Immer wieder flattern per Mail oder Facebook Fragen in mein Postfach, die ich versuche alle brav zu beantworten. Kommen sie öfters vor, dann schreibe ich sie auf eine Liste und nehme mir vor darüber einen Post zu schreiben, da die Antwort wahrscheinlich mehrere Leser interessiert.
Wie ich mein Geld verdiene, das könnt ihr bei “Mit bloggen Geld verdienen? Wie Christine N. ihr Klopapier bezahlt” nachlesen. Wie ich reise und wer meine schönen Fotos immer macht, das steht unter “Tag der Wahrheit“. Heute geht es um das Thema Einsamkeit. Sehr oft bin ich alleine unterwegs und da kam die Frage, ob ich mich nicht manchmal einsam fühle. Einsam bin ich nie, weil ich ganz viele Menschen im Herzen habe und weiß, sie sind für mich da. Aber alleine, das war ich oft, bis ich mich einmal mit dem Thema auseinander gesetzt habe. Letztes Jahr in der Karibik, bei meinem 8. Festival. Meine Gedanken dazu zitiere ich jetzt einfach aus meinem Buch “40 Festivals in 40 Wochen.”
“Ich müsste der glücklichste Mensch der Welt sein. Palmen, Sonne, Meer und Strand. Was will man mehr? Doch ich bin es nicht. Ich war noch nie gut darin, Dinge zu tun, die von mir erwartet werden. Die karibische Sonne hat meinen Husten geheilt, dafür habe ich mir hier eine Art Herzschmerz eingefangen. Ich bin so schwermütig und kann es gar nicht verstehen. Die erste Welle der Traurigkeit kam mittags, als ich in meiner Luxussuite im Infinitypool planschte mit Blick auf zwei Vulkanberge, die inmitten eines UNESCO-Welterbes stehen. Das kann man gar nicht beschreiben, das muss man sehen, so schön ist es hier. Vielleicht verkrafte ich so viel Schönheit, die ich mit niemanden teilen kann, einfach nicht. Alleine reisen ist normalerweise kein Problem für mich. Bei 90 Prozent aller Reisen freue ich mich, dass ich sie solo erlebe. Ich habe immer wieder diesen Nervenkitzel, bin stolz, wenn ich alles geschafft habe und kann tun und lassen, was ich will. Aber wenn es so unbeschreiblich schön ist wie auf Saint Lucia, möchte ich jeden Moment gerne teilen, weil man ihn später einfach nicht in Worte fassen kann. Zumindest möchte ich allen zeigen, wo ich bin und hoffen, dass sie sich mit mir freuen. Denn eins ist sicher: Ich werde nie wieder hierher kommen können, weil ich es mir nicht leisten kann. Außer ich heirate einen Scheich mit 600 Kamelen und zwei Millionen Hektar Wüste. Eine Nacht hier im Paradies kostet so viel wie mein reguläres Monatsgehalt. Bis jetzt konnte ich meine Inselerlebnisse über Facebook teilen. Doch hier bin ich total abgeschieden von der Welt – in einem Resort, in dem es keinen Fernseher, kein Radio und keine Türen in der Suite gibt, natürlich auch keinen Internetempfang, dafür grenzenlose Freiheit und Ruhe und viele glückliche Pärchen. Eigentlich nur Pärchen, die aneinander kleben und ihre Flitterwochen im Paradies verbringen. Die ganzen Turteltäubchen um mich herum, die jede Nacht jede Menge Spaß haben, verstärken das Gefühl der Einsamkeit, das sich mit der Traurigkeit zum Herzschmerz vermengt. Wenn mich einmal netterweise ein Herr anspricht, weil er sieht, dass ich die ganze Zeit alleine rumhänge, und weil er höflich sein möchte, wirft mir die Dame tödliche Blicke zu. Dabei tue ich niemanden etwas. Doch Singlefrauen im Flitterwochenparadies scheinen so etwas wie Pest und Cholera auf einmal zu sein. Alleine den Strand entlang laufen ist noch mühseliger, weil ständig ein Inselbewohner kommt und fragt, wie es mir geht und ob er mich mit dem Boot irgendwo hinfahren soll, ob ich mit ihm durch den Sonnenuntergang reiten möchte oder gleich, ob ich ihn nicht heiraten will. Ich habe gehört, dass die Karibik für Frauen quasi das Gleiche ist wie Thailand für Männer. Ich allerdings habe hier ganz andere Intentionen.
