Meine Reise nach Lappland, in die sogenannte „letzte Wildnis Europas“, hat mich eines endlich wieder fühlen lassen: meine Verbindung zur Natur und im tieferen Sinne zur Erde. Lest hier meinen tiefenentspannten Bericht zur Kultur und Seele Lapplands. Und meinen Weg zur inneren Entschleunigung in Lappland.
Entschleunigung in Lappland: die innere Uhr auf reset
Im hohen Norden, im schwedischen Teil Lapplands, blinzele ich erstmal ins mittägliche Sonnenlicht, das golden über dem Flughafen in Arvidsjaur liegt. Ich atme klare, kalte und wahnsinnig frische Luft, während ich die Flugzeugcrew beobachte, die gutgelaunt einen Plausch auf der Flugzeugtreppe hält. Niemand scheucht uns schnell vom Flugfeld, meine Uhren laufen augenblicklich langsamer.
Und sobald wir den Flughafen hinter uns lassen beginnt sie: die schwedische Weite. Egal aus welchem Autofenster ich auf unserer Fahrt nach Svansele schaue, überall Bäume soweit das Auge reicht, Hügellandschaften in der Ferne, alles von Schnee bedeckt und darüber ein kaltblauer Himmel und Sonnenlicht. Ab und an biegen wir ab, doch die Szenerie bleibt gleich. Die Straße streckt sich vor uns gen Horizont, selten kommt uns ein einzelnes Fahrzeug entgegen, das Radio bleibt aus.
Ich Stadtkind genieße die Weite, das Schweifen meiner Gedanken, die monotone Landschaft, die sich nur minimal verändert: mal eine Freifläche, mal ein Tannenwald zwischen all den Birken, ganz selten ein einzelnes rotes Holzhaus. Entschleunigung in Lappland beginnt mit den Augen.
Es geht nach Svansele, ein Dorf mit etwa 70 Einwohnern, wo wir im Basiscamp des „Wilderness Center“ Thorbjörn kennenlernen.
Entschleunigung in Lappland: klare Luft, klares Wasser, saubere Ernährung
Zur Begrüßung und als Stärkung vor der ersten Snowmobil-Tour gibt es Elch und Rentier vom offenen Feuer, dazu Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln, alles pur, nur etwas Salz, mehr braucht es hier nicht. Es gibt keine industrielle Verschmutzung, die Seen und Bäche sind so klar und sauber wie die Luft, die Tiere, die nun auf meinem Teller liegen, haben sich ihr Leben lang von unverarbeitetem Essen ernährt und sind nun vermutlich das unbelastetste Essen, das ich je gegessen habe. Die kommenden Tage wird mir noch des Öfteren frisches Wild serviert, meist begleitet von selbst gemachter Beerenkonfitüre, manchmal gibt es auch frischen Lachs. Ich versuche auf Reisen immer die lokale Küche zu probieren, da Essenskultur für mich zum Gesamteindruck einer Region unbedingt dazu gehört. Oftmals steht für meinen Geschmack zu viel Fleisch, zu viele Tierprodukte auf dem Speiseplan und während ich in Berlin sehr bewusst und eher selten Fleisch esse, verschafft mir Lappland völlig neue Gedanken zum Thema „Vegetarismus/Veganismus“.
Entschleunigung in Lappland: „to meat or not to meat?“
Die Foodkultur in Lappland ist vielleicht nicht die aufregendste, aber dafür mit Sicherheit die „ehrlichste“ und die „natürlichste“ Art sich entsprechend seines Lebensraums zu ernähren.
Aufgrund der sehr kalten Winter braucht man keine Pestizide, da die meisten Schädlinge einfach nicht existieren. Pflanzen, Früchte und Tiere wachsen und leben in sauberer und gesunder Natur und entwickeln dadurch intensive natürliche Aromen, die keiner weiteren Würze bedürfen. Alles wächst in seinem natürlichen Tempo, der Mensch greift nicht ein, um besonders reich zu ernten oder besonders große Tiere zu züchten. Diese rohen und gesunden Zutaten landen direkt auf dem Teller, die Speisen sind so weit von „processed food“ entfernt wie es nur möglich ist. Das Fleisch von Rentieren und Elchen, die frei in der Wildnis gelebt haben, ist fettarm und durch zahlreiche Mineralien und Vitamine so gesund wie geschmackvoll. Als Beilagen oder Getränk finden sich die verschiedenen Superbeeren, die hier ganz natürlich vorkommen: Preiselbeere, Moltebeere, Heidelbeere und Sanddorn.
