Das Feiern auf Festivals ist professioneller und kommerzieller organisiert und dadurch auch teurer geworden. Im Durchschnitt muss man 80 Euro für ein Ticket hinlegen. Ein geplanter Kurztrip, der oft schon seit Januar im Kalender steht. Man flieht aus dem streng getakteten Alltag in den streng getakteten Festivalablauf, der jedoch um einiges angenehmer ist.
Faszination Festival – ein Wochenende Anarchie mit gewissen Regeln. Dabei hat sich eine neue Festivalkultur entwickelt. Früher kam man wegen der Musik. Jetzt reichen zwei bis drei halbwegs gute Bands, die man sich vielleicht anschaut, wenn man nicht im kollektiven Erlebnis untergeht. Die Feierbereitschaft kann der Veranstalter natürlich auch optimieren. Eine geile Location – sei es ein stillgelegtes Braunkohlenkraftwerk wie beim Melt!, ein alter Militärflughafen wie bei der Fusion oder ein Strand wie in KaZantip –, feiert es sich fast von allein. Der Gemeinschaft muss außerdem ein Ort der Sicherheit geboten werden, in der sie nicht für ihr abnormales Verhalten verurteilt wird. Je absurder, desto besser die Feier und desto glücklicher die Menschen.
Wenn ich zurückdenke, muss ich feststellen, dass ich in den letzten 40 Wochen die meiste Zeit überdurchschnittlich glücklich war. Ich hab für zehn Jahre im Voraus gelacht und mich wieder an selbstverständlichen Kleinigkeiten erfreut. Vielleicht war ich auch so glücklich, weil ich von der Außenwelt kaum etwas mitbekommen habe. Ich lebte in meiner eigenen Welt, umgeben von tausend fröhlichen Menschen. Wenn man selbst gut drauf ist, ist das fantastisch. Aber man kann nicht ein Jahr lang in Dauereuphorie leben. Das geht genauso wenig wie die Dauerparty. Es gab Momente, in denen ich richtig schlecht gelaunt war und dann reichte das Tief bis zum Erdmittelpunkt und die ganzen fröhlichen Menschen haben es nur noch schlimmer gemacht. Aber sie haben mich auch wieder rausgeholt. Ich habe den Wahnsinn von 40 Festivals ausgehalten, weil mich die Begeisterung der tausend Menschen immer wieder erreicht und angesteckt hat.
Außerdem habe ich herausgefunden, wie ich am liebsten feiere – nämlich bewusst, wenn ich Bock habe. Wenn die Rahmenbedienungen für mich stimmen. Dazu gehören Freunde. Es gibt zwar keinen Ort, an dem man einfacher in eine Gesellschaft aufgenommen wird als bei einem Festival, trotzdem ist es etwas ganz anderes, wenn die eigenen Freunde dabei sind. Ich habe gemerkt, dass ich eigentlich doch recht schüchtern bin und es mich jedes Mal aufs Neue viel Überwindung gekostet hat, auf eine große Gruppe zuzugehen, die sich untereinander schon kannte. Was noch dazu gehört, ist Musik, die ich schon kenne und gut finde. Ich bin kein Entdeckertyp. Ich will hören und mitsingen und am liebsten will ich möglichst wenig vom Kult der Großfestivals. Mein Herz schlägt für kleine, feine Veranstaltungen, geschmückte Zauberwälder, Liebe zum Detail, spannende Besucher, auch mal den totalen Wahnsinn, aber kein massenkompatibles Feierprogramm. Auf meiner Festivalliste für 2013 stehen deshalb: Secret Garden Party, Burning Man und vielleicht mein eigenes Festival? Das Wetter ist mir dabei völlig egal, aber so ein bisschen Alkohol ist schon gut, um leichter das Dixi Klo zu ertragen. Und bitte kein Handy-Empfang, denn das schöne am Feiern ist, dass man es nur in der Gegenwart machen kann. Das Hier und Jetzt ist alles und das muss man auskosten, denn es ist jede Sekunde schon wieder vorbei. Darum geht es. Ums Spielen, Quatsch machen, einmal die W-Fragen stecken lassen und die Leichtigkeit des Seins genießen. Eine Disziplin, die mir sehr schwer fällt, da ich meistens irgendwo in der Vergangenheit oder Zukunft rumhänge und ziemlich schwer am Boden verankert bin.