Mir ging es schon vor der Reise nicht besonders gut, also zog ich meinen Notfallplan durch. Zuerst rief ich Mutti an, aber ich war wirklich sehr schlecht gelaunt und motzte eigentlich eher rum, als ein sinnvolles Gespräch zu führen – was mir im Nachhinein auch sehr leid tat. Am Bahnhof kaufte ich mir dann einen ordentlichen XXL-Schokoriegel. Die Folge: Zahnschmerzen. Dritter und letzter Versuch die Stimmung aufzubessern: Ich schrieb ein paar Nachrichten an liebe Freunde. Aber nicht so: „Mir geht’s nicht so gut, rede mit mir.“ Meistens will ich gar nicht über mich reden, sondern wissen, wie es ihnen geht, und wissen, dass es sie noch gibt und dass sie mich auch noch kennen. Ich schrieb Corinna und fragte, ob sie den Tatort anschaut.
„Ne, habe noch Besuch.“
Sonntags ist normalerweise bei ihr immer Dinner-und-Tatort-Abend. Es werden Freunde eingeladen, man kocht, trinkt Wein und redet. Meistens so lange, so viel und so gut, dass man den Tatort verpasst und ihn später nachträglich in der Mediathek anschaut. Ich schau ihn nur nebenbei und verfolgte die Tatort-Hashtags bei Twitter, was ein viel größerer Spaß ist.
„Dann grüß mal alle lieb, falls ich jemanden kenne.“
„Ist nur noch eine Nachbarin da. Das ist so cool, die hat auch in 40 Wochen bei 45 verschiedenen Leuten gepennt.“
Was man alles in 40 Wochen machen kann…
„Wow, aus Versehen?“
„Nein, Selbstfindung.“
„Aha. Und – gefunden?“
„Ja. Sie hat es auch gut erklärt. Dass man zu sich selbst findet, wenn man nichts Materielles mehr hat, über das man sich definieren kann.“
Und als ich ihre Worte noch einmal lese, wird mir bewusst, was da gerade mit mir passiert. Ich verliere mich. Ich verliere mich zwischen all den Ländern und neuen Menschen, die ich kennenlerne. Obwohl ich auch nichts Materielles mehr habe außer meine Kamera und mein iPhone. An die klammere ich mich aber.
Und das ist genau das Problem. Es ging alles so wundervoll los, doch dann bin ich in die Stolperfalle getappt, habe gezweifelt und mir zu viele Gedanken gemacht, wofür das alles gut ist und wen das überhaupt interessiert. Dabei habe ich meine Leichtigkeit und meine Intuition verloren, die mich sonst immer wunderbar durchs Leben leitet. Mir fehlt aber nicht nur Zuversicht, sondern auch mein Anker. Paul ist mein Anker. Er stellt mich immer wieder ruhig, wenn ich in der Strömung hin und her treibe, reicht mir die Hand, wenn ich hinfalle, und gibt mir seine Schulter und dazu ein Paket Taschentücher, wenn ich flennen muss. Wenn etwas nicht mit mir stimmt, riecht er den Braten meistens schon, bevor ich ihn in den Ofen schiebe. Auch wenn er mich oft nicht versteht, kann er mir helfen, indem er mir zeigt, wie die Dinge wirklich sind, und er mich von meinem kleinen fiktiven Kopfwirrwarr befreit.
„Muss jetzt los. Und nicht verlieren. Auf das Wesentliche konzentrieren. Kuss Corinna.“
Das waren die letzten Worte, die ich von ihr gehört habe: auf das Wesentliche konzentrieren.
