„Hier muss es jetzt irgendwo sein“, sage ich zu meiner Begleitung und blinzele suchend in die flache, weite Landschaft. Das Navi zeigt mir mit einem blauen Punkt mitten im Nirgendwo, dass wir unser Ziel gleich erreicht haben. Und tatsächlich: Wenig später verlassen wir die Straße und biegen rechts auf einen vom gestrigen Unwetter noch ganz schlammigen Weg ab. Da stehen sie: Die Tallahatchie Flats. In einer dieser sechs alten, kleinen Plantagenhütten werden wir heute nächtigen. Diese außergewöhnliche Unterkunft in Greenwood ist eines der Highlights auf dem Roadtrip durch Mississippi – auf den Spuren des Blues.
Ein Pickup kommt uns entgegen und hält neben uns an. Der Mann hinter dem Steuer fragt uns, ob wir die heutigen Mieter des Ashland House‘s sind. Wir bejahen. „Der Schlüssel steckt!“, sagt der Mann, der sich als Manager der Tallahatchie Flats herausstellt, und fragt im selben Atemzug, ob er uns noch was aus der Stadt mitbringen soll. Südstaaten-Gastfreundlichkeit at its best.
Da wir alles haben, was wir brauchen, verabschieden wir uns fürs Erste und versprechen, uns zu melden, sollte sich daran etwas ändern. Zunächst wollen wir unsere außergewöhnliche Unterkunft für diese Nacht in Augenschein nehmen.
Roadtrip durch Mississippi – Eine unvergessliche Nacht in den Tallahatchie Flats
Die Tallahatchie Flats, benannt nach dem nahegelegenen Tallahatchie River, wurden über die letzten Jahre von verschiedenen Plantagen aus Mississippi zusammengesucht und auf dieses Fleckchen Erde umgesetzt. Hier wurde nichts nachgebaut, sondern höchstens restauriert. Teilweise sind die Holzhütten Spenden von Plantagenbesitzern der Umgebung, die großen Wert darauf legen, die historischen Bedeutung dieser Hütten und die individuellen Geschichten dahinter zu bewahren.
Wenn die Wände reden könnten, sie hätten sicher einiges zu erzählen. Über die knarzende Veranda betrete ich unsere 2-Zimmer-Hütte und fühle mich, als hätte ich mit Übertreten der Türschwelle auch ein paar Jahrzehnte hinter mir gelassen. Die Einrichtung entstammt den 30er und 40er Jahren. Die Farbe an den Holzpaneelen an den Wänden ist abgeplatzt, die rauen Bodendielen werden von einem schweren Teppich bedeckt. Durch die kleinen Fenster der Hintertür blitzt die Nachmittagssonne und taucht das sonst recht dunkle Zimmer in ein heimeliges Licht. Im zweiten Raum steht ein großes Bett mit heller Tagesdecke. Ein altes Klavier, eine wuchtige Truhe und weitere schwere Holzmöbel machen die authentische Atmosphäre perfekt.
In jeder Ecke entdecke ich liebevolle, kleine Dekorationen, die das authentische Gefühl noch verstärken. Für den Komfort der Gäste wurden Annehmlichkeiten wie ein innenliegendes, modernes Badezimmer, fließendes Wasser, sowie Kühlschrank und Herd der Einrichtung hinzugefügt. Außerdem sind die Räume klimatisiert. Auch an Mikrowelle, Fernseher und Kaffeemaschine fehlt es nicht. All dieser moderne Komfort tut der Authentizität jedoch keinen Abbruch. Man spürt in diesen Räumen ganz deutlich die Geister der Vergangenheit. Ein Umstand, der mich ehrlich gesagt ein wenig gruselt. Das Bild neben dem Bett, das mich doch sehr an den Film „The Ring“ erinnert, bereitet mir eine Gänsehaut.