Jeder hat aber seinen ganz persönlichen Grund, warum er ein Festival besucht: Ich habe viele getroffen, die auch etwas suchen, was sie im Alltag nicht bekommen. Einige wissen nicht, wie sie leben wollen und was sie tun sollen und fühlen sich im Alltag in eine Rolle gedrückt, die sie nicht widerspiegelt. Sie kommen auf ein Festival, um abzuschalten, näher zu sich selbst zu finden, um den Kopf zu vergessen und wieder auf den Bauch zu hören. Oder einfach Menschen zu treffen, die genauso suchen wie sie. Mein Zweitjob diesen Sommer war definitiv Hobbypsychologin. Das wäre vielleicht auch etwas für die Karriereliste: Lebensberatung auf Festivals, das neue Geschäftsmodell. Auch ich habe oft die Frage gestellt bekommen, vor was ich davon laufe. Ich weiß es nicht so genau. Eigentlich mag ich das normale Leben. Nur die ganzen Strukturen und ein Nine-to-five-Job machen mir Angst.
Das beste am Festival ist jedoch das Feeling, oft als grenzenlose Freiheit beschrieben. Um dieses Feeling zu bekommen, muss jeder selbst herausfinden, was er zum Feiern braucht. Der eine will seinen Alkohol, der andere seine Drogen, der dritte gute Musik und der vierte ein bisschen Liebe. Das ist das Schöne an der Faszination Festival. Es ist für jeden etwas dabei. Es gibt für jede Musikrichtung vom Bluegrass bis zum Jodeln ein Festival – und man sollte das nicht mal nur auf Musikfestivals reduzieren. Man kann auch in Japan Penisse feiern, in Finnland drei Tage lang Luftgitarre spielen oder in Thailand Affen anbeten. Egal, was und wie und wo, bei einem Festival treffen sich Menschen in einer Gruppe, die alle eine Leidenschaft haben, die sie zusammenschweißt und die sie gemeinsam zelebrieren. Dabei zu sein, ist wunderbar.
Ein Gefühl, das man nicht downloaden kann.
13 Kommentare
Nur zwei kurze Sätze zum Schluß, die alles sagen. Über Festivals. Über die Liebe. Übers Leben.
“Dabei zu sein, ist wunderbar. Ein Gefühl, das man nicht downloaden kann.”
Stimmt :)
Hallo liebe Christine,
seit längerem lese ich Deine homepage vor allem die Art wie Du schreibst spricht mir oft aus der Seele. Dieser Bericht hier und der vorherige haben mir besonders gut gefallen. Daher mein Tipp an Dich: Dieses Jahr darfst Du Dir nicht das Chiemsee Reggae Festival in Übersee entgehen lassen! Ein cooles Festival meistens mit viel Regen und tollem Schlammrutschen inklusive..;-)!
Ich wohne gleich ums Eck und würde mich freuen, Dich dort mal zu treffen.
Alles Liebe
Martina
Liebe Martina, danke für die lieben Worte. Das Chiemsee Reggae stand schon dieses Jahr auf meiner Liste, ich habe es dann aber leider nicht geschafft. Aber vielleicht dieses Jahr ;)
Ich lese dein Buch gerade. Genau die richtige Lektüre, wenn man krank auf dem Sofa liegt und der Schnee auf’s Dachfenster rieselt. Da schlägt mein Herz direkt in Vorfreude auf den kommenden Festivalsommer etwas schneller und ich fühle mich gleich schon etwas besser ;-)
Das freut mich :) Danke!
“Der eine will seinen Alkohol, der andere seine Drogen, der dritte gute Musik und der vierte ein bisschen Liebe.” Mein Lieblingszitat, denn genau das habe ich auch immer wieder festgestellt. Eine dieser Zutaten und irgendwer ist unfassbar Glücklich.
Ich bin gespannt, was du vom Burning Man zu erzählen hast. Ich würde SO gern mal hin, aber im Studium ist sowas leider kaum machbar.
Wirklich interessante Umschreibungen… ich gehe jetzt los und kauf’ dein Buch!
Sehr gut! Das freut mich :)
Ich gehe immer wieder gerne auf Festivals! Die Stimmung dort ist einfach unbeschreiblich. Überhaupt kann man es schlecht beschreiben, warum ich so fasziniert bin und mich davon angezogen fühle. Es ist vielleicht eine andere Welt.
Mein Favorit ist definitiv immer noch das Chiemsee Reggae Summer Festival! Aber dieses Jahr durfte ich das Dockville in Hamburg kennenlernen und ich muss sagen, auch das könnte ein neuer Festival-Freund werden :)
Habe gerade einen kleinen Bericht übers Dockville geschrieben.
Liebe Grüße,
Nici
Ich hätte auf dem Dockville so gerne The Lumineers gesehen …