Ich definiere mich gerade nur noch über meine Posts und Facebook-Statusmeldungen. Ja, so ist es. Nennen wir es beim Namen. Wenn ich etwas poste und nicht innerhalb von fünf Minuten 20 „Likes“ habe, dann ist meine Stimmung im Keller. Auf negative Kommentare versteife ich mich und die vielen positiven sehe ich gar nicht mehr, weil ich total blind für Lob bin. Es zählen nur noch „Likes“ und Retweets und Followers – und das ist nicht das Wesentliche. Ich darf nicht nur für meine virtuellen Profile da sein. Ich darf mich nicht darüber definieren. Das ist doch krank. Und das weiß ich. Und so bin ich eigentlich auch nicht. Kaum habe ich einmal drei Tage keinen Kontakt zur Außenwelt, schon spüre ich mich nicht mehr. Ich teile nicht, also bin ich nicht. Schwachsinn! Schwachsinn! Schwachsinn! Ich habe nur kurzfristig das Gefühl dafür verloren, was wichtig und unwichtig, was richtig und unrichtig ist. Das kommt schon wieder.”
Auszug aus dem Buch “40 Festivals in 40 Wochen” von Christine Neder
Zum Glück habe ich nie die Zuversicht und den Glauben aufgegeben. Im Laufe von weiteren 32 Festival kam meine Intuition und Zuversicht wieder und auch der Blick für das Wesentliche. Wenn ich heute die Frage gestellt bekomme: Fühlst du dich nicht manchmal einsam, Christine, kann ich sie mit nein beantworten. Ich habe meinen Weg gefunden und irgendwie auch Frieden mit mir geschlossen. Ich schaffe es mehrere Tage alleine von Pärchen umzingelt am Strand zu sitzen und mich gut zu fühlen, nur mit mir. Warum das damals nicht so war? Ich glaube ich habe einfach vergessen, dass man Menschen nicht sehen muss, um sie bei sich zu haben. Und ich habe das Wesentliche gefunden. Was das ist, muss jeder für dich selbst herausfinden ;)
10 Kommentare
Du darfst auch nicht vergessen, was für ein Glück du hast einen Weg gefunden zu haben, mit dem du all deine Reisen finanzieren kannst. Du entdeckst Orte und Menschen , die den meisten von uns verwehrt bleiben!
Ich denke wenn du dir das in diesen Momenten ins Gedächtnis rufst, bist du deine Einsamkeit auch ganz schnell wieder los. ;)
Also ich beneide dich um deine Freiheit!
Schön geschrieben. Bleib dir selbst treu, dann verlierste dich nie selbst und Menschen die dich lieben sind immer im Gedanken bei dir und damit biste nicht einsam, nur alleine unterwegs, das n qualitativer bedeutender Unterschied.
Fühl dich gedrückt.
^^ Da kann jemand wirklich gut schreiben … Kompliment!
Danke
“Ich glaube ich habe einfach vergessen, dass man Menschen nicht sehen muss, um sie bei sich zu haben.” Wie Recht du hast! Das sollte man sich echt ab und zu mal vor Augen halten. Wie krass…
Danke.
Man vergisst die wichtigsten Sachen viel zu oft!
Ich kann dich gut verstehen & ich bewundere deinen Mut sehr.
Es macht stark zu lesen, dass du deinen Weg gefunden hast.
Bleib so wie du bist und lass es dir gut gehen ♥
Dankeschön <3
du hast dieses gefühl auf den punkt gebracht.
es zeugt von stärke, wenn man den schritt machen und sagen kann, dass man sich nicht mehr einsam fühlt. eine gute sache!
ich muss noch daran arbeiten, doch es motiviert zu sehen dass andere menschen mit dem selben kämpfen und irgendwann frieden mit sich selber schliessen konnten.
ps: ein schöner blog der motiviert!
Dankeschön!!! Und immer wieder gerne!