Wir sind hier wirklich in the middle of nowhere. Und das ist auch genau das, was die Gäste der Tallahatchie Flats hier in Greenwood suchen. Die kleine Zeitreise und die Abgeschiedenheit versprechen Entschleunigung vom sonst so stressigen Alltag. Hier könnt ihr fischen, wandern, Kanu fahren oder einfach nur im Schaukelstuhl auf der Veranda über das Leben philosophieren – mit Baumwollfeldern als Kulisse. Diese Atmosphäre lässt selbst in einem gänzlich unmusikalischen Menschen den Wunsch aufkeimen, sich hier ein paar Wochen zurück zu ziehen, um Blues Songs zu schreiben.
Der Blues ist hier im Süden der USA allgegenwärtig. Auf den Baumwollfeldern, auf eben solchen Holzveranden und in den zahlreichen Juke Joints der kleinen Städte des Mississippi Deltas entstand der Blues. An den Wochenenden finden in der Taverne der Tallahatchie Flats Live-Konzerte statt, die Blues Fans aus ganz Mississippi anlocken.
Was? Tallahatchie Flats | Wo? 58458 Co Rd 518, Greenwood | Preis? Zwischen $85 und $125 (pro Haus pro Nacht)
Roadtrip durch Mississippi – Meilensteine der Geschichte des Blues
An bedeutende Orte und Personen des Blues erinnern die blauen Tafeln des Mississippi Blues Trail, die in ganz Mississippi (und auch außerhalb des Bundesstaates an wichtigen Wirkungsstätten des Blues) vertreten sind. Nur eine knappe Meile von den Tallahatchie Flats entfernt, ehrt eines dieser Schilder eine der ganz großen Ikonen des Blues. Robert Johnson war einer der einflussreichsten Gitarristen und Sänger des Blues. Unter Musikern ist er eine Legende und absolute Inspiration für Künstler wie Eric Clapton und Keith Richards. Er starb 1938 im Alter von 27 Jahren und ist damit quasi der Begründer des Club 27. Doch was war an ihm so besonders? Robert Johnson war kein guter Musiker. Zunächst.
Anfang der 30er Jahre zog er eine Zeit lang durch die Lande. Nach einem Jahr Vagabundenleben kehrte er mit einer plötzlich so exzellenten Gitarrentechnik zurück, dass man annehmen musste, er habe seine Seele an den Teufel verkauft. Im Gegenzug schenkte dieser ihm diese außergewöhnliche, musikalische Gabe. Johnson erlangte große Berühmtheit, zog jahrelang durch die Lande und machte Musik und viele Kinder. Letzteres sollte ihm schlussendlich zum Verhängnis werden. Johnson starb 1938 in Greenwood, vergiftet, wahrscheinlich von einem gehörnten Ehemann. Sein Grab soll sich nun hier befinden, auf dem Friedhof neben der Little Zion M.B. Church, wobei diese Bezeichnung der Ansammlung einzelner Grabsteine auf einer Wiese kaum gerecht wird.
Roadtrip durch Mississippi – Südstaaten-Feeling in Greenwood
Doch nicht nur der Anblick der alten Kirche und der Plantagenhütten bietet eine Reise in die Vergangenheit. Auch in Greenwood, an dessen Ortsrand sich die außergewöhnliche Unterkunft Tallahatchie Flats befindet, scheinen die Uhren langsamer zu ticken.
Nicht ohne Grund wählten die Macher des Kinofilmes „The Help“ (2011) mit Viola Davis und Emma Stone das verschlafene Städtchen als Kulisse, um Mississippis Hauptstadt Jackson in den 60er Jahren darzustellen. Greenwood ist sehr stolz auf seinen Auftritt in dem oscarnominierten Film. In der Touristeninformation im Stadtzentrum oder auch auf der Webseite von Greenwood gibt es das Faltblatt zur „The Help“-Tour, das neben den Drehorten auch alle Locations aufzählt, an denen Cast und Crew gern ihre Pausen verbrachten. Demzufolge feierte die Produktion ihren letzten Drehtag in der Taverne der Tallahatchie Flats.
Aber auch im Restaurant Giardina’s verbrachten die berühmten Gäste der kleinen Stadt gern ihren Feierabend. Das Restaurant bietet beste Südstaatenküche, die auch seinen Preis hat. Es lohnt sich aber dennoch. Vor allem wegen einer weiteren Besonderheit. Neben einem großen Speisesaal, kann man hier auch in einem von vierzehn Séparées Platz nehmen und ganz privat zu Abend essen.
