Die USA sind mit Abstand die größten Drogenkonsumenten der Welt. Hier werden nicht nur 60 Milliarden Dollar pro Jahr zum Marihuana kaufen und zur Anschaffung anderer Drogen verscherbelt, sondern hier sind es ganze 22 Millionen Menschen, die dem Drogenkonsum verfallen. 17 Millionen davon rauchen Gras. Das ist ganz Holland. Einer von ihnen ist auch John, der mit seiner Kiffer Green Card entspannt in den Juwelier-ähnlichen Laden marschiert, sich aus der Glasvitrine sein Gras sucht und innerhalb von ein paar Sekunden ein, zwei oder mehr Gramm Marihuana kaufen kann.
Er raucht schnell und viel. Kaum ist die eine aus, greift seine Hand zur Schachtel, schiebt die rote Pappklappe zurück und zieht die Nächste heraus. Zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger steckt die Filterzigarette, welche er mechanisch vom Mund weg und wieder hin bewegt. Es ist 10 Uhr morgens und sehr frisch in Portland. Obwohl die Sonne scheint, habe ich eine leichte Gänsehaut. Es ist die Kälte, gepaart mit dem Jetlag. Eine böse Mischung. Ich sitze auf dem Balkon, John gegenüber und schaue ihm beim Rauchen zu. Irgendwie beruhigend und beängstigend zugleich. Er hat eine eigene Wohnung, aber nichts im Kühlschrank, so sind wir zu seiner Mutter gefahren. John ist mein Couchsurfing-Host. Vor mir liegt die Idylle einer Kleinstadt in Oregon. Ein Desperate Housewives-Szenario, wie aus dem Bilderbuch. Weiße Gartenzäune, dahinter akkurat geschnittene Hecken und Sprenkelanlagen, welche den Rasen seine saftig, grüne Farbe verleihen. Doch eigentlich sitzen hinter dem weißen Zaun, in dem weißen Holzhaus geschiedene Paare, traurige Kinder und verkappte Persönlichkeiten. In diesem Moment scheint der Rasen das einzige zu sein, was saftig und lebendig wirkt. John ist bleich im Gesicht. Er hält keine Minute inne, es gibt keinen Moment in dem er an der Zigarette zieht, den Rauch kurz in den Lungen lässt, das Nikotin spürt und dann wieder ausatmet.
„Ich kann nicht glauben, dass ihr das nicht in Deutschland habt“, führt er das Gespräch weiter. Ich kann es auch nicht glauben. Wir haben Schnitzel, das wir in den Toaster stecken, aber auf keinen Fall Schnitzel nennen dürfen, aber keine Waffeln. Bevor sich John seine nächste Zigarette angezündet, geht er in die Küche, holt mein Frühstück und stellt mir einen Teller mit getoasteten Waffeln, Erdnussbutter, Marmelade und ein Glas Orangensaft auf den Tisch. Er ist ein guter Gastgeber. Er ist aufmerksam und fürsorglich. „Möchtest du nichts?“ frage ich ihn. „Nein, keinen Hunger.“ Ich bin jetzt schon zwei Tage zu Gast bei John und habe ihn noch nie essen gesehen. Sein Körper ist drahtig, seine Wangenknochen eingefallen. John ist erst 18 Jahre alt. Er trägt ein blau-rot kariertes Holzfällerhemd, das ihn wirklich gut steht, dazu eine grüne Hose, Timberland-Schuhe und eine Cappy. Er hat blaue, wache Augen und große Zähne.
Eine Zahnarztbehandlung kostet 260 Dollar in Amerika. Nur einmal den Mund aufmachen und reinschauen. Woher ich das weiß? Ich habe eine Rechnung auf den Küchentisch liegen sehen. Zwei Jahre kiffen und Marihuana kaufen kostet 32,50 Dollar. Ein Gramm Kokain auf der Straße bringt 177,26 Dollar.