Gekocht und gebraten werden Fleisch, Fisch und Gemüse auf einer „Muurikka Griddle Pan“, einer flachen, sehr großen Pfanne aus warmgewalzten Stahl. Diese wird über das offene Feuer gedreht, die Gerichte behalten ihren natürlichen Saft, werden zart ohne auszutrocknen. Neben Preiselbeerschorle, die wir so gut wie überall zum Essen serviert bekommen, gibt es hier eine ganz eigene Kaffeetradition. Der gemahlene Kaffee wird in gusseisernen Kannen mit Wasser aufgegossen und anschließend direkt aufs Feuer gestellt. Nach ein paar Minuten stellt man die Kanne beiseite, lässt das Gebräu kurz auskühlen, um es anschließend wieder zu erhitzen. Abkühlen, erhitzen, ein paar Mal im Wechsel, bis der Kaffeemeister aus seiner Erfahrung weiß, dass der sogenannte „pot boiled coffee“ nun perfekt ist. Zum Kaffee reicht man Zimtschnecken oder den berühmten Västerbotten Käse, den man in den Kaffee tunkt. Wer sich ein wenig mehr zutraut, kann auch ein Stück Rentier-Herz oder Zunge in seiner Kåsa (einem Trinkgefäß aus Birkenholz) versenken, aber Vorsicht: Nach einem alten Samí-Brauch darf man niemals die Zungenspitze verspeisen, andererseits könnte man sich in einen Lügner verwandeln!
Auch ohne diese traditionelle Kaffeezeit kennengelernt zu haben, hat mir der Einblick in die Ernährung der Samen und Lappländer ausgereicht, um über stoisch formulierte Aussagen wie „Vegetarismus ist besser für die Welt“ neu nachzudenken. In Lappland werden jedes Jahr etwa 100.000 Rentiere geschossen. Das ist ungefähr ein Drittel der Gesamtpopulation. Was auf den ersten Blick erschütternd klingt, lasse ich mir von echten Nachfahren der Samen erläutern und so erfahre ich: Würde nicht jedes Jahr ein Drittel der Rentiere getötet, gäbe es bald ein beunruhigendes Ungleichgewicht in der Natur, andere Tierarten würden verdrängt oder dezimiert, ganze Landstriche quasi „abgegrast“ werden, wenn sich alle 300.000 Rentiere ernähren wollten. Stattdessen leben diese Tiere völlig wild und frei und ihr Lebensende ist hier „nur“ ein normaler Schritt im natürlichen Ökosystem. Zudem wird hier „bewusst gejagt“, das heißt geschossen wird nur, was auch sicher verarbeitet wird. Nach alter Tradition wird das ganze Tier verwertet, Felle werden gegen die Kälte genutzt, Geweihe werden zu Gefäßen oder Schmuck verarbeitet, die Sehnen werden zum Nähen verwendet, da sie besonders kälteresistent sind und selbst im arktischen Winter nicht brüchig werden.
Fleischkonsum hat hier nichts zu tun mit den elenden Massentierhaltungen und Legebatterien, in denen Tiere in Gefangenschaft geboren werden, um nach kurzer oder längerer Qual zu verenden, manchmal sogar ohne Weiterverwertung wie bei den Tausenden männlichen Küken, die in Deutschland jedes Jahr lebendig geschreddert werden. Die Tiere werden hier verehrt und als gleichwertig betrachtet, man selbst ist, genau wie die Tiere, ein Teil der Natur und Teil ihres Kreislaufes und in jeder Speise und jedem handwerklichen Produkt kann man die Wertschätzung und die Dankbarkeit erkennen. Fleisch und Fisch zu verspeisen ist hier nicht Zeichen von Überfluss und Arroganz, sondern von Nachhaltigkeit und Demut.
Entschleunigung in Lappland: Leben im Rhythmus der Natur
Das Bewusstsein, ein Teil der Natur zu sein und sich den natürlichen Möglichkeiten anpassen zu müssen um zu überleben, hat dazu geführt, dass die Lappländer sehr sensibel und feinfühlig sind. Es ist wichtig, wann die Rentiere zur Weide getrieben werden, man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wann die Jahreszeiten wechseln. Die Kombination aus Einklang mit der Natur und den extremen Wetterunterschieden, die es hier oben im Norden gibt, hat dazu geführt, dass es inoffiziell acht Jahreszeiten gibt. Neben den auch uns geläufigen kennen die Samen außerdem den Winter-Frühling, den Frühling-Sommer und den Herbst-Winter. An der „nordischen Riviera“, in der Region um Piteå, kann man dank des Golfstroms im Sommer lange heiße Tage verleben, während sich im Winter Eisbrecher durch die gefrorene See kämpfen. Die Zwischenjahreszeiten werden benötigt, um bestimmte klimatische Bedingungen zu benennen, die gleichzeitig bezeichnend wie einzigartig für diese Gegend sind.