Nur ein paar Häuser weiter befindet sich der wunderschöne Buchladen Turnrow Book. Oben in der Galerie ist ein Café, an dessen Wand sich die Werke wechselnder Fotoausstellungen befinden, unten stehen die zahlreichen Bücher in den Regalen. Was sofort ins Auge fällt sind die vielen kleinen handbeschriebenen Rezensionen, die aus einigen Büchern lugen. Ein Wort, was auf den Notizen oft zu lesen ist, ist „signed“. Besonders stolz ist der Buchladen auf seine Sammlung von signierten Erstausgaben des aus Mississippi stammenden Autors John Grisham, der immer mal wieder im Laden vorbeischaut und seine neuesten Werke signiert.
Nachdem ihr durch den Buchladen gestöbert habt, könnt ihr gleich nebenan im The Mississippi Gift Company Store damit weiter machen. Hier gibt es neben selbstgefertigten Keramiken und Kissenbezügen auch Honig und BBQ Saucen aus Mississippi. Darunter findet ihr sicher tausende kleine Geschenke, Mitbringsel und Andenken an diese wunderschöne kleine Stadt.
Am Abend erzählt uns der Manager der Tallahatchie Flats, sein Name ist J.B., bei einem gemeinsamen Bier seine Geschichte. Nach einem verheerenden Brand verlor J.B. nur wenige Monate zuvor sein Haus und all sein Hab und Gut. Einer der drei Besitzer der Tallahatchie Flats griff ihm unter die Arme und bot ihm und seiner Verlobten an, die Manager Hütte zu beziehen und wenn er Lust habe, den dazugehörigen Job gleich mit dazu. Als passionierter Blues Musiker sagte J.B. nicht nein. Er hält die Hütten in Schuss, kümmert sich um die Gäste und veranstaltet die Livemusik Abende in der Taverne.
Der Sternenhimmel über den Tallahatchie Flats
Gut erholt und ausgeruht wache ich am nächsten Morgen auf und bin bereit für den Roadtrip durch Mississippi, der noch vor uns liegt. Wer eine außergewöhnliche Unterkunft sucht, ist bei den Tallahatchie Flats genau richtig. Sollten diese während eures Besuches in Greenwood gerade ausgebucht sein, findet ihr am Ende dieses Artikels noch einen Tipp, wie ihr vielleicht doch noch zu einer Nacht in den authentischen, kleinen Hütten kommt. Greenwood sollte nicht euer einziges Ziel in Mississippi bleiben. Welche Orte sich auf einem Roadtrip durch Mississippi ebenfalls lohnen, erfahrt ihr hier:
Roadtrip durch Mississippi – Tupelo, der Geburtsort des King of Rock’n’Roll
Die kleine Stadt Tupelo liegt circa 2 Stunden Autofahrt von Greenwood entfernt. Hier wurde Elvis Presley geboren. Sein Geburtshaus ist, ebenso wie das dazugehörige Birthplace Museum und seine Kindheitskirche, zu besichtigen. Rund um das kleine, weiße Holzhaus ist auf Elvis‘ Wunsch (und Kosten) ein Park entstanden, der das einst so arme Viertel Tupelos aufwerten sollte.
Außerdem lohnt sich ein Besuch des Tupelo Hardware Store. Hier kaufte Elvis‘ Mutter Gladys ihrem Sohn zum 11. Geburtstag für $7.90 seine erste Gitarre. Eine gute Investition. Auf dem Boden vor der Verkaufstheke des alten Eisenwarenladens klebt ein X, welches anzeigt, wo der kleine Elvis damals gestanden haben soll.