Ich esse die Waffeln, inhaliere dabei reichlich Nikotin, spare mir dadurch die eigene Zigarette, obwohl es mir auch noch viel zu früh wäre, um zu rauchen. John ist es nie zu früh. Und auch nie zu spät. Manchmal steht er auch nachts auf und raucht. Dann aber Selbstgedrehte Kippen mit Marihuana. Sein Lieblingsgeschmack ist Himbeere. Seit 9 Monaten hat er eine Kiffer-Green-Card, ein Stück Papier, eine Art Dokument, das er immer bei sich haben muss, wenn er seine Metallbox im Rucksack hat und sie beim Marihuana kaufen auffüllen will. In der darf er bis zu 500 Gramm Marihuana mit sich führen. 500 Gramm. Das sind fünf Tafeln Schokolade, ein halber Liter Milch, zwei Nackensteaks. Vor einem Jahr ist er zum Arzt gegangen. Er konnte so schlecht einschlafen und hatte Rückenschmerzen. Der Arzt hat ihn Marihuana verschrieben und ihm die Kiffer-Green-Card-ausgestellt. Mit der darf er die Shops in Portland betreten und Marihuana kaufen. Hier gibt es Bonbons, Lutscher, Butter, Käse, Cookies … Natürlich alles mit Marihuana. 18 US-Staaten, plus zwei neue seit diesem Januar, darunter Oregon, Alaska und Massachusetts, machen eine Ausnahme für medizinische Zwecke. Kalifornien war 1996 der Vorreiter, mehr und mehr Staaten folgten dem Beispiel und legalisieren das Marihuana kaufen.
„Was hast du denn gerade alles dabei?“, will ich wissen. Er holt seine Metallbox aus seinem Rucksack und binnen Minuten habe ich etliche kleine, durchsichtige Säckchen und orangefarbene Döschen, in der man Filme aufbewahrt vor mit auf den Tisch stehen.
Lutscher mit Trauben-Marihuana Geschmack, Himbeer-Gras, Obama Dope, nach dem Präsidenten benannt. „Hast du heute schon einen geraucht?“, frage ich. John zieht an seiner Zigarette und lacht. „Nein, dann würde ich jetzt auf dem Sofa liegen und schlafen.“
Er hat auch aufmunternde Sachen und probiert gerne. Zerstößt Brocken, zieht sie sich durch die Nase, fühlt sich leicht, wie in Watte gehüllt. Weg, weg aus dem Leben, das nach Veränderung schreit, zu der er aber viel zu schwach ist es zu ändern. Er hat auch Zeug, dass er nicht in den Shops bekommt, für das er fünf Jahre in den Knast geht.
Wir waren gestern weg, mit seinen Freunden, die alle älter sind als er. Alkohol ist erst mit 21 Jahren in Amerika erlaubt. Marihuana kaufen geht mit der Kiffer-Green-Card immer. Alkohol ist tabu. John musste sich auf die Rückband des Autos setzen und heimlich binnen Sekunden seine Flasche Captain Morgen austrinken. Ich habe mich einen Abend daneben gesetzt und mitgetrunken, weil ich meinen Ausweis zu Hause vergessen habe und auch nichts bekommen habe. Als mir einer von Johns Kumpels in der Bar ein Bier gekauft hat, sind wir rausgeflogen. Dann sind wir zur Tanke, haben mehr Bier gekauft und uns auf eine Parkbank gesetzt bis 10 Minuten später die Polizei kam. Regelverstoß: Trinken in der Öffentlichkeit. Es war schon ein Uhr nachts. Irgendeiner der Nachbarn hat die Polizei gerufen, weil ich mein Bier nicht in eine braune Papptüte gesteckt habe. Als die Polizei uns zurechtweisen steht John neben ihnen und raucht einen Joint. Was ist das für ein Welt? Was ist das für eine Welt, wo die Doppelmoral sich gegenseitig den Finger in den Hals steckt? Eine Welt, in der die Polizei kommt, wenn man ein Bier auf der Straße trinkt, aber sich ein 18-jähriger Marihuana kaufen und die Birne wegkiffen kann?
Man sieht John die letzte Nacht an. Vielleicht hat er aber heute morgen doch schon einen durchgezogen. Ich schaue ihn an. Ich kann nicht aufhören ihn anzuschauen und mir Gedanken zu machen. Ich hatte nie einen kleinen Bruder, aber jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt. Ich habe John ins Herz geschlossen. Ich möchte ihn Ohrfeigen, ich möchte in Anschreien, bis sein Trommelfeld platz und er dann hoffentlich endlich versteht, dass er damit aufhören muss. Ich habe so eine Wut, dass er keinen Willen und keinen Antrieb hat. Ich habe so eine Wut, dass ihm das hier alles so einfach gemacht wird. Scheiß auf die heilende Wirkung. Hier sitzt jemand vor mir, der es vielleicht nicht schafft. Nicht schafft den Absprung zu bekommen. Ich habe so eine scheiß Wut in mir. Aber auch Hoffnung. Hoffnung, dass er aus seiner Kleinstadt rauskommt, weg von seinen falschen Freunden. Hoffnung, dass er seinen Weg noch findet und Hoffnung, dass er die Kurve bekommt.
