„Wann hattest du das letzte Mal Angst?“, frage ich. Sara schaut aus dem Fenster und kratzt sich an der Backe. Sie überlegt angestrengt. Der Moment scheint sehr lange her zu sein.
Ich habe eigentlich ständig Angst. Das letzte Mal, als ich in den Flieger gestiegen bin, im Urlaub beim Schnorcheln, zu Hause vor Spinnen, die in der Zimmerecke sitzen, beim Fischessen vor Gräten an denen ich ersticken könnte, auf der Autobahn vor Geisterfahrern… Die Angst im Alltag ist mein ständiger Begleiter.
Die Meisten denken ich sei furchtlos, weil ich so viel reise und ganz oft allein. In Wahrheit bin ich der größte Schisser und das größte Abenteuer für mich ist das tägliche Leben zu meistern, denn jeden Tag kämpfe ich gegen irgendeine dämliche Angst an und das kostet eine Menge Energie, aber es lohnt sich.
Ich habe mich oft gefragt, woher diese ganzen dämlichen Ängste kommen? Für die Angst vor tiefem Wasser mache ich den Film „Der weiße Hai“ verantwortlich, den ich viel zu früh sehen durfte. Am Rest ist meine Mama vielleicht ein bisschen schuld. Sie ist die ängstlichste Person, die ich kenne und wenn man 18 Jahre lang immer gesagt bekommt, was alles gefährlich ist, dann glaubt man das auch irgendwann im Unterbewusstsein. Hier ein kleiner Auszug aus einem Telefonat mit ihr.
Berlin, Freitag, 22 Uhr, Simon-Dach-Straße
„Hallo Mama.“
„Hallo. Wo bist du denn? Es ist so laut im Hintergrund.“
„Ich laufe gerade nach Hause.“
„Was so spät läufst du noch draußen rum? Da kann doch was passieren.“
„Mama, es ist 22 Uhr und ich bin in Berlin. Es sind 100 Menschen um mich herum. Was soll denn da passieren?“
Ich frage mich jedes Mal, wie sie meine ganzen Reisen übersteht, ohne einen Herzstillstand zu bekommen und manchmal würde ich mir wünschen, dass sie etwas entspannter wäre und weniger Angst um mich hätte. Die kleinen Ängste des Lebens habe ich mittlerweile in den Griff bekommen. Zwar rufe ich immer noch bei Freunden an oder klingel beim Nachbar, wenn ein Weberknecht in meinem Zimmer sitzt, aber zum Beispiel beim Fliegen kann ich komplett aufhören zu denken.
Doch eine Angst, steht mir immer noch quer – die Verlustangst.
Kaufe ich mir einen neuen Schal, habe ich Angst ihn liegenzulassen. Habe ich ein neues Handy, habe ich Angst es zu verlieren und schaue jede 5 Minuten, wo es ist. Habe ich Erfolg, fürchte ich mich vor der Zeit, in der nichts passiert und Glück, Glück kann ich nur sehr schwer genießen, weil ich weiß es ist nicht von Dauer und schneller weg, als ich schauen kann. Eigentlich sollte ich es genau deswegen genießen. Am meisten Angst habe ich aber davor Menschen zu verlieren. Als Kind habe ich jeden Tag zum lieben Gott gebeten, dass er mir nicht meine Mama und meinen Papa wegnehmen darf. Ich habe auch Angst Freunde zu verlieren. Bei richtig guten fühlt es sich an, als würde eine Beziehung kaputt gehen. Da wird einem ein Stück Herz abgeschnitten und man denkt die erste Zeit, man verblutet.
Obwohl ich solch eine Verlustangst habe, bin ich kein Klammeraffe. Im Gegenteil. Meistens lasse ich die Menschen nur so nah an mich ran, dass ich mir auch ein Leben ohne sie vorstellen könnte ohne jedes Mal Angst haben zu müssen, dass ich innerlich verblute. Das ist eine Art Schutzmechanismus, sonst würde ich glaube ich verrückt werden. Aber natürlich gibt es viele, welche die Sicherheitslinie überschreiten und zwischen Hohlvenen und Lungenaterie in meiner linken Herzkammer sitzen. Um diese Menschen, habe ich unglaubliche Angst.
„Als ich auf Bali im Krankenhaus lag und fast an Dengue gestorben wäre. Ja, da hatte ich das letzte Mal richtig Angst“, sagt Sara schließlich.
„Und gerade eben? Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es sein wird, wenn dein Freund es nicht überlebt?“
Sara nimmt einen Schluck von ihrem Apfelsaft, naturtrüb, und schaut wieder aus dem Fenster. Wir sitzen im 25hours Hotel in der 10.Etage. Unter uns ist der Zoo. Ich sehe Rehe durch das Gehege marschieren, die Elefanten aus der Ferne und ab und zu so einen roten Pavianarsch. Ich frage mich oft, ob man sich damit auseinandersetzen sollte, dass es manche Menschen vielleicht irgendwann nicht mehr geben wird. Ob man einmal durch das Szenario gehen sollte, sich vorzustellen, wie es ohne sie wäre. Ich habe das versucht und ich musste das erste Mal weinen, als ich mir das vorgestellt habe und auch beim zwanzigsten Mal.