Bunte Gitarrenaufsteller markieren in der ganzen Stadt besondere Orte, die Elvis in seinen ersten dreizehn Lebensjahren, bis die Familie Presley nach Memphis zog, oft besuchte. Wie zum Beispiel Johnnie‘s Drive-In, ein kleines Restaurant, das zu sehr günstigen Preisen Sandwiches und Burger serviert. Hier verbrachte Elvis nach der Schule seine Nachmittage mit seinen Freunden, aß Cheeseburger und trank Cola. An der Wand hängt hier ein Bild von Elvis, wie er bei einem Heimatbesuch 1956 in einer der Nischen sitzt. Die Nische wurde natürlich daraufhin zur „Elvis Booth“ auserkoren und ist der beliebteste Sitzplatz in der kleinen Gaststätte.
Was? Johnnies Drive-In | Wo? 908 E Main St, Tupelo | Wann? Mo-Sa 7-21, So: geschlossen | Preis? sehr günstig
Roadtrip durch Mississippi – B.B. King Museum in Indianola
Was Elvis für den Rock’n’Roll ist, ist B.B. King für den Blues. Seinem Lebenswerk widmete seine Heimatstadt Indianola ein ganzes Museum. Das Museum ist sehr modern und erzählt en detail anhand zahlreicher Ausstellungsstücke, Fotografien und Videomaterial das Leben des B.B. King. Von den bescheidenen Anfängen auf den Baumwollfeldern des Mississippi Deltas über seine musikalischen Anfänge bei der Radiostation WDIA in Memphis bis hin zu seinem Aufstieg zu einem der einflussreichsten Bluesmusiker unserer Zeit.
2015 starb B.B. King im Alter von 89 Jahren. Seinen Lebensabend verbrachte er jedoch nicht im Schaukelstuhl auf der Veranda einer Südstaatenvilla. Weit gefehlt. Bis kurz vor seinem Tod spielte er noch bis zu 250 Konzerte im Jahr und war quasi durchgängig auf Tour. Zwei Mal war B.B. King verheiratet. Seine Ehen hielten aufgrund seines vollen Terminkalenders allerdings nie lange. Vielleicht war auch das ein oder andere Groupie schuld. Er zeugte 15 Kinder mit 15 Frauen (keines davon mit seinen Ehefrauen), doch am Herzen lag ihm wohl immer nur eine – Lucille.
Lucille war der Name seiner Gitarre, die ihren Namen in Andenken an eine große Dummheit bekam. 1949 spielte B.B. King einen Gig in Arkansas, als durch den Streit zweier Männer ein Brand ausbrach. King hatte sich bereits ins Freie gerettet, als ihm auffiel, dass sich seine $30 Dollar Gitarre noch im Inneren des Gebäudes befand – zwischen lodernden Flammen wohl bemerkt. Ohne viel nachzudenken rannte er wieder zurück und rettete seine Gitarre – beide blieben unversehrt, doch erst im Nachhinein erkannte King, dass er gerade sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. In Erinnerung daran, nie wieder eine solche Dummheit zu begehen, benannte er seine Gitarre nach der Frau, um die sich die beiden Männer, die den Brand verursacht hatte, gestritten hatten: Lucille.
Die letzte Ruhestätte des Riley B. King befindet sich ebenfalls auf dem Museumsgelände.
Was? B.B. King Museum and Delta Interpretive Center | Wo? 400 2nd St, Indianola | Wann? Di-Sa 10-17, So-Mo 12-17 | Preis? $15
Roadtrip durch Mississippi – Eine unvergessliche Begegnung mit dem Blues in Leland
Vor dem Highway 61 Museum in Leland steht ein altbekanntes blaues Blues Trail-Schild, das mit Text und Bildern das Leben des Bluesmusikers und Bildhauers James „Son“ Thomas beschreibt. Während wir lesen und uns einen Überblick zu verschaffen versuchen, spricht uns ein Mann von der Seite an. Er redet und redet und ich weiß auf die Schnelle gar nicht, was er mir sagen will. Doch dann zeigt er auf eines der auf dem Schild abgebildeten Fotografien und sagt: „That’s my dad.“, und meint damit Son Thomas.