Sami-Familie vor ihrem Zelt
Handwerkskunst & traditionelles Gewand
Entschleunigung in Lappland: global warming fordert Tribut
Doch so wenig die Lappländer sich in Bezug auf die globale Erwärmung zu schulden kommen lassen, zieht diese leider dennoch nicht unbemerkt an Lappland vorbei. Immer wieder lese und höre ich Sätze wie folgende: „Solange wir so leben können.“, „Solange es hier so bleibt.“ Am Iglootel ist Anfang März bei 25° in der Sonne der Lageplan des Hotels einfach weggeschmolzen. Kürzere und wärmere Winter werden früher oder später dazu führen, dass auch hier Pestizide eingesetzt werden müssen, weil nicht mehr alle Schädlinge in der Kälte ausgerottet werden. Über diese und andere Veränderungen können wir heute nur spekulieren, aber doch bin ich dankbar, dass in Lappland sehr bewusst mit der Natur umgegangen wird, dass die Verbindung zur Natur als das höchste Gut gilt und nichts weniger erstrebenswert für die Lappländer zu sein scheint, als sich dem Tempo und Wahnsinn der übrigen westlichen Konsumgesellschaft anzupassen.
Entschleunigung in Lappland: und letztlich den Geist auf reset
Nach meinem viel zu kurzen Aufenthalt im hohen Norden wünschte ich mir, dass jeder, der im Strudel des kapitalistischen Lebensirrsinns lebt, sich ein paar Tage eine Auszeit nehmen würde, um seine Verbindung zur Natur und zur Erde zu suchen, Zeit für ein wenig Entschleunigung in Lappland.
Die Weite der Fichtenwälder, dieser altgewachsenen Tannen und Bäume, die anmutig und wissend wirken wie sie so dastehen und den Lauf der Welt beobachten; die Ruhe, die über den Wipfeln und Hügeln der Landschaft liegt; der Zauber, mit welchem die nordische Sonne durchs Geäst bricht und ein Glitzern und Funkeln in die unberührten Schneelandschaften zaubert … Wer es schafft, sich in der Tiefe seines Bewusstseins darauf einzulassen, wird die Magie und das Unfassbare wieder spüren, das wir so sehr verlernt haben zu empfinden, wird den Rhythmus des Lebens in seiner Urform und die Verbindung zwischen den Dingen erkennen – und vielleicht mit einem neuen Bewusstsein zurückkehren.
Moderne Solarzellen & alte Sami-Werkzeuge
Seit meiner Rückkehr bin ich noch verdrossener vom Lärm der Menschen, noch entnervter von der Banalität und Dummheit vieler, noch enttäuschter vom Egoismus und der Arroganz, die so weit verbreitet sind.
Nun mag manch einer denken: „Klasse, die geht nach Lappland und kommt völlig genervt zurück!“ Oberflächlich betrachtet stimmt dieser Eindruck vielleicht, unter der Oberfläche jedoch fühlt es sich an wie ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, eine weitere Erkenntnis in der ewigen Frage wie ich leben will und wo meine Prioritäten liegen. Ich lerne immer mehr, dass ich diesen ganzen Krach und das ganze „Schi-Schi“ nicht brauche und nicht mehr will. Meine Erkenntnis heißt immer mehr „ich muss weg aus der Großstadthölle, weg von den Menschenmassen“, und so sehr das beängstigend für mich als geborenes Großstadtkind ist, so sehr werde ich mehr und mehr ruhig und eins mit mir. Entschleunigung in Lappland heißt nicht nur entschleunigen, sondern sich selbst erfahren, erkennen und begreifen.
Ich schließe heute mit dem Zitat eines Lappländers:
„Time is quality and quality is sustainable, and sustainability is our foundation, culture and future.“
Danke, Lappland.
Lust auf Finnland bekommen? Dann schau doch mal hier vorbei:
Urlaub in Turku – Wie ich ins geliebte Finnland zurückkehrte
Ein Tag in Helsinki: Mumins, Marimekko und delikate Menüs!
8 Tipps für einen unvergesslichen Urlaub in Helsinki
In Kooperation mit dem Swedish Lapland Visitors Board.
Text und Fotos: Laura Droße
5 Kommentare
Wuuuunderschön!!! Lappland ist ein absolutes Traumreiseziel von mir! Es steht fast ganz oben auf meiner Wunschliste und ist nach Deinem Artikel noch mal in den Fokus gerückt. Ist aber eher etwas für den Sommer oder? Lg, Brigitte
Immer schön! Ich war einmal im Winter da, war auch sooo cool mit Huskey Safari und so :)
Lappland ist einfach nur schön.
Liebe Christine,
heute Nacht bin ich aus dem finnischen Lappland wieder gelandet (in Litauen) und stolpere über deinen Artikel, per Zufall. Ich kann dir uneingeschränkt zustimmen. Tolle Natur, freundliche Menschen und ganz viel Ruhe :)
Herzliche Grüße
Lydia
Alles schön, alles richtig, alles gut. Aber mal drüber nachgedacht, dass der Klimawandel von Leuten wie dir, die für eine Pressereise mal eben nach Lappland jetten, erst verursacht wird?