hier sind!“ #WTF Und natürlich gehe ich heute hin und bezahle.
Dagegen mal im Urlaub einem 20 Euro gegeben, der angeblich irgendwelche Ticketprobleme hatte. Habe das Geld nicht wieder gesehen.
Aber ja, ich glaube immer noch an das Gute. Ich möchte Leuten, auch Fremden, vertrauen können. Denn die Welt ist kein besserer Ort, wenn ich allen feindselig gegenüber trete.
Ich muss das unbedingt auch machen mit dem Find my iPhone. Ist das eine App?
Als ich vor ein paar Wochen mit dem Taxi zum Hotel gefahren bin, ist mir die Kreditkarte und etwas Geld aus der Hosentasche gerutscht. Und das ausgerechnet am Anfang meiner Reise in Asien.
Ich hatte das ganze gar nicht bemerkt und hab vor dem Hotel noch in Ruhe geraucht, als der Taxifahrer ganz aufgeregt zurückgefahren kam und mir alles zurückgegeben hat.
In dem Moment hat es mich wirklich überrascht wie ehrlich doch ein Taxifahrer ist, mit dem ich vorher noch hartnäckig um den Fahrpreis gefeilscht habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier in Deutschland weder das Geld noch meine Kreditkarte jemals wiedergesehen hätte.
Hallo Christine
Ja es gibt eine App zum finden des Iphones:
https://itunes.apple.com/de/app/mein-iphone-suchen/id376101648
Mit der App sind folgende Sachen möglich:
Lokalisieren des Iphone’s
Sperren des Iphones aus der Ferne mit einblenden einer Nachricht z.B. vom Mac aus.
Daten auf dem Gerät löschen aus der Ferne.
Du siehst die Möglichkeiten sind vielfältig.
L.G.
Matthias
Super! Wird sofort aktiviert!
Manchmal verfangen sich auch Gegenstände, die einem lieb und wichtig sind, weil man sie von einem guten Freund bekommen hat, in den Haaren einer Freundin, die man verabschiedet.
Durch Glück und Zufall fällt dieser Gegenstand dann auf dem Flughafen aus den Haaren vor die Füße dieser besagten Person und man bekommt dieses liebgewonnene Teil tatsächlich zurück, obwohl man es schon verloren geglaubt hatte. Das ist mir tatsächlich vor ein paar Monaten passiert ;-)
Ich hoffe, Du bekommst die Brille wieder !!
Stimmt! Der Flughafen Düsseldorf hat es in sich. Es wird verloren und gefunden ;)
Ich habe auch schon öfter auf einem Festival ein Handy gefunden. Dabei habe ich an die Kontakte „Mama“und „Papa“ plus die am meisten genutzen Anrufer eine SMS geschickt, wo das Handy abgeholt werden kann. Es hat sich gelohnt. 2 Bier waren jedesmal Frei :-)
Sehr vorbildlich!
Guck mal nach „bring me back“!
Wo soll ich nachgucken?
Haben wir die Ehrlichkeit verloren oder das Glücksgefühl dabei, jemandem eine Freude zu machen? Wir werfen Dinge weg, weil wir uns keine Mühe mehr geben. Das betrifft leider nicht nur das Finden von Dingen sondern so viele Situationen mehr. Schade. Aber umso schöner, wenn es Ausnahmen gibt. Übrigens passieren einem die guten Situationen mit Kinderwagen wesentlich häufiger! Dafür hat man zehn Jahre später eventuell den Oberschussel der Welt zu Hause ;-) Ich spreche aus sehr Erfahrung und in Echtzeit!
Mit den Koffern die Treppe hoch hilft auch kein Schwein mehr …
Mh, ich habe schon solche und solche Erfahrungen gemacht. Mir wurde mal im Freibad mein ganzes Zeug geklaut (obwohl ich wirklich nichts wertvolles dabei hatte) – doofes Gefühl wenn man im Bikini aus dem Wasser kommt und nicht mal mehr ein Handtuch hat. (ja, klauen und liegen lassen ist was anderes…aber trotzdem!)
Ich habe aber trotzdem nie den guten Glauben an die Menschen verloren und schon wirklich viel gefunden. An der Uni zbsp ein guter ipod und mitten in Wien ein damals nagelneues super teures Smartphone. Leider konnte ich es aufgrund des Pins nicht einschalten, aber ich habe es natürlich zum Fundbüro gebracht und dort wurde es dann auch vom Besitzer abgeholt. Ich habe auch schon entsperrte Sim-Karten gefunden, bei denen ich jedesmal den Besitzer hab auffindig machen können und die Karte zurück geben hab können. In Australien habe ich mal meine Kamera beim Abendessen in einem Hostel liegen lassen und sie wurde am nächsten Tag an der Rezeption abgeben. Ich hoffe einfach immer darauf – wenn ich ehrlich bin sind es die anderen auch :)
Erst einmal, schade zu hören mit deiner Brille.
Nun zu meinen 2. Erlebnissen
1. Kurz nach Feierabend auf dem Weg zum Bus finde ich ein sehr teures Smartphone. Nimm es mit und will es später bei der Polizei abgeben. Spontan ruft die Mutter des Besitzers an, trotz Zweifel, gehe ich ran und sag ihr was passiert ist. Sohn kommt am nächsten Tag sein Smartphone abholen, ohne irgendeine Belohnung. Eine Tafel Schokolade hätte ja schon gereicht.
2. Große Menge an Geld im Zug in der 1. Klasse gefunden. Eine ältere Dame traut wohl den Banken nicht oder hat Geld aus der Schweiz geholt. Ich weiß es nicht. Jedenfalls war auch ein Schreiben mit ihrer Adresse in Deutschland dabei. Daraufhin ihr einen Brief geschrieben und am Ende meiner Geschäftsreise in München übergeben und ein sehr großes Trinkgeld bekommen.
Unsere Ehrlichkeit verloren? Vor knapp 100 Jahren… als wir unser schönes Deutschland gegen den Müll alla Weimarer Republik und was seitdem Leider darauf gefolgt ist eingetauscht haben oder besser tauschen/unterjubeln haben lassen. Seitdem ist dieses wunderbare Land Namens „BRD“ aka Banana-Republik auf dem Plan und alle verkaufen Ihre Menschlichkeit für ein paar Monopoly €.
Übrigens Klasse Sachen die du machst, Mama kann stolz auf dich sein ;)
Für die Müllsammler oder all die abzockenden Taxifahrer oder Verkäufer in fremden Ländern habe ich noch Restverständnis. Wer weiß, wie nötig sie das Geld haben, wer weiß, wen sie versorgen müssen. Die verlorene Ehrlichkeit fällt mir aber noch mehr bei großen Unternehmen auf. Wie oft ist es mir passiert, dass ich im Internet Geld verloren habe. Dass ich Dinge doppelt bezahlt oder nie bekommen habe. Wie oft passiert es, dass alten Menschen Telefonverträge oder Bankpapiere verkauft werden, die sie ruinieren. Alles Dinge, für die normale Menschen sich schämen würden, diesen Unternehmen wird aber eine Maske gegeben, hinter der sie sich alles trauen. Sie verstecken sich hinter ausgeklügelten AGBs, die sie perfekt davor schützt, je für ihre Fehler gerade zu stehen….Ich gehe z.B. inzwischen wieder zu Reisebüros, statt meine Flüge im Netz zu buchen, dort spricht man auch mit mir
Da hast du vollkommen Recht! Mehr kann ich dem gar nicht hinzufügen. Wenn es darum geht alte Menschen auszunehmen, hört bei mir auch der Spaß total auf.