Er nimmt uns mit ins Innere des Museums und zeigt uns stolz die Vitrine, die ihm selbst, Pat Thomas, und seinem Vater gewidmet ist. Wir schauen uns in den drei weiteren Ausstellungsräumen um. Das Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, die zahlreichen Bluesmusiker zu ehren, die es nie zu großem Ruhm gebracht haben, oft auch, weil sie es nie darauf anlegten. Es geht um die Musiker, die den Blues auf den Weg brachten und Mentoren für zahlreiche andere Musiker waren. Das Highway 61 Museum macht mir einmal mehr bewusst, dass echte Musiker niemals an ihrem Bekanntheitsgrad oder Plattenverkäufen gemessen werden sollten.
Beim Verlassen des Rundgangs treffen wir wieder auf Pat. Er sitzt auf einem Stuhl neben dem Eingang, neben ihm ein Verstärker und seine Gitarren. An die Tür lehnt ein Zeichenblock, daneben steht eine Plastikbox mit Stiften. Pat überschlägt sich fast in seinen Erzählungen und beginnt gleichzeitig für uns „seine“ Katzenköpfe zu malen. Wir wissen noch immer nicht ganz wie uns geschieht. Tatsächlich aber werden uns Pat Thomas und seine „Cat Heads“ später auf dem Roadtrip durch Mississippi noch einmal begegnen. Pat steckt voller Geschichten, sein starker Südstaatenakzent und sein fast zahnloses Gebiss erschweren es uns jedoch sehr, seinen Erzählungen zu folgen. Während er spricht, zupft er an seiner Gitarre, untermalt das Gesagte mit ein paar Akkorden. Am Ende spielt und singt er für uns einen ganzen Song seines Vaters.
Eine schöne, aber auch traurige Begegnung. Als wir weiter müssen, scheint Pat nämlich noch lange nicht am Ende seiner Geschichten angekommen, er möchte uns kaum gehen lassen und gibt uns bestimmt fünf Mal zum Abschied die Hand. Pat verbringt sehr viel Zeit hier im Museum. Er spricht mit den Besuchern, erzählt seine Geschichten und hält vor allem das Andenken an seinen Vater aufrecht.
Pat vor einer der zahlreichen Wandmalereien in Leland. Diese zeigt seinen Vater „Son“ Thomas.
Was? Highway 61 Blues | Wo? 307 N Broad St, Leland | Wann? Mo-Sa 10-17, So: geschlossen| Preis? $5 und ein Trinkgeld für Pat
Roadtrip durch Mississippi – Von den Anfängen des Blues bis zu den Grammys in Cleveland
“Birthplace of the Blues?”, fragt das Blues Trail Schild an der Dockery Farms in Cleveland. Es ist 10:45 Uhr vormittags an einem Mittwoch und wir ganz allein auf diesem großen Areal. Regelmäßig finden auf dem Grundstück Blues Festivals mit BBQ und Live-Konzerten statt. Dann – wenn beispielsweise Johnny Cashs Tochter Rosanne auftritt – ist hier richtig was los. Solltet ihr jedoch mitten am Tag hier sein, womöglich mit keiner Menschenseele weit und breit, macht euch als erstes auf die Suche nach dem blauen Blues Trail Schild. Direkt dahinter befindet sich ein Knopf.
Das Drücken dieses Knopfes beschallt für einige Minuten das gesamte Areal mit dem Bluesgesang von Charley Patton (1891-1934), der hier viele Jahre arbeitete und lebte. Er sollte später zu einem der wichtigsten Musiker des Delta Blues avancieren.
Die Dockery Farms waren einst eine riesige Baumwollplantage mit dorfähnlichem Charakter. Um die Jahrhundertwende lebten hier bis zu 2.000 Menschen. Neben den Wohnhäusern gab es einige Läden, eine Kirche, mehrere Friedhöfe, eine Post, eine Grundschule und einen Arzt. Dockery hatte sogar seine eigene Währung. Unter den Arbeitern lebten einige Musiker, die gemeinsam den neuen, ganz besonderen Stil von Gesang und Gitarrenspiel des Delta Blues erfanden und weiterentwickelten. All diese Geschichten erzählt mir das Blues Trail Schild. Mit diesem Hintergrundwissen und der Musik im Ohr stromern wir noch eine Weile über das Gelände und tragen uns in das gut versteckte Gästebuch ein.
