Das war es also wieder – Weihnachten. Die Zeit ging so schnell rum und ich war teilweise etwas vernebelt, dass es mir ganz gut tut noch einmal alles für euch Revue passieren zu lassen. Was geschah im Hause Neder an Weihnachten?
Weihnachten beginnt für mich immer so wirklich offiziell am 23.12. um 18:30 Uhr, wenn ich mich traditionell mit den Mädels aus meinem Abiturjahrgang auf dem Schweinfurter Weihnachtsmarkt treffe. Dann merke ich auch, dass ich in Schweinfurt bin, denn alle sind pünktlich! Da kommen keine Whats App-Nachrichten à la „Oh sorry, ich schaff es nicht rechtzeitig weil blablabblubb“. Alle sind da. Um 18:30 Uhr und ich liebe es. In Schweinfurt ist man eben noch pünktlich. Auf dem Weihnachtsmarkt trinken wir einen Glühwein oder zwei, oder drei, halten uns auf den neusten Stand der Dinge (wer mit wem neu oder immer noch und vielleicht schwanger oder schon wieder geschieden), bis es 21 Uhr ist. Es geht weiter, zum Stattbahnhof. Das ist eine Schweinfurt Tradition unter allen halbwegs jungen Menschen. Die Definition jung ist hier etwas weiter gefächert. Von 18 bis 38 ungefähr. Im Stattbahnhof, einem Gebäude neben Schienen, deswegen Bahnhof, in dem sonst irgendwelche coolen „Undercover Bands“ spielen, trifft sich am 23.12. Gott und Welt, meist Gruppen, die zusammen in der Schule waren. Ich liebe diesen Abend. Ich fühle mich selten so gut unterhalten wie am 23.12., weil einfach immer etwas passiert und plötzlich jemand vor einem steht, den man schon eeeeewig nicht mehr gesehen hat und mit dem man sich dann stundenlang unterhält à la „Weißt du noch, damals als…“. Das ich mich so gut unterhalten fühle mag vielleicht auch daran liegen, dass es weder in Berlin noch in München wirkliche Momente entstehen, in denen man sich intensiv ohne den Störfaktor Smartphone unterhält. Keiner hat an diesem Abend mit irgendjemand anderes nebenbei gechattet, keine hat auf Tinder gestarrt, man hat sich einfach unterhalten, fünf Stunden lang. Dabei kamen Geschichten auf den Tisch, die man schon längst verdrängt hat, alte Techtelmechtel-Stories und eben alles, was man so zwischen 14 und 19 getrieben hat. Nur so viel – ich hatte eine abwechslungsreiche, emotionale und intensive Jugend.
Das erste Mal als ich dann auf mein Smartphone schaue, bekomme ich einen kleinen Schock, was die Uhrzeit betrifft, beschließe nach Hause zu gehen und wache ein paar Stunden später mit einen Mörderkater auf, weil ich die Todsünde Nummer 1 begangen habe und viel zu viel unterschiedliche Alkoholsorten getrunken habe. Bis zum Bratwurstessen am Mittag habe ich mich jedoch meistens wieder regeneriert.
Weihnachten – der 24.Dezember
Ok, ich wach auf und denke erst einmal, dass ich diesen Tag nicht überstehen werde, doch es lebe die Aspirin und ein Tofuwürstchen zum Mittagessen, das mich mit Zauberkräften beflügelt. Der 24.Dezember läuft im Hause Neder immer gleich ab. Mittag gibt es Bratwurst mit Kraut, es werden die letzten Geschenke eingepackt, wir trinken Kaffee und essen Plätzchen, machen einen ausgiebigen Spaziergang wenn es dunkel ist und wir gut in fremde Wohnungen glotzen können und starten um 19 Uhr mit unserem Fondueessen.
Das zieht sich über eine Stunde hin, endet jedes Jahr damit, dass alle am Boden, auf dem Sofa oder Stühlen liegen, sich den Bauch kraulen und stöhnen: „Mir ist schlecht.“ Dagegen hilft nur eine Runde Schnaps um alle wieder für die musikalische Einlage fit zu machen.
Im Hause Neder wird gesungen. Jedes Jahr vor der Bescherung. Meine Schwester oder ich spielen Klavier, während alle anderen sich wirklich die größte Mühe geben die Töne zu treffen und ein einigermaßen passables „Stille Nacht“ zu trällern.
Auch die Bescherung hat bestimmte Regeln und Rituale. Als erstes darf das jüngste Kind, also ich, die Geschenke auspacken. Dann arbeiten wir uns das Geburtsjahr hoch, bis irgendwann meine Eltern die letzten sind. Benny kommt zwischendurch dran.
