Der Umgang mit Obdachlosen wird uns nicht gerade in die Wiege gelegt oder sonst irgendwo beigebracht. Deswegen ist es verständlich, wenn jeder seine eigene Haltung dazu hat. Meistens gibt es auch gar keine Haltung dazu, sondern es wird nur weggeschaut. Wie ein kleines Erlebnis meine Wahrnehmung verändert hat, lest ihr hier:
Vor einiger Zeit ging ich mal in den Supermarkt. Zu der Zeit saß dort regelmäßig ein Obdachloser, der sein Becherchen vor sich aufgestellt hatte und auf spendable Passanten hoffte. Wie ich mein klappriges Rad so an den Baum lehnte, erlebte ich einen bemerkenswerten Moment. Eine ganz normale Frau, so Ende 30, brünett, holte etwas aus ihrem Kofferraum. Dabei rief sie dem Mann auf dem Gehweg freudig zu, in etwa so, wie man einem guten Bekannten zuruft, wenn man ihn mal wieder sieht: „Hey, naa! Wie geht’s dir! Soll ich dir was mitbringen? Willst du ´n Eis haben?“. Das rief sie so ausgelassen mit einem Lächeln auf den Lippen, als wäre es das normalste der Welt. Ich fand das komisch und schön zugleich und ging irritiert in den Laden.
Fotoquelle: wirtschaftsgott.com
Vor allem war ich von meiner Irritation irritiert. Dann aber wieder davon, dass die Frau so übertrieben normal und fröhlich geredet hatte, dass ich es fast schon naiv und ignorant von ihr fand, dem Mann ein Eis mitbringen zu wollen. Er ist ja schließlich kein Kind, sondern ein Bedürftiger, mit anderen Nöten. Dann ärgerte ich mich wieder, dass ich so in Schubladen dachte. Wie ihr merkt, hat mich das Thema ziemlich beschäftigt.
In Berlin hat Christine mal eine Führung mitgemacht: Da hat ein ehemaliger Obdachloser (ein ehemaliger Top-Manager!!) die Teilnehmer in die Welt der Obdachlosen herangeführt. Ich glaube, da sagte er, das schlimme sei das „Wegschauen“.
Das Erlebnis vor dem Supermarkt und meine Gedanken dazu haben mich inspiriert. Als ich neulich ein Kuchenstück dabei hatte und zufällig am Supermarkt vorbei fuhr, machte es klick. Ich hielt kurz an und gab dem Mann mit dem Becherchen meinen Kuchen. Der dankte vielmals und dann fuhr ich weiter. Das ganze erschien irgendwie wie so eine völlig normale Situation, dass es mir jetzt schon wieder unnormal vorkommt.
Etwas verkrampfter war hingegen die Situation, als ich dem Obdachlosen auf meinem täglichen Uniweg etwas mitbringen wollte. Jeden Tag sehe ich ihn dort knien, wie bei der Beichte. Bequem sieht das nicht aus. Eigentlich halte ich manchmal kurz an, und gebe ihm mein Wechselgeld. Neulich dann wollte ich ihn fragen, ob ich ihm etwas zu essen mitbringen darf. Als klar wurde, dass er nicht meine Sprache spricht, stand ich vor der Herausforderung, mir selbst zu überlegen was ihm Freude bereiten würde. Unsicher entschied ich mich für ein Schinken-Käse-Brötchen. Als ich zu ihm zurück fuhr, hatte er einen rührenden kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen. Als er das Brötchen sah, konnte er gar nicht mehr aufhören Danke zu sagen.
Vielleicht muss man dazu sagen, dass ich in München wohne, und Obdachlose in wesentlich geringerer Zahl präsent sind, als in anderen Großstädten. In der Woche sehe ich, je nach Weg, vielleicht 4 von Ihnen. Wenn´s hoch kommt!
Aber es ist doch interessant, dass es manchmal eben nur einen kleinen Anstoß braucht, um ein bisschen mehr auf seine Umgebung zu achten. Selten hätte ich mir zuvor eine solche Situation vorgestellt. Ich fand es schön, ihm durch diese Geste irgendwie respektvoll begegnen zu können, statt mit einem verstohlenen Blick meine 20 Cent einzuwerfen oder gar so zu tun, als würde ich ihn nicht sehen.