Was? Dockery Farms | Wo? 229 MS-8, Cleveland | Wann? jederzeit geöffnet | Preis? freier Eintritt
Genau diese Ursprünge der amerikanischen Musik, ihre kulturelle Bedeutung und ihren Einfluss auf die heutige populäre Musik zelebriert etwa 8 Meilen östlich der Dockery Farms das GRAMMY Museum Mississippi. Auf circa 2.600 qm nimmt euch das hochmoderne Museum in einer interaktiven Ausstellung mit durch die Musikgeschichte.
Natürlich wird auch die Geschichte der GRAMMYs genau unter die Lupe genommen, die seit 1959 jährlich in Los Angeles verliehen werden. Die besten Momente, Performances und Red Carpet Outfits werden audiovisuell dargeboten, letztere sogar live vor Ort.
Interaktivität wird hier besonders groß geschrieben. Auf einem bunten Dancefloor führt euch GRAMMY-Gewinner Ne-Yo auf einer Leinwand durch die „History of Dance“ und bringt euch ein paar Schritte bei. In einer der vier Aufnahmekabinen könnt ihr mit Hilfe einiger vorgefertigter Blues-Melodien einen eigenen Song zusammenstellen, Lyrics schreiben und sogar semi-professionell aufnehmen. An anderer Stelle könnt ihr auf einer Bühne hinter dem Schlagzeug Platz nehmen oder euch am Bass versuchen.
Was? GRAMMY Museum Mississippi | Wo? 800 West Sunflower Road, Cleveland | Wann? Mo-Sa 10-17:30, So 12:30-17:30| Preis? $12
Roadtrip durch Mississippi – Clarksdale, die Hochburg des Blues
Als wir in Clarksdale ankommen ist der Himmel mit dunklen Wolken verhangen. Der Wind scheint die Straßen leer gefegt zu haben. Viele der Gebäude sind verlassen, einige Fenster verbarrikadiert.
Das Yazoo Pass wirkt inmitten der Tristesse wie ein Wurmloch in einen hippen Coffee Shop in New York. Wir holen uns einen Kaffee und machen uns auf den Weg ins Delta Blues Museum, welches sich als weltweit erstes Museum ganz der Geschichte des Blues verschrieben hat. Unter anderem ist hier auch eine von B.B. Kings Lucilles ausgestellt. Auch Pat Thomas und seinem Vater ist hier eine Vitrine gewidmet. Nicht weit vom Museum entfernt befindet sich der Ground Zero Blues Club. Hier könnt ihr einen Burger essen und darauf warten, dass der Besitzer des Clubs, Morgan Freeman, zur Tür hereinschneit. Am Wochenende, anlässlich einer Veranstaltung und zum alljährlichen Juke Joint Festivals im April stehen die Chancen darauf wohl ein wenig besser, als an diesem normalen Donnerstagnachmittag. Ganz ohne Promisichtung ziehen wir weiter durch die Straßen, als ein Schild unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Diesmal ist es jedoch kein blaues Blues Trail Schild, obwohl die Dichte dieser Marker hier in Clarksdale wohl am größten ist.
Eher ist es der Name des Ladens „Cat Head“, der uns ins Auge sticht und an unsere Begegnung mit Pat Thomas vor einigen Tagen erinnert. Hier gibt es alles, was das Blues Herz begehrt von gutsortierten Platten über signierte Bücher bis zu hochwertigen Fotografien und Objekte regionaler Künstler. In einer Ecke blicken uns von Papierbögen und Holzplatten altbekannte Katzenköpfe entgegen. Nach einem Plausch mit dem sympathischen Besitzer des Ladens, Roger Stolle, erfahren wir, dass Pat Thomas‘ Katzenköpfe tatsächlich auch Namenspatronen für den Laden sind. Wer wissen will, was wann in Clarksdale los war und los sein wird, Roger weiß es und hat auch die ein oder andere lustige Anekdote von prominenten Kunden seines Ladens zu erzählen.