Was ich zu Weihnachten bekommen habe, schreibe ich in einem Extrapost. Der letzte Akt an diesem Tag ist die gemütliche Spielerunde. Je nach Laune spielen wir alle zusammen „Wer wird Millionär“, „Nobody is perfect“ oder „Tabu“. Früher lag immer das „Spiel des Jahres“ unter dem Weihnachtsbaum, doch mittlerweile sind wir alle zu faul, müde und alt um noch nachts um 10 irgendwelche neuen Spielregeln zu begreifen. Der Heilig Abend klingt aus.
Weihnachten – der 25.Dezember
Ich glaube nicht, dass ich die einzige bin, die etwas Angst vor der ganzen „Ruhe“ und „Besinnlichkeit“ an Weihnachten hat. Irgendwie wird man schon regelrecht dazu gezwungen jetzt mal auszuspannen, abzuschalten und sinnlos rumzuhängen. Aber genau dieses Jahr habe ich wirklich keine Zeit für Besinnlichkeit, weil einfach zu viel ansteht: Steuererklärung, Drehtag, Workshop-Vorbereitung ect. Ich hatte Angst davor in die tiefe Besinnlichkeit reinzurutschen und nichts auf die Reihe zu bekommen. Deswegen habe ich eine Vorsichtsmaßnahme geschlossen und meiner Familie verkündet, dass ich dieses Jahr für alle am 1. Weihnachtsfeiertag kochen werde. Für alle heißt für 11 Personen und was das für ein Stress ist, hätte ich vorab nie gedacht. Es fing schon mit der Menüauswahl an: Der eine mag keine Pilze, der andere ist allergisch gegen Nüsse und dann muss auch noch alles vegetarisch sein, weil ich koche. Ich habe einen halben Tag Kochbücher gewälzt und hing auf Pinterest ab, denn das Menü sollte in erster Linie nicht gut schmecken, sondern gut aussehen. Sorry, da bin ich durch und durch Ästhetin. Was es im Endeffekt geworden ist:
Starter: Antipasti in Form eines Tannenbaums
Vorspeise: Süßkartoffeltürmchen, Rezept findet ihr HIER
Hauptgericht: Strudel-Bonbons mit Lauchsauce. Ich war so im Stress, dass ich vergessen habe das Hauptgericht zu fotografieren …
Desssert: Funky Popcorn mit Orangen-Schoko-Mousse und Zimtbrezeln.
Als ich das Foto vom Nachtisch auf Facebook gepostet habe, wollten ganz viele die Rezepte wissen. Dazu folgt ein extra Post!
Am 23.12. bin ich für mein Menü einkaufen gegangen und wurde fast unter die Obsttheke getrampelt, den halben 24. zwischen Bratwurst und Plätzchen habe ich in der Küche Vorbereitungen getroffen und am 25. habe ich den Wecker auf 8 Uhr gestellt um alles fertig zu haben, wenn die Bagage um 12 Uhr am Tisch sitzt. Ich sag euch, ich habe Blut und Wasser geschwitzt, zwanzig Panikattacken bekommen, dass irgendwas fehlt oder zu wenig ist, aber im Endeffekt hat alles gepasst. Den Rest des Tages habe ich schlafend auf dem Sofa verbracht und Helene Fische im Hintergrund trällern hören. Ich muss sagen, so viel schlechter singen wir an Weihnachten auch nicht.
Weihanchten – 26.Dezember
Die Familie hat sich, wie man im Kochjargon so schön sagt, den ich ja jetzt beherrsche, um die Hälfte „reduziert“. Nur noch ich, meine Eltern und mein Bruder sitzen unter dem Baum und haben beschlossen essen zu gehen. Das war natürlich keine spontane Aktion, sondern das haben wir schon vor acht Wochen geplant und einen Tisch reserviert, für die zweite Schicht. Ja, an Feiertagen steppt der Bär im kleinen Schweinfurt und man muss sich entscheiden, ob man von 11 bis 13 Uhr essen gehen möchte oder von 13 Uhr bis open end.
Wir haben also für die zweite Schicht einen Tisch im „Weißen Rösel“ reserviert und schon der Name sagt eigentlich alles aus. Wir setzen uns an einen Eiche-rustikal Tisch über dem Messing-Lampen von der Decke hängen. Ich bestelle einen trockenen Weißwein und fall fast vom Stuhl, als ich für den Preis ein 250 ml Glas bis zum Rand gefüllt serviert bekomme. Ich vergaß, in Schweinfurt muss man sich nicht für 0,1 oder 0,2 l entscheiden. Man bekommt einen Schoppen, gute 250 ml Wein, die mich schon vor dem Essen ziemlich bedüdeln. Das schöne am Essen gehen ist natürlich das Essen, aber auch das Beobachten. Vor allem an Weihnachten. Ich sehe Bratensauce, die in Schnurrbärten abtaucht, Familien mit Kindern, die zu Weihnachten in rosa Tüllkleidern gesteckt werden. Die Jugendlichen mit dicken Eiterpickeln im Gesicht tragen schlecht sitzende Sakkos und knutschen zwischen Klos und Schweinelende mit der ersten Freundin, während die Männer noch ein Bier bestellen und die Frauen über Kalorien diskutieren. Ich würde mir sehr gerne noch ein Wasser zum Wein bestellen, aber die übergewichtige Kellnerin humpelt mit einem leidigen Gesicht durch die Wirtschaft, dass ich mich gar nicht traue noch etwas zu bestellen. Dann bekommen wir unser Essen serviert. Der Braten kommt mit einem Petersilienröschen auf der Spitze, der Salat mit Cocktailsauce und die Kartoffeln mit Petersilie und mir wird ganz warm ums Herz, als ich das sehe, denn dass ist eben Schweinfurt. Hier gibt es Kartoffeln mit Petersilie, keinen Molecularschaum, wie in Berlin und auch keine in Trüffel geschwenkte Biokartoffeln, sondern ganz normale, gekochte Kartoffeln vom Acker mit Petersilie und ich liebe es.