9 Kommentare
Es ist so schön, wenn man ihnen etwas mitbringt. Diese Dankbarkeit von ihnen macht mich jedes mal glücklich geholfen zu haben (auch wenn ich es wohl viel zu selten tue), wenigstens ein kleines bisschen. Leider gibt’s ja in Berlin so viele obdachlose Menschen. Manche wollen auch nur Geld für Suff aber die meisten sind mit einem Brötchen sehr zufrieden :-)
Noch mehr Menschen sollten lernen, nicht wegzusehen. Gerade in der kalten Jahreszeit freuen sich viele obdachlose Menschen über eine warme Mahlzeit oder auch nur ein heißes Getränk. Auch ein paar nette Worte tun den Menschen gut, denn schließlich steckt hinter diesem Schicksal oftmals eine traurige Geschichte.
Genau das ist das Problem, wenn ich jemanden Geld zustecke, woher weiß ich denn dann ob sie es nicht für Alkohol und Tabak ausgeben? Denn dafür ist mir meine Spende zu Schade!
Und wenn man wirklich mal über seinen Schatten springt und frägt ob man was zu essen mitbringen soll, erhielt ich schon oft die Antwort “nö lieber geld!”
Von daher bin ich etwas vorbelastet, aber dennoch ein sehr schöner Beitrag!
Aber das musst du auch akzeptieren, dass er es vielleicht für Tabak oder Alkohol ausgibt. Wenn du ihm was gibst musst du damit einverstanden sein, dass er damit machen kann, was er will.
Super super super! Echt ganz toll! Ich bin inzwischen von München aufs Land gezogen und hier gibt es überhaupt keine Obdachlosen – wahrscheinlich erschrecke ich das nächste Mal über so viel Realität zu Tode, wenn ich einen sehe. Und wenn sich meine von Idylle versauten Landnerven wieder beruhigt haben, will ich genau das machen, was du getan hast.
Wobei ich als Kind einmal einen Aha-Moment hatte: Meine Mutter, mein Bruder und ich kamen gerade vom Bäcker mit frischen Brezeln, als wir neben uns auf dem Boden einen Obdachlosen mit einem Schild “Ich habe Hunger” sahen. Ich bestand darauf, dass wir ihm unsere Brezeln schenkten und dachte, er würde sich bestimmt freuen. Doch er nahm sie murrend an, packte sie in eine Tüte hinter sich, die voller Lebensmittel waren und war sauer, dass wir ihm kein Geld gaben. Danach habe ich mich nie wieder getraut, einem Obdachlosen Essen zu geben. Aber ich werde es wieder versuchen! Danke für den Anstoß und überhaupt die tollen Doppelglück Geschichten!
Ja, solche Erlebnisse sind echt blöd…
Super dass du dir Gedanken machst!!!
Kleiner Tipp noch am Rande: Statt einem fertig belegten Brötchen einfach ein ganzes Brot + eine Packung Schinken + eine Packung Käse! Billiger für dich und der Obdachlose hat 3-4 Malzeiten :)
Und in der kalten Jahreszeit freut sich jeder über einen heissen Tee oder Kaffee :)
auch mir hat dein Beitrag gut gefallen, wobei ich da eher Julias Meinung bin. Ich arbeite in Heidelberg und werde jeden Tag von denselben Menschen um Zigaretten gebeten. Man sieht sie dort zu jeder Tageszeit mit ihren Kindern sitzen. Wenn man ablehnt, wird man beleidigt. Ich habe daraus geschlossen, dass es überall solche und solche gibt. Zudem glaube ich, richtige Obdachlose schnorren dich nicht an. Sie sitzen eher still an der Straße mit ihren Becher. Vielleicht um nicht wirklich aufzufallen, da es ihnen peinlich ist und doch soviel aufzufallen um etwas Geld zu bekommen. Klar, es ist immer schön zu geben und zu teilen. Muss man aber wirklich ein schlechtes Gewissen haben, wenn man mal nichts gibt? Es gibt auch Einrichtungen, an denen sich Obdachlose wenden können.