Ein bedeutender Ort der Blues-Geschichte ist das Riverside Hotel. Das ehemalige Krankenhaus (die Blues-Sängerin Bessie Smith starb hier 1937 an den Folgen eines Autounfalls) beherbergte seit 1944 vor allem reisende Musiker. Heute dient es noch immer als Unterkunft für Blues-Fans aus aller Welt. Vom Inneren des Hotels konnte ich mich leider nicht überzeugen, doch ich habe von vielen Seiten gehört, dass man sich vom heruntergekommenen Äußeren des Hauses nicht täuschen lassen soll. Hinter der bröckelnden Fassade schlummert wohl ein heimeliges Hotel mit sauberen Zimmer und einem herzlichen Personal, dass zahllose Geschichten zu erzählen hat.
Etwas weiter außerhalb von Clarksdale befindet sich das Shack Up Inn, eure zweite Chance auf eine Nacht in den kleinen, authentischen Holzhütten vergangener Zeit. Das Angebot an den außergewöhnlichen Unterkünften ist hier noch größer als bei den Tallahatchie Flats in Greenwood. Insgesamt stehen hier 28 unterschiedliche Häuser zur Auswahl. Hier könnt ihr sogar eine Nacht in einem zum Ferienhaus umgebauten Getreidesilo verbringen. Das Shack Up Inn veranstaltet neben Live-Musik Abenden, auch verschiedene Musik- und Fotografie-Workshops. Die Abgelegenheit ist auf jeden Fall die beste Voraussetzung für kreative Ideen.
Roger aus dem Cat Head hatte uns empfohlen, den Abend mit Live-Musik im Red’s Blues Club zu verbringen. Dem kleinen Haus in der Sunflower Avenue ist von außen so gar nichts mehr anzumerken. Das Innere ist in ein rotes Licht getaucht. Wände und Decken sind mit Folien abgehangen. An der Bar steht Red und verkauft Bier, während die Band, wie bei einem Wohnzimmer-Konzert, mitten im Raum den Blues spielt. Das Publikum besteht zu einem großen Teil aus Touristen und ich frage mich, wo die sich den ganzen Tag versteckt haben.
Die Nacht verbringen wir in der AirBnb-Unterkunft The Squeeze Box, deren Inneres vor kreativen Einrichtungsideen nur so strotzt. Es gibt ein „Rüttelbett“, das für einen quarter zehn Minuten lang vibriert. Über dem Bett hängt ein alter Röntgenbildbetrachter, der die Porträts großer Blues-Legenden beleuchtet. Darunter auch B.B. King. Neben dem Bett hängt ein weiteres Bild einer uns nun wohl bekannten Person. Wer uns da anschaut? Na klar, Pat Thomas.
Clarksdale auf einen Blick:
Yazoo Pass Coffee Shop | Wo? 207 Yazoo Ave, Clarksdale | Wann? Mo-Sa 7-21, So geschlossen | Preis? Mittleres Preissegment
Delta Blues Museum | Wo? Blues Alley Ln, Clarksdale | Wann? Mo-Sa 9-17, So geschlossen | Preis? $12
Ground Zero Blues Club | Wo? 387 Delta Ave, Clarksdale | Wann? Mi-Do 11-23, Sa-Di 11-2, So geschlossen | Preise? Burger und Fries kosten circa $10
Cat Head Delta Blues-Folk Arts | Wo? 252 Delta Ave, Clarksdale | Wann? Mo-Sa 10-17, So geschlossen
Riverside Hotel | Wo? 615 Sunflower Ave, Clarksdale | Preis? Ab $65 pro Nacht
Shack Up Inn | Wo? 001 Commissary Circle Clarksdale | Preis? Zwischen $75 und $250 (pro Haus pro Nacht)
Abe’s Bar-B-Q | Wo? 616 State Street, Clarksdale | Wann? Mo-Sa 10-20:30, So 11-14 | Preis? Mittleres Preissegment
The Squeeze Box | Wo? 108 E 2nd St, Clarksdale | Preis? $120 pro Nacht
Ein wunderschöner Sonnenuntergang über den Baumwollfeldern, direkt neben dem Shack Up Inn
Die kleinen Hütten des Shack Up Inn.