Es bleiben ihm noch ein paar Jahre. Schaut uns jetzt an. Wir waren auch mal hoffnungslose Spinner, die nur Scheiße gemacht haben und haben es doch zu was gebracht. Aber eben nicht alle und uns wurde es auch nicht so einfach gemacht.
Die riesige Zahl der Drogensüchtigen in den USA ist definitiv nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die USA die größte und erfolgreichste Industrienation der Welt ist. Faszinierend wird erst, wenn man sieht, wie viel die Regierung macht, um den Konsum zu stoppen. Im Durchschnitt werden jährlich rund 750 000 Amerikaner, die zum Beispiel Marihuana kaufen, wegen Drogenkonsum festgenommen. Fast 1,1 Millionen US-Bürger sitzen derzeit wegen Rauschmitteln im Gefängnis und trotzdem boomt neben dem “Krieg gegen die Drogen” die Initiative – Gras ist ja viel besser als Alkohol und soll legalisiert werden. Aha. Marihuana kaufen ist also gut? Das denkt auch das MPP, das Marijuana Policy Project, das kräftig an der Legalisierung von Gras arbeitet und mit dem ach so geringen Schaden, den Gras, im Vergleich zu Alkohol, anrichtet prahlt. Und so wachsen grüne Juweliergeschäfte mindestens genauso schnell aus dem Boden wie Hanfpflanzen selbst. Davon darf übrigens jeder acht Stück im Garten anpflanzen.
Marihuana kaufen, das klappt super in den Staaten. Und so gibt es seit Januar 2014 noch zwei weitere Staaten, die den Graskonsum weiterhin legalisieren. Jetzt können sich auch die Bürger in Colorado und Washington darüber freuen, dass sie tagein, tagaus ihr Marihuana kaufen können, vielleicht sogar auch andere Rauschmittel. Und das sogar ohne Rückenschmerzen. Colorado hat den grünen Stoff zu Verkauf freigegeben, so ganz ohne medizinische Zwecke.
Um die Sache noch ein bisschen einfacher zu machen wächst die Zahl an Tinder-ähnlichen Apps für die Suche nach dem nächsten Gras. Wo finde ich am schnellsten was zum runterkommen? Wo kann ich sofort Marihuana kaufen? Die Weedmap gibt es schon eine Weile. Diese App versorgt Nutzer mit einer genauen Karte vom Gras To Go. Leafly toppt das Ganze sogar noch und hat neben einer Tinderfunktion und einem ausgeklügelten Newsfeed sogar eine Rubrik mit Geschmäckern, Formen und Farben. Eine Art MyMuesli für Gras? MyWeed? Beide Apps sind, natürlich, fokussiert auf die USA. Amsterdam hat es allerdings schon auf die Karte geschafft. Vielleicht zieht Berlin mit eigenem Coffeeshop am Görli auch bald hinterher. Marihuana kaufen über unsere Smartphones. Klasse!?
Neuerdings können also Leute wie John von Staat zu Staat hoppen, über Apps das nächste Gras lokalisieren und dann mit oder ohne Kiffer-Green-Card die tägliche Dosis Marihuana kaufen. Auch Rückenschmerzen braucht man, zumindest in Colorado und Washington, nicht mehr. Immerhin wird dann das Warten auf den 21. Geburtstag und dem ersten Schluck aus der Bierflasche nicht ganz so lang und kann mit der grünen Alternative entspannt (oder auch nicht) genossen werden.
Obama Droge frisch aus der Glasvitrine. Marihuana kaufen ist so leicht…
Der Grasbonbon
6 Kommentare
Liebe Christine,
finde es zwar immer schön wenn du auch mal etwas politischer wirst aber das Thema sehe ich wirklich anders als du und gehe hier mit dem MPP, bzw schließe mich hier der Band “Joint Venture” an: http://www.youtube.com/watch?v=KePBh1wtN0o
Ich bin ganz klar gegen eine Kriminalisierung von Marihuana-Konsumenten und gegen eine Verharmlosung von Alkohol!!!