„Nein, habe ich nicht. Das einzige was mich nervös macht ist, dass er mir so wenig erzählt. Ich muss ihm alles aus der Nase ziehen. Ich habe Angst, dass er irgendwann anruft und sagt, dass er jetzt im Flieger Richtung Sudan oder sonst wohin sitzt“
Sara ist 24 Jahre alt. Nach viele Monaten als Single und zwei Typen, die ihr eher den Glauben an die Liebe genommen haben, kam Alex in ihr Leben. Alex ist Kriegsjournalist und um seine Karriere nach vorne zu bringen und sozusagen den Durchbruch als Kriegsjournalist zu schaffen, will er in den Sudan.
„Hat er dich gefragt, ob du damit einverstanden bist?“, will ich wissen. Schließlich ist das eine ganz schöne Belastung. Ich habe schon Angst, wenn mein Freund im Winter betrunken nach Hause läuft. Er könnte stolpern und im Graben erfrieren. Sie muss Angst haben, dass er trotz kugelsicherer Weste von einer Granate getroffen wird.
„Nein, er hat mich nicht gefragt. Es ist sein Job. Das muss man verstehen. Ich kann ihm ja nicht verbieten seinem Job nachzugehen. Ich würde mir auch nie das Reisen verbieten lassen.“
Mitte Mai soll es für Alex losgehen. Er wartet noch die Zusage von der UN ab. Ohne Schutz kann er nicht in den Sudan. Er möchte dort in Flüchtlingslager und aufdecken, was noch nie einer gesehen hat. Sara wird dann seine Notfallperson. Er bekommt einen Ausweis, den er immer bei sich tragen muss. Wenn was passiert, stehen dort Saras Kontaktdaten drauf. Internet wird es keines geben und will er auch nicht haben, damit er nicht getrackt werden kann. Schließlich ist er inkognito unterwegs. Aber im Lager wird es ein Funktelefon geben. Zu bestimmten Uhrzeiten können sie sich dort verabreden und telefonieren.
„Und was ist, wenn er nicht zum vereinbarten Zeitpunkt da ist?“, frage ich weiter. Ich hasse es diese Fragen zu stellen, die eigentlich nur Panik und Angst in einen auslösen können, aber ich möchte es wissen.
„Ich glaube, ich hätte einen Schock. Ich wüsste nicht, was ich tun soll. Mal eben in den Sudan fliegen und schauen, was los ist, geht eben nicht. Ich wüsste auch nicht zu wem ich gehen könnte. Es versteht keiner wirklich die Situation. Meine Freundinnen meinen: Fahr doch mit, du magst doch reisen.“
Schon allein wenn ich mich in Saras Situation versetze, bekomme ich bei den Gedanken, dass mein Freund in ein Kriegsgebiet fährt, feuchte Augen und mein Herz schlägt schneller. Doch sie erzählt das alles ganz ruhig und gelassen. Angst hat sie selten. Das hat sie sicher auch von ihrer Mutter. Ihre Mutter ist zwar auch ängstlich, aber dadurch, dass sie alleinerziehende Mutter war, hat sie immer die Starke gespielt, die alles allein schafft und unter Kontrolle hat und diese Rolle hat auch Sara eingenommen.
Was ist eigentlich Angst? Und wann bekommen wir sie? Ich denke einerseits ist es der Verlust von Kontrolle. Ich hätte immer mehr Angst davor, dass andere krank werden anstatt ich, weil ich denke, ich schaff das schon. Ich bekomme das wieder hin. Ich habe Willen, wie ein Wildschwein Borsten. Aber bei anderen fühle ich mich hilflos. „Hat Alex denn manchmal um dich Angst?“, will ich wissen. Bis jetzt habe ich von ihm eher das Bild des gefühllosen Egoisten im Kopf.
„Ja, unglaublich viel. Er liebt das Gefährliche, er steht darauf eine kugelsichere Weste zu tragen und mitten im Kriegsgebiet zu stehen und darüber zu berichten. Er kennt keine Angst, wenn es um sein Leben geht. Das hängt bestimmt damit zusammen, dass er selbst schon angeschossen wurde und fast gestorben ist. Da wird man vielleicht härter.“
Ich starre Sara mit offenen Mund an. „Er hat es ja überlebt“, versucht sie mich zu beruhigen. „Dafür hat er unglaubliche Angst um mich“, sagt Sara.
Wir bestellen uns beide noch einen Chocolate Brownie und einen Espresso und beobachten zwei weiße Störche in den Bäumen. Irgendwie habe ich heute als Therapeut versagt. Vielleicht, weil mich das Thema viel zu sehr selbst beschäftigt.
Die kommenden Tage habe ich noch viel über die Angst nachgedacht. Ist sie gut? Ist sie schlecht? Was macht sie mit uns? Die Todesangst scheint Menschen zu verändern. Sie schafft es ihnen die Endlichkeit des Lebens vor Augen zu führen, aber sie lässt sich auch leichtsinnig mit dem Leben umgehen.
Ich habe Angst immer eher negativ gesehen und mir immer gewünscht, dass meine Mutter weniger Angst um mich hat. Das nehme ich zurück. Ich denke nämlich, dass Angst auch immer etwas mit Liebe zu tun hat. Wo keine Liebe ist, da gibt es auch keine Angst. Ich liebe mein Leben, also habe ich Angst mit dem Flugzeug abzustürzen oder vom Hai aufgefressen zu werden. Ich liebe meine Familie, also habe ich Angst sie zu verlieren. Angst hat auch ihre gute Seiten. Sie zeigt uns was und wen wir lieben. Es gibt also fast keine schönere Liebeserklärung als: Ich habe Angst um dich, pass auf.
1 Kommentar
Das ist ein so inspirierender Artikel. DANKE!