Es sollte ein Abenteuer werden. Ein Abenteuer in Amerika. Einmal quer durch Florida von der Westküste zur Ostküste. Nicht mit dem Flugzeug – zu dekadent. Nicht mit dem Auto – macht ja jeder. Mit dem Zug namens Amtrak.
Schon die Fahrt zum Bahnhof war ein Nervenkitzel. Marathon in Tampa. Straßen gesperrt und überall Stau. Es was ein Rennen gegen die Zeit. Gewonnen. Gerade noch rechtzeitig husche ich in die Vorhalle des Bahnhofs. Meine Sorge, dass ich hilflos herumirren werde und nicht weiß wo ich hin muss, löst sich schon mal in Luft auf. Es gibt nur einen Schalter, an den ich mich brav anstelle um mein Ticket zu lösen.
„Hello Madam. How are you? You want to take the train to Miami?“
„Yes.“
„I am sorry, it’s five hours late.“
Ich lache einmal herzhaft. Die Bahnangestellten haben ja richtig Humor hier. Hätte das ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn gesagt, hätte er schon den ersten Stein abbekommen.
„Yes, it’s really late!“
Oh shit.
Das war kein Scherz. Die meint das Ernst. Sie meint es „ich-schwör-auf-meine-mudder“-Ernst. Ich kann nicht sagen man hätte mich nicht gewarnt. Es kann zu erheblichen Verspätungen kommen, wurde mir bei der Buchung gesagt. Aber was ist schon erheblich? Schon mal geschaut wie erheblich definiert wird? Ich dachte da an so eins bis zwei Stunden. Aber nicht an fünf Stunden. Im Endeffekt sogar sechs Stunden.
Sechs Stunden später kam der Amtrak Zug nach Miami in den Bahnhof Tampa eingefahren. Mit einer Geduld und Ruhe, so dass mich nichts mehr wundert.
Nachdem ich schon fünf Stunden auf die Ankunft gewartet habe im nahegelegenen Subway, war ich schon völlig tiefenentspannt. So wie alle. Ich habe Amerika als Land der Tiefenentspanner kennen gelernt. Alles dauert ewig, man weiß es und akzeptiert es. No Problem eben. Wo der Deutsche schon bei 15 Minuten Verspätung einen erhöhten Puls bekommt und rot anläuft, sitzt der Ami da. Und wartet. Trinkt eine Cola, isst einen Schokoladenriegel. Süßes beruhigt die Nerven. Telefoniert ein bisschen. Die Sonne scheint, also kein Grund schlecht gelaunt zu sein.
Als das Abenteuer losging, sollte es eigentlich schon vorbei sein. Ich wollte um 13 Uhr starten und mir die Landschaft fernab vom weißen Stränden und türkisblauem Meer des Clearwater Beach aus dem Zug heraus anschauen. Ich wollte stupide aus dem Fenster glotzen und nichts sehen außer Steppe. Stattdessen seh ich beleuchtete Footballfelder und nichts. Dunkles Land. Laptop Akku leer. Buch ausgelesen. Nur ich, und das Fenster ins Nichts. Fünf Stunden gucken. Ich habe keine Cola, auch keinen Schokoriegel und telefonieren ist mir hier zu teuer. Es ist 2 Uhr nachts in Deutschland. Da schlafen sowieso alle. Und schwupsidiwups wurde die Zugfahrt zu einem unerwarteten Abenteuer. Das ruhig dasitzen und nichts machen können außer sich mit seinen Gedanken zu beschäftigen. Sich zu fragen was einem so durch den Kopf geht, wenn man Zeit hat und nicht abgelenkt wird. Ich stelle fest, dass ich verdammt glücklich bin. So alleine und nicht abgelenkt. Dieser eine Moment neulich, als ich verschwitzt und ratlos mit einem unkontrollierbaren Auto über den Highway gefahren bin. Diesen Moment werde ich so schnell nicht wieder vergessen. Ich war so verdammt glücklich, dass ich hätte schreien könne. Nur mit mir. Allein. Diesen Moment wünsche ich jedem. Frei sein. Von Sorgen und Gedanken. Aber auch frei sein von Meinungen und Erwartungen. Ja, manchmal habe ich auch Angst vor Erwartungen. Auch von deinen. Du sitzt gerade da und ließt dir das durch und ich hoffe es gefällt dir. Ich hoffe du liest es immer wieder gerne. Ich hoffe ich bereichere dich, deinen Tag, dein Leben. Ich hoffe ich inspiriere dich. Aber wie soll ich das wissen? Ich hoffe ich bring dich ein Stück zu diesem Gefühl, dass ich jedem wünsche. Ich glaube es nennt sich glücklich sein, mit sich selbst. Vielleicht fährst du irgendwann in Florida über den Highway und weißt was ich meine. Oder vielleicht passiert es dir im Aufzug.