Zum Abschluss hat die Mutti am Nachbartisch noch eine „Heiße Liebe“ vor der Nase stehen und der Koch macht die Runde und fragt, ob alles Recht war. Ich war wirklich enttäuscht, dass es keine Standing Ovation für den Koch gab. Standing Ovations scheinen in Schweinfurt gerade sehr modern zu sein. Nicht nur im Theater, sondern auch der Kirche und dem Blasorchester, aber anscheinend noch nicht im Gasthaus.
Ja, das war Weihnachten im Hause Neder. Eigentlich wie immer und das war auch gut so. Das schönste an Weihnachten war dieses Jahr, dass mir mal wieder ganz bewusst klar wurde, wo ich her komme, wo ich immer noch den größten Teil meines Lebens verbracht habe und das auch sehr gut finde. Ich bin eine Kartoffel mit Petersilie, die immer pünktlich auf die Minute fertig ist und auf dem Tisch liegt. Wenn ich in Berlin bin, verarbeitet man mich zum Molekularschaum, in München haut man mich mit Trüffelöl in die Pfanne, aber im Grunde schmecke ich immer gleich, nach Kartoffel und das ist auch gut so!
Und so fühle ich mich dann nach Weihnachten – fröhlich aber fertig ;)
12 Kommentare
Schönes Fest. Schöne Familie. Schöne Tradition. Ich freue mich für dich und genieß die Tage!
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Hier gibt es Kartoffeln mit Petersilie, keinen Molecularschaum, wie in Berlin
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Und bitte geh in Berlin in andere Restaurants :). Es gibt hier auch welche ohne Molekularschaum, z.B. das wunderbare Knofel.
hmmmm, sieht richtig lecker aus, Dein Dessär-Bar !! Und schön finde ich auch, daß Familie Neder im fernen Schweinfurt ein Kräuterlikörle aus meinem Nachbar”dorf” mundet ;-) Nur dem armen Benny scheinen ein paar Finger zum Auspacken zu fehlen ….
Das ist ein Elch ;)
Sei froh, dass Du nicht in Württemberg unterwegs warst, bei uns umfasst ein Schoppen Wein einen halben Liter! Die Franken waren wohl genügsamer!
Toll geschrieben ich bin geradewegs in deiner Weihnachtsgeschichte versunken!
♥ Sarah
An Weihnachten hat man ja auch Zeit viel zu lesen ;)
Das sieht ja mal richtig lecker aus!
Viele Grüsse,
Man konnte es essen ;)
WEIHNACHTSPATCHWORK
Mama möchte lieber mit ihrem Freund feiern, den Bruder und ich nicht ertragen können, Bruder will mit Frau und Kindern – nachvollziehbar, ich feiere mit mir allein – erstaunliche Erfahrung – Weihnachten allein ist SUPER!
Also sitzen wir am 21. Dezember zusammen Mama, Bruder und ich und wollen Geschenke auspacken. Aber NEIN, Brüderchen will seine Geschenke erst am 24. öffen. Also sitzen Mama und ich zu zweit am “weihnachteln” und der Bruder beäugt uns misstrauisch ob dieses heidnischen GermanenTermins.
Um sie Geschichte komplett zu machen, fahre ich zu meiner besten, ältesten Freundin und ihrer Familie. Obwohl sie und ich fast 10 Jahre ein Liebespaar waren in den 80ern, bin ich fast Bestandteil der Familie und die Kinder nennen mich beim Kosenamen, so wie ihre Mutter seit über 30 Jahren.
So ist Weihnachten 2013 in einer ganz normalen deutschen Familie, nein in zwei, nein eigentlich 3 oder sind es gar vier … ich hab den Überblick verloren.
Wenn das nicht Patchwork ist!
Foftain schenkt diese Geschichte der Christine nachträglich zu Weihnachten.
Hört sich aber irgendwie ganz lustig an ;)
Ich finde auch immer das Traditionen wichtig sind
<3 (besonders für das Dessert!)