Verwitterte Hütte und ein rostiges Auto auf dem Gelände der Shack Up Inns
Der Weg zu Morgan Freemans Blues Club Ground Zero. Links seht ihr noch einen Teil des Delta Blues Museums, welches sich direkt daneben befindet
Das Ground Zero von Nahem.
Burger und Süßkartoffel Pommes im Ground Zero
Das Delta Blues Museum in Clarksdale, MS. Davor eines der blauen Blues Trail Schilder, die in ganz Mississippi wichtige Orte des Blues markieren.
Ein einsamer Bahnübergang in Clarksdale
Eine Kreuzung in Clarksdale erinnert an die Legende nach der Robert Johnson seine Seele an den Teufel verkauft haben soll. Wo sich die “echte” Crossroad befindet, weiß niemand. Wie das bei Mythen so ist, ist es schwierig sich auf Fakten zu einigen.
Direkt an den Crossroads befindet sich Abe’s Barbecue, eines der legendären Restaurants des Südstaaten-Barbecue. Wer auf butterzarte Rippchen steht, die buchstäblich vom Knochen fallen, sollte hier unbedingt essen gehen.
Die Wandmalereien in Leland zeigen die Legenden des Blues.
Das Highway 61 Blues Museum, in dem wir Pat Thomas kennenlernten.
Elvis Statuen in Tupelo nahe seines Geburtshauses. Elvis, als 11-jähriger mit seiner neuen Gitarre und als Superstar im Glitzeranzug.
Die Kirche, die Elvis als Kind besuchte und prägte, wurde erst 2008 in unmittelbare Nähe seines Geburtshauses versetzt.
Elvis hatte sich zum 11. Geburstag eigentlich ein Gewehr gewünscht. Ein großer Dank geht an Elvis’ Mutter, die ihm dieses verbot und ihm stattdessen hier im Tupelo Hardware Store eine Gitarre kaufte.
Ein Kreuz am Boden markiert die Stelle, an der Elvis seine Gitarre mit noch tränenfeuchten Wangen (weils kein Gewehr war) erstmals in die Hand nahm. Nachdem er ein paar Mal darauf herum schrammte, gefiel sie ihm immer mehr. Nur wenig später legte er sie kaum mehr aus der Hand, nahm die Gitarre sogar mit in die Schule.
Schild der Tallahatchie Flats, dahinter ein Baumwollfeld.
Vier, der sechs Hütten, in denen ihr eine unvergessliche Nacht verbringen könnt. Ein paar weitere sollen in den nächsten Jahren dazu kommen. In der Hütte ganz rechts wohnt Manager J.B. mit seiner Verlobten.
In der Taverne finden regelmäßig Abende mit Live Blues Musik statt.
Interessiert ihr euch für den Süden der USA? Dann holt euch noch mehr Südstaaten-Feeling in über das wunderschöne Memphis, The Music City Nashville und begebt euch auf die Spuren von Elvis Presley.
Dieser Post über meinen Roadtrip durch Mississippi entstand in Kooperation
mit dem Verkehrsbüro Memphis & Mississippi
Besucht für weitere Infos auch die Facebook Seite.
2 Kommentare
Tolle Berichte, wir waren gerade selbst auf den Spuren des Blues, beginnend in New Orleans, dann weiter über Vicksburg, Natchez, Jackson, Greenville zum Juke Joint Festival in Clarcsdale – der Hammer! Drei tage voller Musik, auch die zahlreichen Museen haben wir besucht , B.B. King in Indianola, einschließlich der Zusammenkunft mit Pat Thomas, der versucht hat – vergeblich – mir das Gitarenspiel beizubringen und der uns dann in Clarcsdale wieder begegnet ist. Eine tolle Tour, wir haben etwa die Hälfte der Blues Trail Schilder gefunden.. ein erlebnisreicher Urlaub und Danke für die tollen Unterkunftsvorschläge – vielleicht zum nächstem Juke Joint 2020 !! Schließlich Graceland, Tunica, Memphis und Nashville – jeden – wirklich jeden Abend in den 23 Tagen Live Musik . Echt der Hammer!