Deinem Freund John würde es wohl eher helfen mal eine Perspektive zu entwickeln und bessere Freunde (wie dich zum Beispiel) kennen zu lernen… Eine Kriminalisierung würde in seinem Fall alles nur noch schlimmer machen, davon bin ich überzeugt…
Dabei überrascht mich deine konservative und altmodische Sichtweise in keinster Weise – nein oft beneide ich dich sogar darum… Nur in diesem Fall solltest noch einmal darüber nachdenken finde ich ;)
Ich hoffe nur für dich das du nie ein Leiden haben wirst, welches mit Hilfe von Marihuana tatsächlich erträglicher werden würde… Deine Meinung zu der Droge würdest du vermutlich ziemlich schnell ändern.
hmmh, also, ich nehme stark an, dass john sein leben ganz genauso führen würde, auch wenn er das gras nicht legal kaufen könnte. wurde er durch die verschreibung des arztes erst zum konsumenten?!
das erscheint mir sehr unwahrscheinlich.
ein problem zusätzlich wäre dann wohl die vielleicht auch gewünschte inkompetenz seines arztes, ihm dieses mittel zu verschreiben.
er nimmt zudem auch ganz andere illegale substanzen zu sich, die man nicht im supermarkt kaufen kann.
in den meisten fällen war doch der konsument auch schon vor einer legalisierung konsument.
ich finde john nicht ganz so passend als besipiel für das, was du sagen möchtest.
geht es dir denn nur darum, wie einfach man sich nun an vielen orten der welt marihuana kaufen kann?! oder um die künftige jugend (lt. gesetzt ja erwachsen mit 18) die sich angeblich ausnahmslos das hirn wegkifft?!
wieso vernachlässigst du komplett die medizinische wirkung von marihuana/thc?!
es soll ja, nicht erst seit gestern, studien geben, die diese beweisen.
Maßloser Konsum ist niemals in Ordnung. Das gilt für Marihuana, Alkohol und auch für Brausetabletten.
Ich denke, ein Ort an dem Konsumenten und Neugierige ausprobieren dürfen, sich austauschen können und der sie davor bewahrt, an irgendwelchen Straßenecken schlechtes Gras zu kaufen ist keine schlechte Alternative zu der jetzigen Situation in Deutschland.
Ich finde du hast eine ziemlich elterliche Ansicht gegenüber Marihuana. Wäre dies bei uns legal, würdest du ganz anders darüber denken. Weil es bei uns illegal ist, denkt man gleich es wäre böse. Fakt ist aber, dass Alkohol gefährlicher ist als kiffen. Aber in Punkto Doppelmoral gebe ich dir vollkommen recht! Letztlich kiffen in Deutschland doch auch genug Leute und vorallem Jugendlichen. xx
Ich bin ehrlich: Ich stimme dir vollkommen in diesem Artikel zu! Wer schon einmal in einer Entzuchsklinik war, so wie ich, wenn auch nur als Gast, sieht das sicherlich anders. Ich finde deine Einstellung weder konservativ, noch Elterlich sondern einfach realistisch und intelligent. Diese ganze Marihuana- Debatte ist volllkommen absurd. Warum sollte irgendjemand für eine Abgestumpfte und betäubte Welt plädieren? Wie einfallslos und verzweifelt muss man sein, um sein Leben so wenig zu schätzen? Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr gerade junge Menschen in meinem Alter, vor allem männliche, für diesen Mist plädieren. Und dieses “Alkohol ist doch viel schlimmer” Argument ist totaler Quatsch. Das ist als würdest du jemanden fragen: Was hättest du lieber, Krebs oder Aids? Wenn jemand ab und an mal was trinkt, dann schadet ihm das vielleicht nichts direkt, aber wenn er es jeden Tag tut und seine eigenen Grenzen behandelt, als wären sie nicht vorhanden, dann muss er sich nicht wundern, wenn er irgendwann von einer Party nicht mehr nach Hause kommt oder mit 30 das erste mal in ne Entzucksklinik “darf”. Bei Marihuana ist das doch genauso. Warum sollte man irgendwas legalisieren, das den Menschen auf lange Sicht nur Schadet und auch noch blöd macht? Ich finde deinen Artikel wirklich sehr gelungen.
Liebe Grüße,
Franzi
Guten Tag allerseits,
ich möchte den meinungen von christine und franzi widersprechen. Dass cannabis schädlich sein kann, möchte in keinster weise bestreiten, jedoch müsst ihr wissen, dass die drogenpolitik keinen einfluss nimmt auf die anzahl der konsumenten, wie neue forschungen zeigen. In Frankreich beispielsweise, wo ein relativ repressiver umgang mit cannabis herrscht (man darf dort meines Wissens nicht einmal kleidung mit aufdruck von cannabisblättern tragen), konsumieren prozentual mehr menschen als in den niederlanden, wo es legal käuflich ist.
Viele grüße , daniel