Transport Service Florida
PS: Zu den sechs Stunden Verspätung kam auch noch ein Unfall dazu, weil irgendein Vollidiot eine Mülltonne auf die Schiene gelegt hat. Er wollte ein physikalisches Experiment machen und mal schauen was mit dem Müll und dem Zug passiert. Dank dieses Arschlochs hatten wir weitere zwei Stunden Verspätung. Die Tiefenentspannung war weg. Aber ein Abenteuer braucht auch ein bisschen Aufregung ;)
17 Kommentare
:D ich kann es mir bildhaft vorstellen! solcher momente wegen, reise ich! und ja, ich kann sagen, du inspirierst mich.
glaub mir, mich hast du auf jeden Fall inspiriert :) bei mir wird es zwar noch etwas dauern bid ich alleine reisen kann, aber sobald es möglich ist werde ich es tun.
Eine Reise ist oft erst dann perfekt wenn sie für andere vielleicht überhaupt nicht perfekt scheint (:
Ich stelle mir sowas auch total aufregend vor, hammer! Ich finds außerdem echt schade, das andere dann oft sagen: Oh gott, das war so schrecklich. Nie wieder!
:D Ich finds einfach cool. Das muss Freiheit sein! :)
Momente wie diese sollten eigentlich auf jeder Reise auftreten, finde ich. leider passiert dies dennoch selten. Schade eigentlich….
aber…
das wort tiefenentspannt gefällt mir gut :)
Macht immer wieder Spaß deine Reiseberichte zu lesen und morgens auf dem weg zur Arbeit zu träumen der Zug würde wo anders hinfahren :)
JA man weiß nie… vielleicht sitzt du ja einmal früh zufällig im Orient Express ;)
Heute fährt die 18 bis nach Istanbul?!
Ja die Amtrak Züge laden schon zur Tiefenentspannung ein. Aber bei mir im Zug gab’s Snickers und Coke (und Bier).
Da werden woll noch drei Vollpfosten auf dem Weg nach Tampa ihren Blechabfall auf den Gleisen deopniert haben ;-)
Ich habe auch ein schöne Geschichte zur Tiefenenspannung anderer Völker:
Als auf Island dieser unaussprechlichliche Vulkan explodierte und sich die Asche wie die casting-Showas als Schleier über Europa legte, herrschte ja aufgrund der tausendfach gecancelleden Flüge das absolute Chaos auf den Bahnstrecken.
Getreu dem Motto: “Das Leben in vollen Zügen genießen” wurde man auf Ölsardininen neidisch, insofern man überhaupt einen Platz ineinem zug bekam. So strandete ich wie hunderte andere nach einem Eventbesuch auf dem Kölner Hbf. Dort, wo die DB-Security normalerweise jeden Punk aufscheucht, Obdachlose in die Sitzposition zwingt und Menschen ohne Fahrschein aus dem Aufenthaltsraum bugsiert, lagen hunderte Normalbürger und Kofferreisende auf beghelfsmäßig aus Kartons notdürftig zusammengebastelten Unterlagen und versuchten so etwas Schlaf zu finden. Wer wach war, saß, stand oder ging mit Angela-Merkel-Mine oder gelegentliche Flüchen ausstoßend auf dem Geländer herum. Jsut im beheizten Aufenthaltsraum traf ich um 3 Uhr nachts ein Rentnerpaar an, dass keinen Schlafplatz gefunden hatte und zusammen auf ihren Kofernsaß, ganz ruhig und in der Hand eine Tasse dampfenden Tee. Ich lag mit meiner Vermutung richtig, dass es sich um Skandinavier handelte. Sie waren 2 Tage zuvor (!) von Spanien mit dem Zug aufgebrochen und mussten noch bis Stockholm, was sicher noch mindestens 2 weitere anstrengende Reisetage und unbequeme Übernachtungen bedeuten würde.
“Was soll man machen”, sagte der nette Mann in seinem süßen schwedischen Akzent auf Englisch, “abwarten und Tee trinken !”
Darum geht es beim Reisen wie im Leben. Man muss der Entschleunigung als Ausgleich zur Hektik und Effizienz des modernen Lebens Raum geben. Die Entdeckung der Langsamkeit ist so lebenswichtig wie Atmen, Essen, Schlafen …
Eine schönes Beispiel und so wahr!